Genetik kurz gefasst

Roland Heynkes, 5.7.2021

Dieser Lerntext soll möglichst verständlich erklären, was man selbst dann über Zellen und ihre Baupläne wissen sollte, wenn man kein Abitur machen möchte.

Gliederung

zum Text Zellen produzieren Biomoleküle.
zum Text Proteine machen den Unterschied
zum Text Aufbau eines Proteins
zum Text Nukleotid-Sequenzen codieren Aminosäure-Sequenzen
zum Text das menschliche Genom
zum Text In Vielzellern haben sehr unterschiedliche Zelltypen den selben Bauplan.
zum Text Zellen brauchen Baupläne.
zum Text Gene und Vererbung
zum Text
Aufgaben zum Text

Zellen produzieren Biomoleküle. nach oben

Zellen bestehen aus Wasser, Mineralstoffen und Biomolekülen. Mineralstoffe und manche Biomoleküle (z.B.: Vitamine sowie essentielle Aminosäuren und Fettsäuren) müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Wasser entsteht in Zellen auch als eine Art Abfallstoff. Aber die meisten Biomoleküle müssen von unseren Zellen gezielt hergestellt werden. Die bekanntesten Biomoleküle sind Vitamine, Fette und andere Lipide, Zucker und größere Kohlenhydrate sowie Eiweiße. Viele Eiweiße sind Werkzeuge, die Vitamine, Lipide und Kohlenhydrate herstellen können. Nur die Eiweiße selber können nicht so einfach hergestellt werden.

Eiweiße (Proteine) sind lange Ketten aus 21 unterschiedlichen (Die 20 schon länger von der Codonsonne bekannten und Selenocystein, das nicht wie die anderen durch eines der Codons/Tripletts codiert wird, sondern durch ein Stoppcodon in einer bestimmten Umgebung) verschiedenen Aminosäuren. So wie wir mit nur 30 Buchstaben unzählige Wörter bilden können, so können auch unzählige Eiweiße aus nur 21 verschiedenen Aminosäuren gebildet werden. Entscheidend ist in beiden Fällen die Reihenfolge (Sequenz) der Buchstaben bzw. Aminosäuren. Die richtigen Reihenfolgen der Buchstaben unserer Wörter lernen wir mühsam in der Schule. Unsere Zellen haben für jedes ihrer Eiweiße ein Rezept (Gen), in dem die richtige Reihenfolge der Aminosäuren aufgeschrieben ist. Alle diese Rezepte für Eiweiße haben wir von unseren Eltern geerbt. Und viele Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen oder zwischen Menschen und Schimpansen beruhen darauf, dass ein Teil ihrer Proteine an manchen Positionen ihrer Aminosäureketten (bzw. Aminosäuresequenzen) andere Aminosäuren eingebaut haben. Andere Unterschiede beruhen darauf, dass mehr oder weniger von einem Protein produziert wird.

Interessierte finden mehr Informationen im Lerntext Biomoleküle.

Proteine machen den Unterschied nach oben

Was Menschen voneinander und von anderen Spezies unterscheidet, sind die Eiweiße. In der Fachsprache nennen wir sie Proteine, damit man sie nicht mit dem Eiweiß im Ei eines Huhns verwechselt. Ohne Proteine könnte sich in einem Lebewesen nichts bewegen. Es könnte nichts wahrnehmen und auf nichts reagieren. Proteine ermöglichen und steuern fast alle chemischen Reaktionen in einem Lebewesen. Und ohne Proteine würde jede Zelle sofort zerfallen. Proteine sind die wichtigsten Bausteine und die eigentlichen Akteure in jedem Lebewesen.

Die Eigenschaften eines Lebewesens hängen überwiegend davon ab, wann, in welchen Mengen und in welchen Zellen es welche Proteine produziert und welche Formen diese Proteine haben. Denn die Form eines Proteins bestimmt seine Funktion und die Funktionen seiner Proteine bestimmen die Eigenschaften eines Lebewesens.

Wird in einem Protein auch nur eine von Hunderten Aminosäuren gegen eine etwas andere ausgetauscht, dann führt das normalerweise dazu, dass das Protein eine zumindest etwas andere Form annimmt. Und jede Veränderung der Form verändert auch die Eigenschaften eines Proteins. Meistens kann es dann etwas besser oder schlechter. Manchmal erlangt ein Protein dadurch sogar eine neue Fähigkeit. Und mit den Eigenschaften ihrer Proteine ändern sich auch die Eigenschaften der Lebewesen. Darum ist es extrem wichtig, dass die exakten Reihenfolgen (Sequenzen) aller Aminosäuren in sämtlichen Proteinen eines Lebewesens genau festgelegt sind. Und genau das leistet der Bauplan (das Genom) eines Lebewesens.

Aufbau eines Proteins nach oben

Proteine sind lange, unverzweigte Ketten aus Aminosäuren, von denen es in unseren Zellen 21 unterschiedliche gibt.

die 20 normal codierten Aminosäuren menschlicher Proteine
Aminosaeuren
anonym, public domain

Die Begriffe Primärstruktur, Sekundärstruktur, Alpha-Helix, Betafaltblatt, Tertiärstruktur und Quartärstruktur gehen über Euer Schulbuch hinaus. Sie erleichtern aber hier das Verständnis der Protein-Faltung.

Aus Aminosäureketten entstehen Proteine:

  1. Die Reihenfolge (Sequenz) der Aminosäuren eines Proteins nennt man seine Primärstruktur.
  2. In Abhängigkeit von ihren Aminosäuresequenzen bilden sich in verschiedenen Regionen der Aminosäurekette sogenannte Sekundärstrukturen wie die Alpha-Helix oder das Betafaltblatt.
  3. Anschließend falten sich die Sekundärstrukturen eines Proteins zu einer räumlichen Tertiärstruktur zusammen.
  4. Mehrere Tertiärstrukturen können sich zu einem komplexen Protein zusammensetzen. Das nennt man Quartärstruktur.

Das schrittweise Entstehen der räumlichen Form eines Proteins
Protein-Strukturniveaus
Mariana Ruiz Villarreal, Beschriftung von mir, public domain
So ergibt sich aus der Aminosäuresequenz die räumliche Form eines Proteins. Die Form bestimmt die Eigenschaften und damit auch die Funktionen eines Proteins. Und die Funktionen unserer Proteine bestimmen unsere Eigenschaften.
rotierendes Protein (Clostridium perfringens Alpha Toxin)
rotierendes Protein Clostridium perfringens Alpha Toxin
Ramin Herati, public domain

Das Problem dabei ist, dass es nahezu unendlich viele mögliche Reihenfolgen (Sequenzen) gibt, wenn Hunderte Aminosäuren ein Protein bilden und für jede Position der Aminosäure-Sequenz 21 unterschiedliche Aminosäuren zur Auswahl stehen. Damit eine Zelle von den praktisch unendlich vielen möglichen immer genau die richtige Aminosäurekette produziert, braucht sie für jedes seiner Proteine einen Bauplan. Solch einen Bauplan nennt man Gen. Es gibt im Prinzip für jedes Protein ein Gen, welches die Aminosäuresequenz des Proteins bestimmt. Und die Summe aller Gene nennt man das Genom eines Lebewesens.

rotierendes Protein (AMPA-Rezeptor)
rotierendes Protein AMPA-Rezeptor
anonym, CC BY-SA 3.0

Entscheidend für die Eigenschaften jedes Lebewesens und jede seiner Zellen ist also, wann, für wie lange und wie stark seine Gene aktiviert werden und welche Aminosäuresequenzen sie codieren.

Nukleotid-Sequenzen codieren Aminosäure-Sequenzen nach oben

Aber wie codiert ein Gen eine Aminosäuresequenz? Worin steckt die Information eines Gens? Gespeichert ist die Information in einem Material namens DNA. Aber das ist nur der Datenträger, vergleichbar mit einer CD, einem Speicherchip, einer Festplatte oder dem Papier und der Druckerfarbe eines Buches.

animiertes Schema der DNA-Doppelhelix
DNA-Doppelhelix
Richard Wheeler, CC BY-SA 3.0
Die Animation erschwert zwar die genaue Betrachtung, vermittelt dafür aber ein intuitives Gefühl für die Struktur der DNA-Doppelhelix. Dabei hilft die Farbcodierung. Kohlenstoff-Atome sind grün dargestellt, Stickstoff blau, Sauerstoff rot, Phosphor orange und Wasserstoff grau. Dadurch wirken im DNA-Rückrat Desoxyribose grünorange und Phosphat rotorange, während dazwischen die Nukleobasen blaugrün gesprenkelt aussehen.

Damit ein Gen die Eigenschaften eines Proteins festlegen kann, muss es die Aminosäuresequenz des Proteins bestimmen. Dazu muss das Gen Informationen enthalten. Das funktioniert wie bei unseren Wörtern. Die Reihenfolge der Buchstaben bestimmt den Sinn eines Wortes. Auch Gene enthalten soetwas wie Buchstaben. Es sind die Grundbausteine der Nukleinsäuren DNA und RNA und man nennt sie Nukleotide. Es gibt in den Nukleinsäuren DNA und RNA jeweils 4 unterschiedliche Nukleotide. Man nennt sie einfach A, C, G und T. Die Nukleotidsequenz genannte Reihenfolge der Nukleotide enthält die Information(en) eines Gens. Nukleotidsequenzen der DNA bestimmen (codieren) die Aminosäuresequenzen der Proteine. Dabei bilden immer 3 Nukleotide eine Art Wort, das für eine bestimmte Aminosäure steht. Und an den Ribosomen wird die Nukleotidsequenz des Gens übersetzt in die Aminosäuresequenz des Proteins. Das folgende Schema soll das Prinzip veranschaulichen. Immer 3 benachbarte Nukleotide in der oberen Zeile werden übersetzt in eine Aminosäure in der unteren Reihe.

Gene codieren Proteine
Gene codieren Proteine

das menschliche Genom nach oben

Der Umfang des menschlichen Genoms (Bauplans) wird aktuell auf ungefähr 23.000 Gene geschätzt. Von den allermeisten dieser Gene haben wir eine Kopie von der Mutter und eine fast identische vom Vater geerbt. In unseren normalen, noch lebenden Körperzellen kommt also unser Bauplan (Genom) in zweifacher Ausführung vor. Man nennt das einen diploiden Chromosomensatz. Die Gesamtzahl der Nukleotide im diploiden Genom beträgt ungefähr 6,2 Milliarden. Insgesamt ergeben sie eine Länge von mehr als 2 Metern pro Zelle. Weil diese Länge extrem unhandlich wäre, ist unser Genom aufgeteilt auf 46 Untereinheiten, die man Chromosomen nennt. Diese Chromosomen sind unterschiedlich lang und wenn man sie kurz vor einer Zellteilung (in der mitotischen Metaphase) anfärbt, erkennt man unterschiedliche Streifenmuster. Fotografiert man die angefärbten Chromosomen, dann kann man sie aus dem Foto ausschneiden, nebeneinander legen und vergleichen. Man nennt das ein Karyogramm.

Karyogramm eines Mannes
männliches Karyogramm
National Human Genome Research Institute, public domain

Dabei zeigt sich, das die Chromosomen in weiblichen Zellen 23 und in männlichen Zellen 22 Chromosomenpaare gleich aussehender Chromosomen bilden. Man nennt sie auch homologe (sich entsprechende) Chromosomen oder homologe Chromosomenpaare. Dabei kommt immer ein Chromosom eines Chromosomenpaares vom Vater und das andere von der Mutter. Das 23., bei Männern ungleiche Chromosomenpaar bestimmt normalerweise das Geschlecht eines Menschen. Darum heißen seine Chromosomen auch Geschlechtschromosomen. Bei Frauen besteht dieses Chromosomenpaar aus zwei großen X-Chromosomen. Bei Männern sind es ein großes X-Chromosom und ein viel kleineres Y-Chromosom.

die Geschlechtschromosomen X&Y des Menschen
X-Chromosom und Y-_Chromosom
Geo-Science-International, CC BY-SA 4.0
Man sieht im elektronenmikroskopischen Bild zwei menschliche Geschlechtschromosomen in ihrer Transportform.

In Vielzellern haben sehr unterschiedliche Zelltypen den selben Bauplan. nach oben

Menschen bestehen aus ungefähr 30 Billionen (30.000.000.000.000) menschlichen Zellen. Wir könnten allerdings nicht überleben, wenn nicht in und auf uns noch etwas mehr Bakterien und unzählige Viren existieren würden.

Es gibt in uns mehr als 200 unterschiedliche menschliche Zellarten. Besonders bekannt sind rote und weiße Blutzellen, kugelige Eizellen, lange Muskelzellen, verzweigte Nervenzellen und nahezu unsterbliche Stammzellen.

Trotzdem haben alle diese sehr unterschiedlichen Zelltypen eines Menschen praktisch den selben Bauplan.

Die folgenden Bilder zeigen verschiedene Blutzellen (Blutkörperchen) mit ungefähr richtigen Größenverhältnissen.
Blutzellen
Blutplättchen heißen Thrombozyten, rote Blutkörperchen heißen Erythrozyten. Alle anderen hier gezeigten Blutzellen gehören zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten).

Zellen brauchen Baupläne. nach oben

Das Genom eines Lebewesens enthält für jedes seiner Proteine ein Rezept (Gen), in dem die Aminosäuresequenz des Proteins aufgeschrieben ist. Ähnlich wie Rezepte für Kuchen und Kekse stehen auch die Rezepte für Eiweiße hintereinander in Kochbüchern. Allerdings nennt man in Zellen die Rezepte Gene und die Kochbücher Chromosomen.

Wenn Zellen bestimmte Eiweiße brauchen, machen sie Kopien von den Genen (Rezepten). Diese Rezept-Kopien kommen wie Botschaften oder Boten zu winzigen Maschinen, die man Ribosomen nennt. Und weil diese Boten aus dem Material RNA bestehen, nennt man sie Boten-RNAs. Auf Englisch heißt Bote Messenger. Abgekürzt nennen wir deshalb die Rezept-Kopien mRNAs. Mit Hilfe solcher mRNAs stellen Ribosomen alle Eiweiße her, welche die Zelle braucht.

Ribosomen-Untereinheiten
große Ribosomen-Untereinheit kleine Ribosomen-Untereinheit
Diese animierten GIF zeigen links die große und rechts die kleine Ribosomen-Untereinheit.
Protein Data Bank Educational Resources

Jedes Eiweiß erfüllt eine bestimmte Aufgabe in der Zelle. Viele Eiweiße sind Bausteine, aus denen Zellen bestehen. Andere Eiweiße stellen Zucker oder Fette her, aus denen Zellen bestehen. Deshalb hängen die Eigenschaften einer Zelle davon ab, aus welchen Eiweißen sie besteht.

Von den Kochbüchern (Chromosomen) hängt ab, welche Eiweiße eine Zelle herstellen kann. Aber die Zellen entscheiden, welche Rezepte (Gene) aus den Kochbüchern (Chromosomen) sie benutzen. So können unsere Zellen entscheiden, ob sie Nervenzellen oder Muskelzellen sein wollen. Aber normalerweise hören sie auf ihre Nachbarn und werden die Zellen, die gebraucht werden.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0