Ursachen für die Überforderung des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses SSC

Roland Heynkes, 1. Februar 2000

Würden Sie ein Dutzend honorige Professoren für Biologie, Chemie oder Physik bitten, Ihnen ein wissenschaftliches Gutachten über Einsparmöglichkeiten im Etat Ihres Stadttheaters zu liefern? Wohl kaum, wenn Sie wirklich an sachkundigen Ratschlägen interessiert wären. Was mag dann wohl die EU-Kommission bewogen haben, dem entsprechendes zu tun? Sie berief eine Gruppe sorgfältig ausgewählter, aber nicht aus der Scrapie-, BSE- oder Creutzfeldt-Jakob-Forschung kommender Professoren in einen wissenschaftlichen Lenkungsausschuß (SSC). Obwohl also seine Mitglieder auf ganz anderen Forschungsgebieten tätig sind, erklärte die EU-Kommission dieses SSC zur höchsten wissenschaftlichen Instanz in Europa hinsichtlich der Sicherheit von Mensch und Tier vor Infektionen mit den Prionkrankheiten Scrapie, BSE oder Creutzfeldt-Jakob. Immerhin folgt die EU-Kommission normalerweise den Einschätzungen und Empfehlungen des SSC und akzeptiert damit vernünftigerweise wissenschaftliche Analysen als Grundlagen verantwortungsvoller politischer Entscheidungen. Gelegentlich ist allerdings der Widerstand einzelner Mitgliedsländer so groß, daß sich insbesondere Maßnahmen zum vorbeugenden Verbraucherschutz einfach nicht durchsetzen lassen. So scheiterte die europaweite Umsetzung der SSC-Empfehlungen zur Tiermehlproduktion und -verfütterung und zum Ausschluß besonders infektiöser Gewebe ausgerechnet am Widerstand der deutschen Bundesregierung.

Zur fachwissenschaftlichen Beratung des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses wurden Unterausschüsse wie die TSE/BSE ad-hoc-Arbeitsgruppe gebildet, aber deren Mitglieder stammen auch nur etwa zur Hälfte aus der Prion-Forschung. Die Gutachten des SSC und seiner ad-hoc-Arbeitsgruppe sind zwar in der Regel erkennbar von Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsbewußtsein geprägt, aber es wurden einfach viel zu wenige und außerdem überwiegend fachfremde Wissenschaftler in die Diskussion einbezogen. Es hätte einer sehr großen interdisziplinären Expertenkonferenz bedurft, um das komplexe und über viele Fachbereiche verteilte Wissen hinsichtlich der Übertragungswege von Prionkrankheiten auch nur annähernd vollständig zu erfassen. Die Einberufung einer solchen Konferenz war also sachlich dringend geboten und die technische Realisierung im Internet wäre kein Problem gewesen. Leider sprachen einige weniger auf die Fragestellung bezogene Gründe eher für die Berufung kleiner Gremien.

Aus diesen Gründen ist es in der Politik absolut üblich und insofern durchaus nachvollziehbar, daß sich die EU-Kommission für einen sehr kleinen Lenkungsausschuß entschied und daß sich genügend Wissenschaftler dazu bereit fanden. Dennoch war diese Entscheidung falsch und könnte noch schlimme Folgen haben. Letztlich ist sie verantwortlich dafür, daß wichtige Fakten und Zusammenhänge bei den Empfehlungen des SSC übersehen oder nicht richtig gewertet wurden. Die logische Folge sind Fehlentscheidungen der EU-Kommission. Deshalb muß sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, daß sich die drängenden Probleme unserer komplizierten Welt nur noch mit leistungsfähigeren modernen Methoden meistern lassen. Einsame Entscheidungen sind nicht nur wenig demokratisch, sondern auch meistens einfach nicht klug genug.

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