Nature 1997 Jan 16; 385(6613): 197-8

Roland Heynkes, 16. Januar 1997 (aktualisiert am 18.5.2001)

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bibliographische Angaben
meine Zusammenfassung des Artikels

bibliographische Angaben

Cousens,S.N.; Vynnycky,E.; Zeidler,M.; Will,R.G.; Smith,P.G. - Predicting the CJD epidemic in humans - Nature 1997 Jan 16; 385(6613): 197-8

meine Zusammenfassung des Artikels

Zum Zeitpunkt der Publikation waren den Autoren 1 französischer und 14 britische eindeutig identifizierte Creutzfeldt-Jakob-Fälle der neuen Variante bekannt. Sie stellen fest, daß BSE nicht endgültig als Infektionsquelle der nvCJK feststeht. Sie erinnern auch daran, daß BSE-verdächtige Rinder erst seit August 1988 vernichtet werden mußten und bis dahin wesentlich leichter in die menschliche Nahrung gelangen konnten. Sie betonen, daß verläßliche Prognosen über die künftige Entwicklung der nvCJK-Fallzahlen auf der Grundlage der wenigen heute bekannten Fälle nicht möglich sind und das außerdem selbst die Zahlen der 1994 und 1995 erkrankten Personen noch auf rund 23 ansteigen könnten. Durch Computersimulationen stellen sie jedoch dar, welche Einflüsse die Parameter Inkubationszeitsverteilung, Ausschluß von Innereien aus der menschlichen Nahrungskette und die BSE-Dunkelziffer auf die Prognose haben. Je nach den gewählten Randbedingungen kommen sie auf insgesamt 75-88000 infizierte Menschen. Im Prinzip ist dieses Vorgehen seriös, den Autoren unterliefen allerdings einige Fehleinschätzungen.

Sie gehen davon aus, daß die neue CJK-Variante ausschließlich auf BSE-Infektionen zurückzuführen sei und daß sich die Zahl der nvCJK-Fälle zeitversetzt proportional zur Zahl der BSE-Fälle und damit einfach proportional zur Zunahme der Infektiosität in der menschlichen Nahrung entwickle. Aber die Autoren meinen, daß diese Proportionalität nur unter der Voraussetzung so einfach gilt, daß BSE-infizierte Rinder nur kurz vor der Erkrankung infektiös sind. Davon kann man jedoch nicht ausgehen, da nur im normalerweise nicht verzehrten Zentralnervensystem die Infektiosität erst am Ende der Inkubationszeit stark zunimmt. In der Peripherie wurden bisher bei Nagetiermodellen nur von Anfang an ungefähr konstante Infektiositäten beobachtet. Man muß angesichts der langen Inkubationszeiten eher davon ausgehen, daß die meisten oder fast alle nvCJK-Patienten durch Fleisch und Innereien von noch weit vor dem Ausbruch der Krankheit stehenden Rindern infiziert wurden. Außerdem wurden sehr wahrscheinlich die bisherigen nvCJK-Opfer in oder sogar vor der Anfangsphase der sichtbaren BSE-Epidemie infiziert. Eine entsprechende Korrektur der Simulationen würde die Zahl der zu erwartenden Patienten stark nach oben treiben, weil wir von einer längeren Inkubationszeit und später steigender Infektiosität ausgehen müssen. Die Autoren berücksichtigten auch nicht, daß längst wahrscheinlich nicht alle CJK-infizierten Menschen erkranken und das BSE-infizierte Menschen weitere Menschen infizieren können. Die von den Autoren errechneten Zahlen sind also in Wirklichkeit nur die mutmaßlichen Zahlen tödlich direkt mit BSE infizierter Menschen. Unter Berücksichtigung der Folgeinfektionen von Mensch zu Mensch ist auch nicht unbedingt mit einem späteren Rückgang menschlicher Erkrankungen aufgrund reduzierter Infektiosität der Nahrung zu rechnen.

Bei der Abschätzung der Dunkelziffer gehen die Autoren davon aus, daß diese höchstens in den ersten Jahren erheblich gewesen sein könne und daß spätestens seit 1989 alle BSE-Tiere erkannt würden. Dabei führt die Annahme einer zunächst sehr hohen und im Laufe von 6 Jahren stetig abnehmenden Dunkelziffer zu deutlich niedrigeren zu erwartenden nvCJK-Zahlen. Dies ist jedoch unrealistisch, weil Schlachthofkontrollen ohne immunologischen BSE-Tests kaum Chancen auf die Entdeckung von BSE bieten und weil aufmerksame Bauern BSE-Symptome Wochen vor einem weniger mit dem einzelnen Tier vertrauten Tierarzt wahrnehmen können. Sie konnten daher in England zu jeder Zeit ohne großes Entdeckungsrisiko verdächtige Tiere einfach schlachten lassen. Da Abmagerung und Reduktion der Milchleistung zu den frühe unspezifischen BSE-Symptomen gehören, konnten Milchkühe auch allein wegen ihrer nachlassenden Wirtschaftlichkeit kurz vor Ausbruch der Krankheit geschlachtet werden. Dies alles läßt vermuten, daß die BSE-Dunkelziffer relativ unverändert hoch blieb und das daher das Szenario ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer realistisch ist.

Weiterhin nehmen die Autoren an, daß das im November 1989 in England beschlossene Verbot der Verwendung von Rinderinnereien in der menschlichen Nahrung das Risiko menschlicher Infektionen um 90-100% gesenkt habe. Angesichts der inzwischen bekannten jahrelangen Mißachtung des Verfütterungsverbotes und des Exportverbotes für Rinder aus BSE-Herden, ist diese Annahme seltsam naiv. Außerdem wurde in diesen Rinderinnereien gar keine höhere Infektiosität als in Rindfleisch festgestellt. Es ist auch kaum anzuehmen, daß Ende 1989 das Risiko einer Kontamination von Rindfleisch und Rinderlungen durch Nervengewebe aus Gehirn und Rückenmark plötzlich zurückgegangen sei. Zudem wird der Einfluß des Innereiverbotes total überschätzt, weil die Autoren nicht berücksichtigen, daß damals viele Briten schon infiziert waren und lediglich weniger zusätzlichen Errger aufnahmen. Lediglich die vergleichsweise wenigen ab 1990 geborenen Kinder konnten wirklich grundlegend davon profitieren. Einer der von nvCJK Betroffenen war beispielsweise seit 3 Jahren Vegetarier.

Die Studie zeigt deutlich, daß die Form der Inkubationszeitenverteilung einen extrem starken Einfluß auf die Prognose der menschlichen Fallzahlen hat. Dabei fällt die Prognose um so ungünstiger aus, je länger die angenommene mittlere Inkubationszeit und je geringer deren Variation ist. Dies gilt jedoch nur für stetige 1-Peak-Kurven. Da bisher nur Met-129-Homozygote Menschen an der nvCJK erkrankten, muß jedoch mit mehr als einem Peak gerechnet werden. Genetisch etwas anders ausgestattete BSE-Infizierte haben offenbar längere Inkubationszeiten und werden für mindestens ein weiteres Maximum sorgen. Leider ist dies den Autoren nicht klar, denn sie diskutieren nur intensiv die Unterschiede verschiedener unrealistischer 1-Peak-Kurven.

Es ist außerdem durchaus nicht selbstverständlich, daß die Entwicklung der nvCJK-Zahlen direkt mit der Entwicklung der gemeldeten BSE-Fälle korreliert. Wahrscheinlich gab es bereits sehr lange vor den ersten BSE-Fällen eine gewisse Scrapie-Infektiosität im Rinderfutter. Zumindest bei einigen, wahrscheinlich sogar bei vielen Rindern führte diese Scrapie-Infektiosität zur Bildung von Rinderprionen. Diese Überwindung der Speziesbarriere zwischen Schaf und Rind war jedoch sehr wahrscheinlich in den allermeisten Fällen nicht tödlich. Erst als die Schlachtabfälle vieler solchermaßen subletal infizierter Rinder selber zu Fleischknochenmehl verarbeitet wurden, nahm die Infektiosität im Rinderfutter ein für viele Rinder tödliches Ausmaß an. Menschen können also schon seit sehr langer Zeit infektiösen Rinderprodukten ausgesetzt sein. Wahrscheinlich sind in ganz Europa bereits seit langem viele Menschen infiziert, werden aber wegen der Speziesbarriere erst nach extrem langen Inkubationszeiten oder gar nicht erkranken. Die bisher bestätigten nvCJK-Fälle sind wahrscheinlich lediglich diejenigen, die genetisch besonders empfänglich waren und zufällig eine besonders hohe Dosis aufgenommen hatten.

Die Arbeit von Cousens et al. ist also eine interessante Anregung, biologisches Wissen und Vermutungen über die TSE und ihre Ursachen in mathematische Modelle zu fassen und durch Computersimulationen auf ihre Plausibilität und ihre eventuell kontrollierbaren Konsequenzen hin zu überprüfen. Die Qualität der zugrundeliegenden biologischen Modelle entsprach jedoch noch nicht dem aktuell möglichen Stand des Wissens und bedarf etlicher Korrekturen.

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