NR ANTR
AU Bhakdi,S.; Bohl,J.R.E.
TI Prionen und der "BSE-Wahnsinn": Eine kritische Bestandsaufnahme
QU Deutsches Ärzteblatt 2002 Apr 26; 99(17): A 1134-7
IA http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=31337 und http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=31337 und http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=31337
AB Die Autoren belegen anhand von medizinischen Fakten, dass Politiker und Wissenschaftler nach dem ersten Auftreten von BSE-Fällen in Deutschland im Jahr 2000 unangemessen reagiert haben.
VT
Die maßgebliche Arbeit zur Epidemiologie der Bovinen Spongiformen Encephalopathie (BSE), die im Jahr 1996 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, schätzte, dass in Großbritannien bis zum Jahr 1994 circa 750.000 BSE-Rinder in die Nahrungskette gelangt sind. Demnach müssten Millionen Menschen in England kontaminiertes Fleisch verzehrt haben. Im selben Jahr erschien der erste Bericht über eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (vCJD), die junge Menschen betraf. Ein Zusammenhang zwischen dieser Krankheit und BSE wurde vermutet.
In Deutschland traten die ersten BSE-Fälle im Jahr 2000 auf; die Gesamtzahl der registrierten Erkrankungen liegt gegenwärtig bei 174 (Stand: April 2002). Eine Panik wurde ausgelöst, welche eine Reihe von Maßnahmen gigantischen Ausmaßes nach sich gezogen hat: Diese reichten von der Tötung von hunderttausend symptomlosen Tieren über die gesetzliche Einführung von BSE-Nachweistests für Rinder bis zur Ausschreibung von teuren Sonderforschungs-Programmen.
Die Kosten, die durch die BSE-Krise entstanden sind, haben allein in Deutschland die Milliardengrenze überschritten. Nachdem Politik, Gesellschaft, aber auch die Wissenschaftler diese Situation heraufbeschwört haben, sollte man eine Auszeit nehmen, um über Sinn und Unsinn unserer Handlungsweisen zu reflektieren.
Die Prionen-Hypothese
Der amerikanische Wissenschaftler Stanley Prusiner entdeckte in bahnbrechenden Arbeiten, dass das neuropathologische Agens der CJD aus einem einzigen präzipitierten Protein bestand; die Injektion des gereinigten Proteins (Prion) in unterschiedliche Tierarten rief die Erkrankung hervor. Prusiners "Prion-Konzept" besagt, dass bestimmte Eiweiße infektiös sein können. Gelangen sie in empfängliche Gewebe, so wird die Krankheit ausgelöst. Im Fall von CJD ist das Gehirn das betroffene Organ.
Das CJD-Prion existiert jedoch in zwei Formen: die normale, ungefährliche und nicht infektiöse Form (PrPc) und eine veränderte, gefährliche und infektiöse Form (PrPsc). Die gefährliche Form entsteht normalerweise spontan aus der intakten Form. Einmal entstanden, überführt sie das umliegende, normale Prionprotein in die krankhafte Form. So kommt es zu einer stetig wachsenden Ansammlung von der gefährlichen Form. Diese fällt aus und lagert sich als unlösliches Material ab.
Zur Veranschaulichung dieses Prinzips ein Gleichnis: Prionproteine stehen aufrecht - wie Bäume "gepflanzt" - in der Membran von Nervenzellen. An bestimmten Stellen neigen die Bäume von Natur aus dazu, umzuknicken. Durch das Umknicken fällt ein Baum gegen den nächsten und bringt ihn zu Fall. Ein Dominoeffekt folgt, und es kommt zum Umsturz der umliegenden Bäume. Voraussetzung hierfür ist, dass die Bäume grundsätzlich von gleicher Gestalt sind und sich aneinander schmiegen können. Ein Prionprotein X wird also nicht imstande sein, Prionprotein Y zum Umkippen zu bringen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass im Laufe des Lebens eines Menschen ein Baum von selbst umknickt, ist extrem gering, nämlich circa 1 : 1 000 000 - daher das seltene Vorkommen der sporadischen CJD. Bei der familiären Form der CJD sind die Prion-"Bäume" jedoch von vornherein mit Fehlern versehen: Aufgrund der Mutationen weisen sie eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit auf, irgendwann im Verlauf von Jahrzehnten umzuknicken.
Die CJD kann somit als eine Art Infektion innerhalb des erkrankten Individuums angesehen werden, wobei ein krank machendes Agens von selbst entsteht und sich auf einzigartige Art und Weise ausbreitet, nämlich durch das Aufzwingen seiner Gestalt (Konformation) auf die gesunden Nachbarmoleküle. Für gewöhnlich begrenzt sich der Krankheitsprozess auf das betroffene Individuum, denn die krankhaften Prionproteine können nicht den Weg ins Gehirn eines anderen Menschen finden.
Sollte die Prion-Hypothese korrekt sein, so dürfte eine Prion-Krankheit nicht entstehen, wenn das entsprechende Protein von vornherein fehlt. Diese Voraussage zu prüfen, wurde das Ziel eines überaus schwierigen und ehrgeizigen Projektes, welches vom Schweizer Molekularbiologen Charles Weissmann in Zusammenarbeit mit Prusiner in Angriff genommen wurde.
Weissmann entschloss sich dazu, eine Prion-Knock-out-Maus herzustellen. Sollte das Ausschalten des Prion-Gens gelingen, würden diese Mäuse kein Prion-Protein mehr besitzen. Das Projekt verlangte viel Mut zum Risiko, denn ein Protein, welches im Gehirn verbreitet vorkommt, dürfte eine lebenswichtige Funktion haben. Die meisten Forscher erwarteten daher, dass Tiere ohne das Prion-Gen nicht lebensfähig sein würden und sahen das Projekt als aussichtslos an. Aber sie täuschten sich. Zur Verblüffung aller, züchteten Weissmann und sein Team nicht nur lebensfähige, sondern ansonsten auch völlig gesunde, unauffällige Prion-freie Mäuse. Weswegen Maus und Mensch das Prion-Protein überhaupt besitzen, ist bis heute unklar geblieben.
Nun konnte das entscheidende Experiment durchgeführt werden. Tödliche Dosen an infektiösen Prionen wurden in die Gehirne der Knock-out-Mäuse gespritzt. Sollte Prusiner Recht haben, dürften diese Mäuse nicht erkranken - denn, wo im Wald keine Bäume sind, können auch keine umkippen. Alle Knock-out-Mäuse blieben gesund und alle Kontrolltiere verstarben.
In einem weiteren Versuch wurde ein Stück Gehirn von einer normalen Maus in das Gehirn einer Knock-out-Maus verpflanzt. Dann wurden infektiöse Prionen in das Gehirn injiziert. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen: Die Ausbreitung der Prionen fand ausschließlich im transplantierten "normalen" Gehirnstück statt und hörte genau an der Grenze des Transplantats auf.
Früh stellte es sich heraus, dass Prionenkrankheiten am effektivsten durch intrazerebrale Injektion von infektiösem Material übertragbar waren. Die Übertragung durch Fütterung war zwar auch möglich, es mussten jedoch ungleich höhere Dosen verabreicht werden, und die Ergebnisse waren insgesamt weniger konstant.
Vom Infektionsweg abgesehen, spielte die Speziesbarriere eine zweite, wichtige Rolle. Prionproteine verschiedener Spezies (zum Beispiel Mensch und Rind) weisen von vornherein kleine Unterschiede auf. Sie passen daher nicht so gut zueinander - die "Bäume" schmiegen sich nicht so eng aneinander. Folglich benötigte man mehr präzipitierte Rinderprionen, um ein menschliches Prionprotein in die pathologische Gestalt zu überführen. Fast ausnahmslos war es zwar möglich, infektiöse Prionen einer Tierspezies auf eine andere Tierspezies zu übertragen, aber es war fast immer dabei notwendig, bedeutend höhere Konzentrationen der infektiösen Prionen zu verwenden.
Hochrechnungen
1997 und 1998 wurden Wahrscheinlichkeitsrechnungen von angesehenen Epidemiologen in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht. Ein wesentlicher Parameter betraf die Inkubationsdauer der Krankheit - also die Zeit zwischen der Aufnahme von Prionen und dem Ausbruch der Erkrankung. Diese Zeit ist nicht sicher bekannt, und so wurden mehrere Möglichkeiten in die Hochrechnung eingebracht und die entsprechenden Zahlen jeweils errechnet: Je länger die Inkubationszeit sei, desto größer sei die Zahl der zu erwartenden Erkrankungen.
Ein zweiter, entscheidender Parameter war die Zahl der jährlich neu auftretenden vCJD-Fälle: Ein rascher Anstieg in den nächsten Jahren würde natürlich eine entsprechend hohe Gesamtzahl von Erkrankungen erwarten lassen.
Sollte die Inkubationszeit bis zu 25 Jahren betragen, würden nach einer Rechnung maximal (worst case scenario) 80.000 Menschen bis zum Jahr 2040 an der Erkrankung sterben. Die zweite Hochrechnung lieferte eine Höchstzahl von 500.000 Erkrankungen unter der Bedingung, dass die maximale Inkubationszeit 60 Jahre betrug. Wohlgemerkt: Diese Zahlen würden nur gelten, wenn sich in den kommenden Jahren bestimmte, in den Publikationen angenommene Steigerungsraten tatsächlich manifestierten. So müssten beispielsweise laut einer Hochrechnung 70 bis 80 neue Fälle im Jahr 1997 und 150 bis 170 neue Fälle im Jahre 1998 auftreten. Diese Hochrechnung löste weltweit große Sorgen aus.
In den Jahren 1997 bis 2000 traten neue vCJD-Fälle in Großbritannien auf, aber deren Zahl fiel deutlich niedriger aus als in den "worst case scenarios" angenommen. Im Jahre 2000 korrigierten daher die gleichen Forscher die Zahlen eklatant nach unten. Jetzt hieß es: Bei einer möglichen Inkubationszeit von 60 Jahren läge die Zahl von vCJD-Fällen bis 2040 bei maximal 130.000.
In dieser Arbeit gab es andere Zahlen, die gerne übergangen werden: Beträgt die Inkubationszeit nämlich "nur" 30 bis 40 Jahre, so sind ganz erheblich weniger Erkrankungen zu erwarten: allerhöchstens 6.000, und vielleicht sogar nur einige Hundert.
Die Frage nach der Inkubationszeit erlangt also große Bedeutung, und die Ungewissheit darüber wird gerne als Argument angeführt, dass man nicht vorsichtig genug sein kann. Liegt die Inkubationszeit bei 60 Jahren (wer wird das überaupt erleben?), sieht die Lage in Großbritannien immer noch besorgniserregend aus. Es wäre zudem denkbar, dass Menschen jahrelang den Erreger beherbergen und in dieser symptomfreien Zeit eine potenzielle Infektionsquelle darstellen könnten.
Inkubationszeit
Dasselbe gilt natürlich auch für BSE. Diese Überlegung verführte Homo sapiens bekanntlich dazu, hunderttausende symptomfreie Rinder zu vernichten.
Jedoch: Es ist nicht wahr, dass recht sichere Aussagen über die Inkubationsdauer der Prioneninfektionen nicht getroffen werden können. Eine Inkubationszeit von mehr als 40 Jahren kann nämlich mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden, und die Annahme einer Inkubationszeit von 60 Jahren und mehr entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Der Zusammenhang mit dem Gebrauch von Tiermehlfutter mag umstritten sein, dennoch sank die Zahl der BSE-Erkrankungen in Großbritannien prompt nach Verhängen des Tiermehlfutter-Verbotes.
Tatsache ist, dass wir in diesen und den kommenden zehn Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit den Gipfel der vCJD-Erkrankungen erleben werden und dass die Zahlen bereits jetzt weit niedriger ausfallen, als 1997 angenommen wurde. Woran liegt das?
Zur Frage der Penetranz einer Infektionskrankheit
Begriffe wie Infektiosität und Kontagiosität werden im Zusammenhang mit BSE/vCJD gerne in die Diskussion gebracht, denn sie verleihen dem Thema eine anziehende Brisanz. Infektiosität beschreibt die Effizienz, mit der ein Erreger eine Krankheit auslösen kann: je effizienter der Erreger, desto kleiner die infektiöse Dosis. Kontagiosität beschreibt die Übertragbarkeit einer Infektionskrankheit von einem Wirt zum anderen.
Prionen eignen sich in hervorragender Weise für Sensationsmeldungen, denn sie sind hochinfektiös. Eine Schreckensmeldung lautete unter anderem: Ein Gramm von Prionen-haltigem Hirngewebe eines erkrankten Tieres reicht aus, um 1010 Mäuse zu töten. Kontagiös ist die Krankheit offensichtlich auch: siehe Kuru, vCJD und die iatrogenen CJD-Fälle.
Was dabei nicht berücksichtigt wird, ist die Penetranz einer Krankheit. Penetranz beschreibt das tatsächliche Auftreten einer Infektionskrankheit unter den gegebenen Bedingungen. Zum Beispiel ist es nicht realistisch, dass kontaminiertes Rindfleisch ins Gehirn eines Menschen gespritzt wird. Die Ergebnisse des Mausexperiments sind zwar von wissenschaftlichem Interesse, sie haben aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Nach oraler Aufnahme müssen Prionen nämlich immer noch den Weg ins Gehirn finden - ein nicht triviales Unterfangen, wie bereits die Tierversuche gezeigt haben. Dort angelangt, stehen menschenfremde Prionen auch noch vor dem Problem der Speziesbarriere.
Wenn die Penetranz von BSE/vCJD betrachtet wird, erscheinen ganz andere Zahlen, die uns eine klare Botschaft übermitteln.
Nehmen wir an, dass in Großbritannien nicht 750.000, sondern "nur" ein Fünftel - also 150.000 erkrankte Rinder - mit sehr hohem Prionengehalt zu Lebensmitteln verarbeitet wurden. Mit Sicherheit haben dann über eine Million Menschen BSE-Prionen aufgenommen. In den Jahren 1994 bis 2000 sind in der Folge circa 100 Personen an vCJD verstorben, und das "worst case scenario" bei einer Inkubationszeit von 30 bis 40 Jahren ergibt eine maximal zu erwartende Zahl von 6 000 Erkrankungen bis zum Jahr 2040.
Und in Deutschland?
Bislang sind 174 BSE-Fälle in Deutschland (circa 1.000 Fälle auf dem europäischen Festland) bekannt geworden. In Deutschland sind wohl keine, in den umliegenden Ländern vielleicht einige dieser Tiere in die Nahrungskette gelangt. Nehmen wir an, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen 100 erkrankte Tiere doch zu Lebensmitteln verarbeitet wurden. Dann wäre mit maximal sechs Fällen von vCJD bis 2040 zu rechnen. Wenn alle 1.000 BSE-Rinder in Europa verzehrt worden wären, würden wir auf maximal 60 Fälle in Europa schauen. Dies erklärt natürlich, warum es noch keinen gesicherten Fall von vCJD in Deutschland gegeben hat. Dagegen werden wir in dieser Zeit Tausende von spontanen CJD-Fällen erleben.
In der gleichen Zeit werden Millionen Menschen weiterhin an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumoren, aber auch an Infektionskrankheiten sterben. Zum Beispiel fordern Krankenhausinfektionen hierzulande mindestens 10 000 Menschenleben jedes Jahr. Es könnten auch 20.000, 30.000 oder 40.000 sein: Wir wissen es nicht genau, denn - im Gegensatz zu BSE - besteht keine Meldepflicht für Todesfälle durch Krankenhausinfektionen.
Überhaupt lohnt es sich, gelegentlich über Zahlen zu reflektieren. Die Krankenkassen geben circa drei Euro pro Patient und Tag für die gesamte infektiologische Diagnostik am Mainzer Universitätsklinikum aus. Dafür sind in Europa bereits circa acht Millionen gesunde Rinder auf BSE getestet worden, wobei jeder Test circa 50 Euro kostet. Die Zahl der positiv getesteten Tiere liegt unter 200. Überträgt man diesen Befund auf den gesamten Rinderbestand Europas (circa 40 Millionen Tiere), ist es offensichtlich, dass maximal 1 000 klinisch gesunde, aber im BSE-Test positive Rinder überhaupt existieren. Würden alle in die Nahrungskette gelangen, bleibt es dem Leser selbst überlassen, das tatsächliche Risiko hiervon auszurechnen.
Was zu tun bleibt, ist klar: Selbstverständlich müssen alle BSE- beziehungsweise vCJD-Fälle möglichst früh diagnostiziert werden. Erkrankte Tiere sind sofort zu entfernen und dürfen natürlich nicht in die Nahrungskette gelangen. Das Verbot der Verwendung von Tiermehl muss rigoros aufrecht erhalten werden. Maximale Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Handhabung von Instrumenten nach Operationen von CJD-Patienten geboten. Viel mehr ist allerdings definitiv nicht zu tun!
Schlusswort
Die Entdeckung von Prionen und der Prionenkrankheiten stellt eine der größten wissenschaftlichen Errungenschaften der Biomedizin dar. Den beteiligten Forschern gebührt die höchste Anerkennung, und die Erforschung von Prionen muss selbstverständlich im vernünftigen Maß gefördert werden. Dies darf aber nicht zu einem Aktionismus führen, der nicht-durchdachte und auch unethische Züge aufweist.
Als sich der tatsächliche BSE-Skandal in Großbritannien ereignete und die ersten menschlichen Opfer 1996 bekannt wurden, waren aufgrund der ersten Hochrechnung die Ängste berechtigt und die Reaktionen von Medien, Politik und Wissenschaft einigermaßen verständlich. Das Problem in Deutschland entstand jedoch im Jahr 2000. Das Auftreten der BSE-Fälle hätte niemals zu den hektischen Reaktionen führen dürfen, wie wir sie erlebten und erleben. Denn es lagen die hier aufgeführten Daten und Fakten vor.
Dennoch folgte ein kollektives Versagen, an dem Politik, Gesellschaft und Wissenschaft gleichermaßen beteiligt waren und sind. Sinnlose Taten folgten, die unbedingt beendet werden müssen. Tiere sinnlos zu töten, ist verwerflich, ebenso, Menschen in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Die Verschwendung begrenzter Ressourcen ist unverantwortlich, denn die dringend benötigten Mittel fehlen für sinnvolle Aufgaben.
Die Sehnsucht nach Sicherheit überschreitet zu oft die Grenzen der Rationalität. Und wenn etwas passiert, kommt eine zweite irrationale Sehnsucht des Menschen dazu: einen Schuldigen zu finden und zu bestrafen. Dies führt dazu, dass eine der Urpflichten von Homo sapiens vergessen und verletzt wird: Wissen in Weisheit zu verwandeln.
IN
Redaktionell verantwortlich für diesen Schund ist Frau Dr. med. Vera Zylka-Menhorn ; Tel. 02234/7011-114.
Praktisch der selbe Artikel erschien bereits vorher in der Pharamazeutischen Zeitung vom 19.3.2002 (12/2002) [ANTS] und später in der Fleischwirtschaft 11/2002.
Die Autoren treibt die verständliche Sorge um, dass für entbehrliche Forschung und überflüssige staatliche Maßnahmen verschwendetes Geld an anderer Stelle fehlt. Deshalb suchen sie außerhalb des eigenen Fachbereiches nach Finanzmitteln, die ihrer Meinung nach für wichtigere Aufgaben sinnvoller eingesetzt werden könnten. Dabei ergibt sich natürlich für die Autoren das Problem, Sinn und Zweck von Maßnahmen beurteilen zu müssen, über deren wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Hintergründe sie nicht genau informiert sind. Umso wichtiger wären daher eine sorgfältige Recherche und eine Überprüfung eigener Annahmen durch Diskussionen mit den jeweiligen Fachleuten gewesen. Leider haben die Autoren in ihrer Bewertung der deutschen BSE-Politik offensichtlich weitgehend auf beides verzichtet, denn sie gründen ihre Überlegungen auf zahlreiche falsche Annahmen und liefern lediglich ein einziges Literaturzitat mit außerdem ungenauen bibliographischen Angaben.
Ohne dies wirklich beurteilen zu können, bezeichnen die Autoren den 1996 in Nature publizierten Artikel von Anderson et al. [AAGY] als die maßgebliche epidemiologische Veröffentlichung über BSE. Dabei dabei gab es eine ganze Reihe weiterer Artikel, und es wäre dringend angebracht, mehr als nur diese aus biologischer Sicht sehr naive Arbeit zu lesen [AAWI]. Aber selbst diese zitieren die Autoren falsch. Während Anderson et al. die Zahl der bis Ende 1995 in Großbritannien unerkannt geschlachteten Rinder auf 729.000 schätzten [AAGY], zitieren Bhakdi und Bohl diese Arbeit mit der Zahl 750.000 bis zum Jahr 1994. Dabei lassen sie offen, ob sie damit den Anfang oder das Ende des Jahres 1994 meinen.
Nach Angaben der Autoren sind die ersten BSE-Fälle in Deutschland im Jahr 2000 aufgetreten. In Wirklichkeit wurden in Deutschland die ersten 6 BSE-Fälle bereits in den Jahren 1994 (4 Fälle, von denen ein Tier bereits 1992 erkrankte) und 1997 (2 Fälle) registriert, auch wenn dies sehr wahrscheinlich importierte Rinder waren (http://home.t-online.de/home/koeloe/BSE_bei_Importrindern.html und http://www.oie.int/eng/info/en_esbmonde.htm).
Ebenso unzutreffend ist die Feststellung, dass in Deutschland bislang (d.h. bis einschließlich 17.4.2002) 174 Erkrankungen registriert wurden. Tatsächlich war rund ein Drittel dieser 174 BSE-positiven Kühe nicht erkrankt, sondern normal geschlachtet worden. Nur aufgrund der BSE-Schnelltests erkannte man diese Tiere als präklinisch BSE-infiziert (http://www.heynkes.de/fallzahl.htm) [ANZJ,ANPA].
Nicht nur Schlampigkeit in der Wahl der Begriffe, sondern offenbar auch Unkenntnis über den Stand Forschung zur Natur des BSE-Agens und die Prion-Hypothese beweisen die Autoren mit ihrer Darstellung des von ihnen vorsichtig als "neuropathologisches Agens" bezeichneten BSE-Erregers. Sie geben an, dieses Agens bestehe aus lediglich einem einzigen Protein und man habe mit dem gereinigten Protein die Krankheit übertragen können. Die Prion-Hypothese wäre längst bewiesen, wenn es tatsächlich schon gelungen wäre, mit dem gereinigten Prionprotein BSE zu übertragen. Außerdem besteht nach der Prion-Hypothese das Prion notwendigerweise nicht aus nur einem, sondern aus vielen aggregierten pathologischen Prionproteinen. Den Artikel, in dem Prusiner den Begriff Prion für ein infektiöses und zumindest hauptsächlich aus Proteinen bestehendes Agens einführt, scheinen die Autoren - wenn überhaupt - nur flüchtig gelesen zu haben. Prusiner selbst zitiert darin nämlich den britischen Physiker Griffith [AEWT] als Urheber dieser von ihm nur experimentell untermauerten Hypothese, welche die Autoren fälschlich Prusiner allein zuschreiben.
Selbst Laien hätte nach der Lektüre dieses Prusiner-Artikels klar sein müssen, dass es keine normalen, ungefährlichen Prionen geben kann, wenn "Prion" per se als "infectious proteinaceous particle", also als ein infektiöses Eiweiß bezeichnet wird. Außerdem besteht nach der Prion-Hypothese das Prion notwendigerweise nicht aus nur einem, sondern aus vielen aggregierten pathologischen Prionproteinen. Bhakdi und Bohl benutzen jedoch den Begriff "Prion" als pseudowissenschaftliches Kürzel für beide Formen des nicht-aggregierten Prionproteins. Fachleute wissen darüber hinaus, dass bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht nur das Gehirn betroffen ist. Zumindest die Vermehrung der Prionen erfolgt auch in anderen Geweben, in denen das normale Prionprotein exprimiert wird. Die Autoren aber scheinen sogar zu glauben, die Prionen wanderten zuerst ins Gehirn und würden erst dort mit der Speziesbarriere konfrontiert. In Wirklichkeit muß die Speziesbarriere bereits an der vermuteten Eintrittspforte des Erregers, nämlich in den Peyer'schen Platten des Ileums überwunden werden, weil sich ansonsten die Infektiosität nicht schon dort vermehren könnte [AFYZ,AHSM,AMJG,ANVM].
Bhakdi und Bohl kritisieren weiterhin, dass in der BSE-Risikobewertung die geringere Effektivität oraler Infektionen gegenüber intrazerebralen zu wenig berücksichtigt würde. Selber vergessen sie dabei allerdings, dass man oral erheblich größere Mengen infektiösen Materials aufnehmen kann.
Ohne jede wissenschaftliche Grundlage behaupten die Autoren auch, die gefährliche Form entstehe normalerweise spontan aus der intakten Form. Offensichtlich verwechseln sie dabei den Begriff "spontan" mit dem Begriff "sporadisch". Letzterer bedeutet im Zusammenhang mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit jedoch lediglich, dass die Erkrankung in den weitaus meisten Fällen ohne erkennbare Ursache auftritt. Die jeweilige Ursache könnte ebenso gut eine Infektion oder unerkannte Mutation sein. Möglicherweise kann das normale Prionprotein sich tatsächlich auch spontan in die krankheitstypische Konformation umfalten. Dafür fehlt jedoch bis heute jeglicher Beweis. Deshalb ist es unseriös, diese Hypothese in einem Artikel als Tatsache hinzustellen.
Unzutreffend ist auch die Darstellung, die normalen Prionproteine stünden in den Membranen von Nervenzellen. Das normale Prionprotein befindet sich vollständig außerhalb der Zellmembran und ist lediglich über einen Glykophosphatidylinositol-Anker mit deren Außenseite verbunden [AKCI,AKCH].
Ebenso unzutreffend wird die jährliche Erkrankungsrate von rund 1 Fall pro 1 Million Einwohner von den Autoren mit einer Erkrankungswahrscheinlichkeit von 1 zu 1 Million bezogen auf die gesamte Lebensdauer eines einzelnen Menschen gleichgesetzt.
Auch sonst scheinen die Autoren gern moderne Märchen zu kolportieren. Ohne selbst in der TSE-Forschung aktiv gewesen zu sein und offenbar ohne einen erwähnenswerten Teil der auf diesem Gebiet arbeitenden Wissenschaftler dazu befragt zu haben, behaupten sie, die meisten TSE-Forscher hätten die Produktion von Mäusen ohne Prionproteine für nicht lebensfähig und deren Produktion damit für aussichtslos gehalten und alle seien ob des Erfolges der Züchtung völlig gesunder, unauffälliger Prion-freier Mäuse verblüfft gewesen. Diese Feststellung ist jedoch nicht belegbar und demonstriert darüber hinaus einen Mangel an naturwissenschaftlichem Denken. Selbst der Tod der so manipulierten Mäuse in einer bestimmten Phase der Embryonalzeit hätte schon interessante Aufschlüsse über die Funktion des Prionproteins geliefert. Das einzige etwas enttäuschende Ergebnis eines Knock-Out-Experimentes wäre das Ausbleiben erkennbarer Effekte. Entgegen der Behauptung der offenbar mit der TSE-Literatur nicht besonders vertrauten Autoren sind die Prionprotein-freien Mäuse aber keineswegs völlig unauffällig, sondern sie zeigen wissenschaftlich interessante Störungen [ACTL,ACTK,ACTY,AOFI,AEUR,AFQX,AFQW,AGFO,AOGN,AKIK,ALRT,ALRS,ALVC,AMLA,AMRU].
Bezeichnend für die Naivität der Autoren ist auch deren Aussage, man benötige eine größere Menge Rinderprionen, um ein menschliches Prionprotein in die pathologische Gestalt zu überführen. Zudem relativieren sie damit ihre vorhergehende Aussage, ein Prionprotein X könne ein Prionprotein Y gar nicht zum Umfalten bringen. Man stelle sich einmal bildlich vor, wie ein einzelnes Rinderprion nach vergeblicher Anstrengung seine Kameraden zu Hilfe holt, um mit vereinten Kräften ein sich verzweifelt wehrendes, menschliches Prionprotein zu verbiegen! Dabei erscheint naheliegend, dass kaum mehr als ein einziges Prion an ein normales Prionprotein andocken kann und deshalb auch nicht mehr als ein einziges Prion für die Umwandlung normaler Prionproteine und den Beginn einer BSE-Infektion notwendig sein kann. Anderenfalls wäre wäre ja auch die Definition des Prions als infektiöses Teilchen nicht erfüllt. Die Prion-Hypothese und die bekannten Eigenschaften der Prionen sprechen daher dafür, dass mit der Zahl der aufgenommenen Prionen nur die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zunimmt, weil jedes Prion nur eine sehr geringe Erfolgschance hat. Verglichen mit 10 Spielern ist ja auch bei 10.000 Spielern die Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinnes nicht für jeden einzelnen, sondern nur für die Summe aller Spieler größer.
Nicht nachvollziehbar ist auch die Meinung der Autoren, nvCJK-Inkubationszeiten von mehr als 40 Jahren könnten mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Immerhin traten bei der durch Kannibalismus übertragenen CJK-Variante Kuru noch Jahrzehnte nach dem Kannibalismusverbot neue Erkrankungen auf [AFRG,ACLH,AHDK]. Bei humanen BSE-Infektionen muß man wegen der Speziesbarriere sogar mit deutlich längeren mittleren und maximalen Inkubationszeiten als bei Kuru rechnen. Selbst mit dauerhaft subklinischen Infektionen ist bei Menschen mit nicht erhöhter Produktion normaler Prionproteine zu rechnen [AOHQ].
Die Autoren verstehen auch immer noch nicht, dass man die Zahl der BSE-bedingten CJK-Fälle gar nicht seriös vorhersagen kann, weil völlig unbekannt ist, wieviel Prozent der gesamten britischen Bevölkerung überhaupt empfänglich genug war, um trotz der Speziesbarriere zwischen Rind und Mensch mit verhältnismäßig sehr kurzen Inkubationszeiten nach BSE-Infektionen an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu sterben. Bekannt ist, dass bisher ausschließlich Menschen betroffen waren, die zu den weniger als 40% [AJDZ,AAFZ] der britischen Bevölkerung gehörten, die in allen ihren Prionproteinen an der Position 129 ein Methionin aufweisen. Wir wissen aber nicht, ob bzw. nach wievielen Jahren Menschen an BSE-Infektionen erkranken werden, die an dieser Position teilweise oder ausschließlich die Aminosäure Valin besitzen. Bekannt ist auch, dass bisher fast ausschließlich Menschen erkrankten, die besonders jung infiziert worden sein müssen. Wir wissen aber nicht, ob bzw. nach wievielen Jahren die Menschen erkranken, die schon älter waren, als sie infektiöses Material aufnahmen. Bekannt ist weiterhin, dass die vielen genetischen und äußeren Einflüssen unterworfene Menge des auf der Zelloberfläche befindlichen Prionproteins die Empfänglichkeit für Infektionen und die Inkubationszeit beeinflussen [ABZS,AHTY,AETD,ANYL,AOHQ]. Bei Mäusen konnte gezeigt werden, dass außer der Sequenz des Prionproteins noch eine ganze Reihe anderer genetischer Faktoren auf mehreren Chromosomen erheblichen Einfluß auf die Inkubationszeit besitzt [AHMK,AHMJ]. Auch äußere Einflüsse können Menschen und andere Tiere besonders empfänglich für tödliche Infektionen machen [ANYP]. Wir wissen aber nicht, welche Verteilung unterschiedlicher Empfänglichkeiten und Inkubationszeiten sich aus der Summe dieser teilweise noch unbekannten Faktoren für die britische Bevölkerung ergibt. Völlig klar ist nur, dass man aufgrund der genannten Unwägbarkeiten nicht von den bisher an der nvCJK erkrankten Briten auf die gesamte britische Bevölkerung schließen kann und das deswegen eine Extrapolation von den bisherigen Fällen auf die Gesamtzahl der Fälle von nvCJK in England unmöglich ist [AHMK,AHMJ].
Wie Experimente mit gentechnisch veränderten, menschliches Prionprotein exprimierenden Mäusen zeigten [AAUB], muß es auch durchaus nicht so sein, dass alle tödlich mit BSE infizierten Menschen das typische Bild einer nvCJK zeigen. Opfer von BSE-Infektionen könnten sich daher auch unter den sporadischen CJK-Fällen verbergen und daher könnte ihre Zahl deutlich größer als bisher vermutet sein.
Geprägt von Wissenslücken und falschen Annahmen ist auch die nvCJK-Prognose der Autoren für Deutschland. Als potentiell gefährlich für die Konsumenten betrachten sie allein erkrankte Tiere und ignorieren die Tatsache, dass sich die Infektiosität bereits Jahre vor der Erkrankung in den Rindern vermehrt. Für England zeigt ja die britische BSE-Statistik klar, dass die allermeisten BSE-Rinder in ihren ersten Lebenswochen infiziert wurden (http://www.heynkes.de/peaks.htm). Außerdem scheinen sie nicht zu wissen, dass selbst in Deutschland nur 70% aller Rinder überhaupt auf BSE gestestet werden. In 2001 wurden in Deutschland 2.856.337 Tests durchgeführt [ANZJ]. Dem standen 4.170.000 gewerbliche Schlachtungen [SBSW] gegenüber, sodaß 2001 nur 68,5% der geschlachteten Rinder auf BSE getestet wurden. 2002 wurden in Deutschland 3.030.542 Tests durchgeführt [ANPA]. Dem standen 4.226.000 gewerbliche Schlachtungen [SBSW] gegenüber, sodaß 2002 nur 71,7% der geschlachteten Rinder auf BSE getestet wurden. Zusammen genommen für die Jahre 2001 und 2002 sind das 5.886.879 BSE-Tests auf 8.396.000 gewerbliche Schlachtungen, und das entspricht einer Testquote von 70%.
Die Autoren bedenken auch nicht, dass bei vielen Rindern der BSE-Test in einem Alter angewendet wird, in welchem selbst bei infizierten Tieren noch kein positives Testergebnis zu erwarten ist. Mehr als ein Viertel der in Deutschland durchgeführten BSE-Tests werden freiwillig an weniger als 2 Jahre alten Rindern vorgenommen, bei denen ein positives Testergebnis auch im Falle einer Infektion praktisch ausgeschlossen ist [ANZJ,ANPA]. Diese aus Sicht des Verbraucherschutzes völlig sinnlosen BSE-Tests sind eine reine Marketing-Maßnahme und verfälschen im Vergleichmit anderen EU-Staaten das Verhältnis der positiven zur Gesamtzahl der durchgeführten Tests nach unten. Rund ein Achtel der deutschen BSE-Tests betrifft 24-30 Monate alte Rinder [ANZJ,ANPA], bei denen im Falle einer Infektion die Konzentrationen des pathologischen Prionproteins im Hirnstamm nur sehr selten für ein positives Testergebnis ausreicht.
Bei diesen Tieren ist es eine politische Entscheidung, ob
Die meisten Rinder werden ja geschlachtet oder getötet, bevor sie BSE-Symptome entwickeln oder auch nur nachweisbare Konzentrationen des pathologischen Prionproteins im Hirnstamm akkumulieren können. Die gefundenen BSE-Fälle stellen nur die Spitze eines Eisberges dar, weil fast alle männlichen und auch viele weibliche Rinder vor Vollendung des zweiten Lebensjahres geschlachtet Mastrinder sind und weil die durchschnittliche Inkubationszeit von BSE kaum kürzer als die durchschnittliche Lebenserwartung einer modernen Milchkuh ist. Die folgende, aus den beiden EU-Berichten über die BSE-Testaktivitäten in den Jahren 2001 und 2002 (Table 23, 24 und 25 für 2001, sowie Table 26 und31 für 2002) zusammen gefasste Tabelle verdeutlicht dies:
Tabelle: Getestete Rinder in zurück gerechneten Altersgruppen
2001[ANZJ] 2002[ANPA]
getestet Anteil Inzidenz getestet Anteil Inzidenz
[%] pro 10.000 [%] pro 10.000
<24 726.275 25,4% 774.723 25,56% 0,00
24-30 405.652 14,2% 0,05 371.780 12,27% 0,00
31-36 262.903 9,2% 0,00 863.819 28,50% 0,00
37-42 189.047 6,6% 0,00 124.958 4,12% 0,00
43-48 162.757 5,7% 0,06 112.206 3,70% 0,00
49-54 148.009 5,2% 0,68 109.500 3,61% 0,37
55-60 137.014 4,8% 2,34 97.166 3,21% 0,93
61-66 123.784 4,3% 2,67 90.652 2,99% 0,99
67-72 112.811 3,9% 2,66 77.476 2,56% 1,68
73-78 99.955 3,5% 0,60 71.318 2,35% 3,51
79-84 87.903 3,1% 0,57 59.979 1,98% 3,83
85-90 74.818 2,6% 0,27 53.009 1,75% 1,89
91-96 64.624 2,3% 0,15 43.427 1,43% 1,15
>96 260.785 9,1% 0,12 180.529 5,96% 0,44
Summe 2.856.337 99,9% 3.030.542 100,00%
So gelangen die Autoren aufgrund unzureichender Kenntnisse über die landwirtschaftliche Praxis zu einer völlig unrealistischen Einschätzung der Zahl BSE-infizierter Rinder in Deutschland. Richtig ist einzig die Feststellung, dass BSE-bedingte Fälle von Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verglichen mit den häufigsten Todesursachen derzeit zumindest zahlenmäßig keine große Rolle spielen. Aber das wird ohnehin von niemandem bestritten.
Erschreckend schlampig recherchiert ist auch die Angabe der Autoren, es seien in der EU bis zum April 2002 circa 8 Millionen Schlachtrinder getestet worden und davon seien weniger als 200 Tests positiv ausgefallen. In Wirklichkeit fand man in Europa allein im Jahr 2001 bei 7.677.576 gesund erscheinenden Schlachtrindern per Schnelltest 279 BSE-Infektionen [ANZJ].
Auf der Grundlage ihrer falschen Zahlen rechnen die Autoren munter drauf los, aber ihre Kalkulation ergibt wenig Sinn. Von den unzutreffenderweise mit weniger als 200 angegebenen positiven Testergebnissen bei rund 8 Millionen gesund erscheinenden Schlachtrindern rechnen sie hoch auf insgesamt maximal 1000 klinisch gesunde, aber im BSE-Test positive Tiere unter den 40 Millionen erwachsenen Rindern in ganz Europa. So simpel darf man aus verschiedenen Gründen nicht rechnen.
Erstens stellen die geschlachteten und getesten Rinder keine zufällige Auswahl aus der Gesamtzahl der erwachsenen Rinder dar. Geschlachtet werden nämlich im testpflichtigen Alter überwiegend Kühe mit gesundheitlichen oder zumindest konditionellen Problemen bzw. Leistungsrückgang. Deshalb darf man diese Gruppe nicht einfach als repräsentative Stichprobe für die Gruppe der gesunden Tiere werten. Auch entspricht die Altersverteilung der Schlachtkühe nicht der Altersverteilung aller erwachsenen Kühe. Letztlich gelangt jede das Ende ihrer Nutzungsperiode erlebende Kuh zur Schlachtung. Das Durchschnittsalter der geschlachteten Kühe liegt daher deutlich über dem der noch in der Produktion stehenden Kühe. Damit ist auch in dieser Gruppe das Risiko größer, dass eine BSE-Infektion im Schnelltest erkannt werden kann. Es ist aber kaum abschätzbar, wieviel weniger BSE-positive Testergebnisse man erhalten würde, wenn man wirklich rein zufällig von den Weiden ausgewählte Kühe testen würde.
Hierzu noch eine Überlegung: Da alle über 24 Monate alten Kühe getestet werden, egal ob sie geschlachtet wurden oder verendeten, stellen diese Tiere jeweils eine 100%ige Stichprobe ihres Geburtsjahrgangs dar, die das Testalter erreicht hat. Das bedeutet, wenn die letzte Kuh eines Geburtsjahrgangs geschlachtet wurde, hat man zumindest einen ungefähren Überblick über die Zahl der in diesem Geburtsjahrgang infizierten und in einem mittels Test erkennbaren Inkubationszustand gewesenen Tiere.
Zweitens unterscheiden sich die normal geschlachteten Rinder kaum von solchen, die zufällig nicht geschlachtet wurden, bevor sie ohne erkennbare BSE-Symptome starben oder wegen anderer Erkrankungen getötet wurden. Selbst die wenigen in Deutschland tatsächlich an BSE erkrankten Kühe hätten eine Woche vor ihrer Erkrankung noch normal geschlachtet werden können und wären erst durch den BSE-Test aufgefallen. Es gibt daher keinen vernünftigen Grund, statt aller deutschen BSE-Fälle nur die positiv getesteten Schlachtkühe zu berücksichtigen. Im Gegenteil verfälscht das Ausblenden der verendeten, krank getöteten oder bereits BSE-verdächtigen Rinder - immerhin rund 2/3 der deutschen BSE-Fälle - die Hochrechnung der Autoren massiv nach unten. Das Verhältnis zwischen scheinbar gesund geschlachteten und verendeten oder krank getöteten Rindern hängt zudem wesentlich von der Aufmerksamkeit und den Zielen der Bauern ab. Aufmerksame Bauern erkennen individuelle Verhaltensänderungen der ihnen vertrauten Tiere lange bevor diese von einem Tierarzt diagnostiziert werden können. Bauern können daher die nur ihnen verdächtig erscheinenden Tiere entweder noch normal schlachten lassen, oder diese dem Tierarzt als Verdachtfälle melden.
Drittens hat die genaue Überprüfung deutscher BSE-Fälle gezeigt, dass bei der Einteilung in gesund oder krank geschlachtete, an anderen Krankheiten erkrankte, gestorbene, oder mit BSE-Symptomen erkrankte Rinder häufig Fehler gemacht werden. Oft stellt sich im Nachhinein heraus, dass scheinbar unauffällig Tiere doch bereits Symptome gezeigt hatten, die für Fachleute verdächtig gewesen wären.
Viertens unterscheiden sich jung bzw. alt geschlachtete Rinder extrem hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass bestehende BSE-Infektionen durch Schnelltests erkannt werden. Diese reagieren ja erst sehr spät, nämlich ungefähr im letzten Zehntel der Inkubationszeit. Um von den gefundenen BSE-Fällen auf die BSE-Inzidenz der Gesamtpopulation schließen zu können, müsste man also für jede Altersgruppe zusätzlich eigene Korrekturfaktoren zur Kompensation der unterschiedlichen Testempfindlichkeit benutzen.
Fünftens hat jeder Geburtsjahrgang sein eigenes Infektionsrisiko und dabei gibt es auch noch starke regionale Unterschiede. Deshalb kann man eigentlich nur von den BSE-Fällen eines Geburtsjahrganges auf die BSE-Häufigkeit in diesem Geburtsjahrgang schließen, und man müsste sogar noch regionale Unterschiede im zeitlichen Verlauf der Epidemie berücksichtigen. Den räumlich-zeitlichen Verlauf einer Epidemie kann man aber frühestens in ihrer Abklingphase erkennen.
Die Summe all dieser Verfälschungsfaktoren ist unkalkulierbar und eine sinnvolle Extrapolation von den gefundenen BSE-Fällen auf die tatsächliche Häufigkeitsverteilung der noch nicht entdeckten BSE-Infektionen im heutigen deutschen Rinderbestand wäre nur auf der Grundlage eines populationsdynamischen Modells möglich. Dieses müsste man dann allerdings mit den entsprechenden Daten über die Stärke jedes Geburtsjahrganges und dessen geschlechtsspezifische Ausdünnung im Verlauf von 2 Jahrzehnten füttern. Die Kalkulation der Autoren ist somit unsinnig und beweist ein nur Defizit bei der Wahrnehmung der Komplexität seriöser epidemiologischer Forschung.
Davon abgesehen sind natürlich nicht nur die kurz vor der Erkrankung stehenden und deshalb nach der Schlachtung BSE-positiv getesteten Rinder relevant für die Gefährdung des Menschen. Infizierte Rinder beherbergen ja schon durchschnittlich 5 Jahre vorher - nämlich ab der erfolgten Infektion - infektiöse Prionproteine in ihrem Körper. Wir wissen bis heute nicht genau, entlang welcher anatomischer Strukturen sich die Erreger im Rind ausbreiten und welche räumliche Verteilung sich daraus in unterschiedlichen Stadien der Inkubation ergibt. Ebenso ist auch für die meisten Rindergewebe unbekannt, welche Konzentrationen der Erreger in ihnen im Laufe der Inkubationszeit erreichen kann und was dies für die Konsumenten bedeutet.
AD Professor Dr. Sucharit Bhakdi ; Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Hochhaus am Augustusplatz, 55101 Mainz, E-mail: sbhakdi@mail.uni-mainz.de ; Dr. Jürgen Bohl ; Institut für Pathologie, Abteilung für Neuropathologie, Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität, Langenbeckstraße 1, 55101 Mainz, E-mail: jbohl@neuropatho.klinik.uni-mainz.de
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