NR ANVT
AU Kurzenhäuser,S.
TI Risikokommunikation in der BSE-Krise. Illusorische Sicherheit und Transparenz
QU Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2001 Apr; 44(4): 336-40
AB Discussion of BSE risks involves many open questions. For example, we lack important information on the mechanism of transmission between cows and humans, technologies to diagnose the infection are not yet fully developed and political regulations for consumer protection have yet to prove their efficacy under applied conditions. This paper concerns the question of how experts from politics, science and biotechnology currently inform consumers about such uncertainties. Experts frequently try to give the impression of certainty, although there is none. The resulting illusion of certainty can deceive the public and leads, once revealed, to a loss in trust and an increase in risk perception. An alternative and more transparent way of communicating risk information is presented.
VT
Zusammenfassung
Viele offene Fragen bestimmen die Diskussion über BSE-Risiken. So fehlen zum Beispiel zentrale Informationen zur Übertragung der Krankheit vom Rind auf den Menschen, Technologien zur Diagnose der Infektion sind noch nicht voll entwickelt und politische Verordnungen zum Verbraucherschutz müssen sich erst noch in der Praxis bewähren. Wie bewältigen Experten aus Politik, Wissenschaft und Biotechnologie die Aufgabe, den Verbraucher über derartige Unsicherheiten aufzuklären? Experten versuchen häufig, trotz der zugrunde liegenden Unsicherheiten einen Eindruck von Sicherheit zu vermitteln. Solche illusorische Sicherheiten können den Verbraucher irreführen, und ihre Enthüllung kann zu Vertrauensverlust und gesteigerter Risikowahrnehmung führen. Am Beispiel der BSE-Schnelltests wird gezeigt, wie selektive Informierung über die Zuverlässigkeit der Tests zum Eindruck illusorischer Sicherheit führen kann. Als Alternative dazu wird eine Methode vorgestellt die es ermöglicht, statistische Informationen auf verständliche Weise zu kommunizieren. Abschließend wird die Bedeutung einer transparenten Verbraucherinformation über Unsicherheiten im Zusammenhang mit BSE diskutiert.
Schlüsselwörter
BSE - Risikokommunikation - Illusorische Sicherheit - Unsicherheit - Verbraucherschutz
- Wie werden Verbraucher über die mit BSE verbundenen Unsicherheiten informiert?
- Wie beeinflusst die Art der Aufklärung die öffentliche Risikowahrnehmung?
Unsicherheiten in der BSE-Krise
"Die Verbraucher sind verunsichert " - diese Feststellung dominierte in den vergangenen Wochen die Berichte über die Rinderseuche BSE. Viele weitere Beispiele dieser Art zeigen, dass Sicherheit und Unsicherheit zentrale Themen in der BSE-Krise sind: "Deutsches Rindfleisch ist sicher" [1], "BSE: Keine absolute Sicherheit für den Verbraucher" [2], "Nur Vegetarier leben sicher" [3], "Im Rinderwahn gehen auch die letzten Sicherheiten zugrunde." [4] Was bedeutet Unsicherheit? Die Zitate zeigen, dass sich Unsicherheit auf so verschiedene Dinge beziehen kann wie Ereignisse, Zustände, Bewertungen und vieles mehr. Unsicherheit liegt dann vor, wenn das Eintreten eines Ereignisses nicht vollständig vorhergesagt oder der Wahrheitsgehalt einer Aussage nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, etwa wenn der Zufall im Spiel ist oder ein Mangel an Wissen vorliegt [5]. Mangel an Wissen ist eine der Hauptursachen von Unsicherheit im Zusammenhang mit der Rinderseuche BSE und der den Menschen betreffenden, neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJK). Insbesondere zentrale Fragen zur Übertragung der Erkrankung vom Rind auf den Menschen, Infektionsweg und Infektionsdosis sind noch nicht geklärt [6]. Weiterhin ist unklar, wie viele infizierte Rinder es in Deutschland gibt und wie viele davon in der Vergangenheit in die Nahrungskette gelangt sind. Dazu möchte ich in diesem Artikel vor allem folgende Fragen diskutieren:
Unsicherheit und Risikowahrnehmung
Unsicherheit und Risiko sind zwei Konzepte, die in enger Beziehung zueinander stehen und häufig sogar synonym gebraucht werden. Streng genommen ist Unsicherheit jedoch nur dann als Risiko zu bezeichnen, wenn sie quantifiziert werden kann, also beispielsweise als Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit ausgedrückt wird [7]. Meist wird Risiko definiert als Möglichkeit eines Schadens, und die Höhe des Risikos wird bestimmt durch das erwartete Ausmaß des Schadens, gewichtet mit der Wahrscheinlichkeit einer Realisierung [8]. Für Verbraucher stellt sich im Zusammenhang mit BSE die Frage nach der Höhe von Gesundheitsrisiken: Wie hoch ist beispielsweise das Risiko eines Jugendlichen, an nvCJK zu erkranken? Ist das Risiko größer, wenn er in der Vergangenheit besonders viel Fastfood konsumiert hat? Solche Fragen lassen sich derzeit nicht zufriedenstellend beantworten. Zwar ist das Schadensausmaß bekannt, denn bislang endet jede nvCJK-Erkrankung tödlich, aber die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist aufgrund des Mangels an Wissen und der immer noch äußerst geringen Zahl an nvCJK-Erkrankungen nur schwer zu schätzen. Wahrgenommen wird dieses schwer einzuschätzende Risiko in der Öffentlichkeit dennoch: In einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts fühlte sich fast die Hälfte der Befragten "persönlich durch die Rinderseuche BSE gefährdet"[9].
"Ein Großteil der Bevölkerung fühlt sich in aktuellen Meinungsumfragen persönlich durch BSE gefährdet."
Solche Risikoeinschätzungen entstehen, weil Menschen neben Schadensausmaß und -wahrscheinlichkeit noch eine Reihe anderer Informationen nutzen, um Risiken zu charakterisieren und zu bewerten [8,10,11]. Auch bei dieser Risikobewertung spielt Unsicherheit, und zwar der bereits genannte Mangel an Wissen, eine Rolle: Gerade neue Risiken, über die noch wenig bekannt ist, und deren Konsequenzen nicht überschaubar sind, können zu einer erhöhten Risikowahrnehmung führen. Außerdem wird ein Risiko als umso größer wahrgenommen, wenn es Katastrophenpotential hat (also viele Menschen stark negativ betreffen kann), dass es Furcht auslöst, nicht kontrollierbar erscheint oder unfreiwillig eingegangen werden muss.
Bezieht man diese Aussagen auf BSE, so wird deutlich, warum die Rinderseuche große Besorgnis hervorruft, noch bevor es in Deutschland einen bestätigten nvCJK-Fall gibt: Da die primäre Ansteckungsquelle Rindfleisch ein Grundnahrungsmittel ist, ist ein sehr großer Teil der Bevölkerung potentiell betroffen. Der tödliche Verlauf von nvCJK und der völlige Verfall der Erkrankten flößt Furcht ein. Überdies waren Verbraucher dem Risiko über Jahre unfreiwillig ausgesetzt, die Ansteckungsgefahr war Anfang der 1990er Jahre noch sehr viel größer als heute (dazu titelte ein Artikel im Spiegel treffend: "Das Problem ist gegessen." [12]). Aber auch heute gibt es nur begrenzt Möglichkeiten zur Kontrolle des Risikos: Zum einen sind noch nicht alle Übertragungswege der Infektion bekannt, zum anderen können Verbraucher die Zusammensetzung der Nahrungsmittel meist nicht genau überprüfen [13] und so nicht feststellen, ob ein Produkt beipielsweise wirklich "rindfleischfrei" ist.
Kommunikation von Unsicherheit
Wie werden die Verbraucher über Unsicherheiten in der BSE-Krise informiert? Mit dem Wiederaufflammen der Krise im letzten Jahr setzte eine umfassende Berichterstattung aller Medien ein; auch Behörden und Verbände waren bemüht, die Öffentlichkeit über Pressemitteilungen, Verbraucherhotlines und Informationssammlungen umfassend zu informieren. Statt aus dieser Fülle an Material einzelne Publikationen herauszugreifen, möchte ich im Folgenden eine Variante der Risikokommunikation besprechen, die in vielen Publikationen zu finden ist: die Vermittlung von illusorischer Sicherheit.
Eine Illusion der Sicherheit entsteht, wenn trotz zugrunde liegender Unsicherheit eine "sichere "Interpretation der Gegebenheiten erfolgt [7]. Obwohl die beschriebenen Unsicherheiten die BSE-Krise von Anfang an begleitet haben, haben deutsche Politiker und Verbandsprecher jahrelang illusorische Sicherheit vermittelt. Die Behauptung "Deutsches Rindfleisch ist sicher "wurde selbst angesichts immer erdrückenderer Gegenevidenz aufrechterhalten [1,14]. Der so beruhigte Verbraucher wurde jedoch spätestens am 2.11.2000 durch den ersten deutschen BSE-Fall schmerzhaft eines Besseren belehrt. Welche Konsequenzen können solche nicht eingehaltenen Sicherheitsversprechen für den Risikokommunikationsprozess haben?
"Deutsche Politiker und Verbandssprecher haben jahrelang eine illusorische Sicherheit vermittelt."
Wenn Politiker ihre Aussagen revidieren, muss das nicht automatisch zu negativen Konsequenzen führen, die Korrektur kann im Sinne eines Hinzulernens aufgrund neuer Sachlage durchaus positiv bewertet werden. Handelt es sich allerdings um eine falsche Interpretation der Sachlage, leidet die Glaubwürdigkeit des Verantwortlichen und der Institution, die er vertritt. Insbesondere wenn der Eindruck entstehen sollte, dass die Verantwortlichen Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit ihrer Aussagen hatten und diese aufgrund eigennütziger Motivation veröffentlicht haben, sind besonder negative Bewertungen der Verantwortlichen durch die Öffentlichkeit zu erwarten (zur Lügenbewertung siehe [15]). Da die Bewertung von Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit einer Institution stark von der wahrgenommenen Sorge derselben um ihre Zielgruppe ("concern and care", [16]) abhängig ist, kann die Annahme primär eigennütziger Handlungsmotivation das Vertrauen in die Institution nachhaltig zerstören. Ein solcher Vertrauensverlust beeinflusst die weitere Akzeptanz von Maßnahmen zum Risikomanagement ungünstig [16,17]. Als weitere Konsequenz nicht eingehaltener Sicherheitsversprechen ist zu erwarten, dass mit dem Verlust der vermeintlichen Sicherheit die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten zur Risikokontrolle herabgesetzt wird, was wiederum zu einer höheren Risikoeinschätzung führen kann.
BSE-Schnelltests als Maßnahme des Verbraucherschutzes
Die BSE-Krise in Deutschland führte zu einer Neustrukturierung des Bundeslandwirtschaftsministerium zum Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Propagiert wird seitdem eine Stärkung des Verbraucherschutzes, und eine Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die Ausweitung der BSE-Schnelltests. Ziel der neuen Ministerin Renate Künast ist es, dass in Deutschland nur noch BSE-getestetes Fleisch verkauft wird [18]. Für den Verbraucher stellt sich nun die Frage, wie zuverlässig die verwendeten Schnelltests sind, und welche Aussagekraft die Bezeichnung "BSE-getestet " tatsächlich hat. Hierzu findet sich in den Veröffentlichungen des Ministeriums und vielen Presseberichten die folgende Information: Negative Testergebnisse können keine BSE-Freiheit garantieren. Grund ist, dass für die Schnelltests eine relativ hohe Erregerkonzentration für den Nachweis benötigen. Enthält das getestete Gewebe zu wenige Erreger, etwa weil die Krankheit sich noch im Anfangsstadium befindet, kann der Test eine etwaige Infektion nicht erkennen. Die Information der Öffentlichkeit über diese Möglichkeit von unzutreffenden negativen Testergebnissen stellt ein lobenswertes Beispiel für eine explizit benannte Unsicherheit in der BSE-Krise dar. Trotzdem zeigten sich die Medien überrascht, als die ersten Meldungen über fehlerhafte Schnelltestergebnisse Mitte Januar bekannt wurden, so war zum Beipiel zu lesen: "Im Rinderwahn gehen auch die letzten Sicherheiten zugrunde. Der meistbenutzte Schnelltest hat eine BSE-Kuh nicht erkannt."[4]
Selektive Information
Die Überraschung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Informationen über die Aussagekraft der in Deutschland verwendeten Schnelltests nicht transparent und eindeutig ist. Beipielsweise weisen beide Testhersteller [19] unter Bezugnahme auf eine Evaluationsstudie der EU [19] darauf hin, dass ihre Tests über eine Sensitivität und Spezifität von 100% verfügen. Das bedeutet, dass in dieser Studie beide Tests alle BSE-infizierten Gewebeproben korrekt als infiziert, d.h. "positiv", angezeigt haben (100% Senitivität), und dass alle gesunden Gewebeproben korrekt als nicht infiziert, d.h. "negativ", identifiziert wurden (100% Spezifität). Im Studienbericht ist neben diesen Ergebnissen allerding auch die folgende Aussage zu lesen: "No diagnostic test is 100% perfect, in respect of its ability to correctly detect infected and uninfected animals. (....) All diagnostic tests have a level of false positives and false negatives."
Wie passen diese Aussagen zusammen? In der EU-Studie wurde unterschieden zwischen Fehlern, die auf Versagen des Tests zurückgehen und Fehlern, die auf Versagen des "Labors"zurückgehen, also Fehlern bei der Testdurchführung wie Verwechslungen, Verunreinigung der Proben oder ähnliches. In der EU-Studie ging es primär um die Leistungsfähigkeit der Tests, deshalb wurden Optimalbedingungen für die Testungen geschaffen und die "Laborfehler", die durchaus auftraten, getrennt berichtet von Testfehlern, die hier nicht auftraten. Die von den Herstellern berichtete Sensitivität und Spezifität von 100% bedeutet also, dass es in der EU-Studie bei optimalen Testbedingungen zu keinen Fehlern kam, die auf ein Versagen der Tests zurückzuführen waren.
"Selektive Informationsdarbietung ist eine zweite, eine indirektere Möglichkeit, die Illusion von Sicherheit zu erzeugen."
Wichtig ist jedoch, dass die Trennung zwischen Testperformanz und Laborperformanz für den Verbraucher wenig sinnvoll ist. Um beurteilen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Steak, das als "BSE-getestet "in den Handel kommt, tatsächlich auch BSE-frei ist, ist für ihn weniger die Ursache der auftretenden Fehler relevant, ondern die Häufigkeit fehlerhafter Testergebnisse. Wenn hierzu nur ein Teil der relevanten Information mitgeteilt wird, ist eine korrekte Ein chätzung dieser Wahrscheinlichkeit erschwert.
Selektive Informationsdarbietung ist neben expliziten Sicherheitsversprechen eine zweite, indirektere Möglichkeit, eine Illusion von Sicherheit zu erzeugen. Bleibt es bei einer unvollständigen und teilweise widersprüchlichen Art der Informierung der Verbraucher über die Aussagekraft von BSE-Schnelltest, dann ist die Gefahr groß, dass hier eine neue illusorische Sicherheit geschaffen wird (zumal die Schnelltests eingesetzt werden als Teil der Verbraucherschutzmaßnahmen mit dem Ziel, "das Vertrauen in die Qualität und Sicherheit der Lebensmittel wieder herzustellen "[18]).
Transparente Kommunikation von diagnostischen Testergebnissen
Wie müsste eine transparente Art der Kommunikation über die Bedeutung von diagnostischen Testergebnissen aussehen? Kann man Laien statistische Informationen über Sensitivität und Spezifität von Tests überhaupt verständlich erklären? Die Antwort ist ja. Voraussetzung ist, dass eine geeignete Form der Präsentation statistischer Informationen gewählt wird. Diese werden häufig als Wahrscheinlichkeit oder Prozentwert ausgedrückt, zum Beispiel wird die Sensitivität und Spezifität der beiden in Deutschland verwendeten BSE-Schnelltests in der EU-Evaluationsstudie, auf den Informationsseiten der Hersteller und in Presseberichten mit jeweils 100% angegeben.
Wie gut werden Testergebnisse verstanden?
In verschiedenen Studien (einen Überblick geben [20,21]) wurde überprüft, wie gut Laien und Experten die Bedeutung eines positiven Testergebnisses verstehen können, wenn ihnen die statistischen Informationen in einem solchen Wahrscheinlichkeitsformat vorgelegt werden. Beispielsweise lautete eine Aufgabe aus dem Bereich der Medizin: "Die Wahrscheinlichkeit, dass eine symptomfreie Frau zwischen 40 und 50 Jahren Brustkrebs hat, beträgt 1% (Prävalenz). Wenn eine Frau Brustkrebs hat, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Screening-Mammographie einen positiven Befund erhält, 80% (Sensitivität des Tests). Wenn eine Frau jedoch nicht Brustkrebs hat, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sie dennoch bei einer Screening-Mammographie einen positiven Befund erhält, 9,6% (Falsch-alarm-Rate des Tests = 1-Spezifität). Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine symptomfreie Frau zwischen 40 und 50 Jahren tatsächlich Brustkrebs hat, wenn sie einen positiven Befund bei einer Screening-Mammographie erhält?" Es stellte sich heraus, dass bei Aufgaben diesen Typs nur wenige Versuchsteilnehmer in der Lage sind, die korrekte Antwort (7,8%) zu ermitteln, die meisten Schätzungen lagen deutlich darüber und überschätzten damit die Sicherheit, die ein positives Testergebnis im Hinblick auf die vermutete Diagnose bietet, deutlich.
Wenn jedoch die gleichen tatistischen Angaben nicht als Wahrscheinlichkeiten, sondern in Form von "natürlichen Häufigkeiten "darge tellt werden (siehe [22] für eine ausführliche Erläuterung dieser peziellen Form von Häufigkeiten), verbessern ich diese Einschätzungen deutlich: "Von 1000 symptomfreien Frauen zwischen 40 und 50 Jahren haben zehn Brustkrebs. Von den genannten zehn Frauen, die Brustkrebs haben, erhalten acht einen positiven Befund bei einer Screening-Mammographie.Von den verbleibenden 990 Frauen, die nicht Brustkrebs haben, erhalten dennoch 95 einen positiven Befund bei einer Screening-Mammographie. Stellen Sie sich eine Gruppe symptomfreier Frauen zwischen 40 und 50 Jahren vor, die alle einen positiven Befund in der Screening-Mammographie erhalten haben. Wie viele von ihnen haben tatsächlich Brustkrebs?" Im Unterschied zur vorher genannten Version der Aufgaben wird hier unmittelbar deutlich, dass von insgesamt 8+95=103 Frauen mit positiven Befunden nur acht Frauen dabei sind, die tatsächlich Brustkrebs haben. In einer Studie mit Ärzten tieg der Anteil richtiger Schätzungen mit der Darstellung von natürlichen Häufigkeiten auf 46%, während bei der Darstellung von Wahrscheinlichkeiten nur 10% der Antworten korrekt waren [23].
Grund für diesen Effekt ist zum einen, dass die notwendigen Berechnungen mit natürlichen Häufigkeiten deutlich einfacher sind als mit Wahrscheinlichkeiten. Zum anderen fällt uns aufgrund unserer Entwicklungsgeschichte der Umgang mit Häufigkeiten deutlich leichter als der mit Wahrscheinlichkeiten (ausführlicher dazu in [22]).
"Die verständliche Darstellung statistischer Informationen ist ein wichtiger Bestandteil der Aufklärung über Unsicherheiten."
Die Kommunikation von statistischen Informationen ist ein wichtiger Bestandteil der Aufklärung über Unsicherheiten. Das gezeigte Beispiel demonstriert, wie durch Nutzung einer geeigneten Repräsentation die Bedeutung von diagnostischen Testergebnissen verständlich dargestellt werden kann. Die Verwendung von natürlichen Häufigkeiten kann auch beim Thema BSE zu einer transparenten und anschaulichen Risikokommunikation beitragen -hier dürfte aus Verbrauchersicht v.a. die Bedeutung negativer BSE-Schnelltestergebnisse relevant ein, da negativ getestetes Fleisch in den Handel gelangt. Sobald neben den Angaben zur Sensitivität und Spezifität der BSE-Schnelltests auch differenzierte Daten über die Häufigkeit von BSE-Infektionen bei Schlachtrindern in Deutschland vorliegen, lässt ich der gezeigte Ansatz problemlos auch auf diesen Bereich übertragen.
Transparenz: Angebot und Nachfrage
Spricht man mit Experten verschiedener Fachrichtungen über das Thema "transparente Risikokommunikation ", wird häufig folgende Sorge geäußert: Ist es überhaupt ratsam, als Experte zuzugeben, dass man nicht "sicher" ist, und dass die eigenen Aussagen mit Unsicherheit behaftet sind? Wollen Ratsuchende davon überhaupt hören? Die befürchteten Nachteile einer Offenlegung von Unsicherheit beim Experten erscheinen teilweise berechtigt. In einer Studie über Umweltrisiken interpretierte die Mehrheit der Teilnehmer dies positiv als "Ehrlichkeit", einige sahen darin jedoch auch ein Zeichen von Inkompetenz [24]. Kann man beeinflussen, in welche Richtung sich diese Interpretationen wenden?
Die Autoren berichten hierzu einen interessanten Anhaltspunkt: Viele der Versuchsteilnehmer waren nicht vertraut mit der Tatsache, dass es Unsicherheit in der Wissenschaft gibt. Diejenigen, die dagegen der Aussage "It is typical of good science that the most likely estimate of what is being measured has a range of uncertainty around it "zustimmen konnten, waren weniger beorgt durch die Unsicherheitsdiskussion einer Behörde und interpretierten dies seltener als Inkompetenz.
Möglicherweise ist also die in der BSE-Krise festzustellende große Verunsicherung der Verbraucher auch Ergebnis der Tatsache, dass in vielen Bereichen von Wissenschaft, Rechtsprechung und Politik zu wenig öffentlich über Unsicherheit diskutiert wurde - und eine "Gewöhnung" der Verbraucher würde die Reaktionen auf Offenlegung von Unsicherheit normalisieren. Diese Idee ist ermutigend, denn es zeichnet sich ab, dass es in Zukunft häufiger zu derartigen Diskussionen kommen wird: zum einen, weil das traditionelle paternalistische Experten-Laien-Verhältnis in vielen Bereichen abgelöst wird von der Idee, dem Ratsuchenden autonome und informierte Entscheidungen zu ermöglichen (man vergleiche hierzu die Diskussion in der Medizin zu "informed consent", [17,25,26]), zum anderen, weil es aufgrund des technologischen Fortschritts immer seltener möglich ist, eine Wissensgrundlage zu erreichen, die hinreichend ist für eine "sichere "Entscheidung (siehe dazu die Probleme der Rechtsprechung im Bereich Gentechnik, [27]).
Schlussfolgerungen
Das Vorliegen von Unsicherheiten erfordert für sich genommen nicht automatisch Aufklärungsbemühungen. Unter Zeitdruck ist es sogar manchmal günstiger, sich auf eine schnelle Schätzung zu verlassen, statt erst alle Alternativen mit ihren jeweiligen Unsicherheiten genau zu bestimmen (zu den Vorteilen illusorischer Sicherheit siehe [7]). Spätesten aber, wenn der Mangel an Information über Unsicherheiten negative Folgen hat, weil er Entscheidungen über Risiken unvorteilhaft beeinflusst, ist eine umfassende Aufklärung der entscheidenden Personen notwendig. Dies gilt für BSE als ernährungsübertragenes Gesundheitsrisiko in besonderem Maße. Für den Verbraucher kann die Entscheidung, welche Nahrungsmittel er zu sich nimmt oder vermeidet, überlebenswichtig sein. In diesem Bereich ist es besonder vorteilhaft, sich nach Erfahrungen - vor allem Warnungen und Entwarnungen - von anderen über mögliche Risiken zu richten, um eine eigene Erkrankung zu vermeiden. Akkurate Informationen sind hier besonder wichtig, und da es noch nur wenige Informationen über die neue und seltene Krankheit nvCJK gibt, kommt der Aufklärung durch die wenigen Experten auf diesem Gebiet besonderes Gewicht zu.
"Spätestens, wenn Informationsmangel und Unsicherheiten negative Folgen haben, ist Aufklärung nötig."
Da das Thema BSE mit vielen Unsicherheiten verbunden ist, bedeutet akkurate Information auch Information über diese Unsicherheit. Unberechtigte Sicherheitsversprechen können weitreichende negative Konsequenzen für die falsch Beratenen - und in der Reaktion auch für die Beratenden - haben. Die selektive Darstellung von Unsicherheiten kann ebenfalls zu falschen Sicherheitsvorstellungen führen, und wie am Beispiel der Schnelltests gezeigt wurde, ist die Betonung einzelner Informationen auf Kosten anderer nur schlecht zu rechtfertigen, insbesondere wenn diese in enger Beziehung zueinander stehen. Zwar birgt das Offenlegen von Unsicherheit durch politische Institutionen auch die Gefahr von unerwünschten Rückschlüssen auf deren Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit, zumal gerade verunsicherte Verbraucher Sicherheit nachfragen. Meines Erachtens jedoch hat akkurate Aufklärung hier Vorrang.
Eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema Unsicherheit in der öffentlichen Risikokommunikation über BSE erscheint insbesondere dann geboten, wenn das Ziel der Kommunikation eine informierte, eigenverantwortlich entscheidende Verbraucherschaft sein soll. Für den Bereich der Kommunikation statistischer Information wurde gezeigt, dass die anspruchsvolle Aufgabe einer verständlichen Aufklärung durchaus lösbar ist. Auch wenn die Überwindung illusorischer Sicherheiten in diesem Bereich einen intensiven Diskussionsprozess zwischen Experten, politisch Verantwortlichen und Verbraucheröffentlichkeit erfordert, ist eine Vertagung dieser Diskussion kaum möglich. Denn mit der Frage, durch welche proteinreichen pflanzlichen Ersatzstoffe das verbotene Tiermehl ersetzt werden soll, ist das nächste (Un-)Sicherheitsthema bereits auf dem Tisch: "Die müssen heute schon größtenteils importiert werden, vor allem Soja aus Amerika, Brasilien und Argentinien. Etliches davon ist gentechnisch verändert - eine neue Quelle der Beunruhigung für die aufgeschreckten Verbraucher"[1].
Danksagung. Ich möchte G.Gigerenzer, U.Hoffrage, J.Hutchinson, S.Krauss, A.Lücking, J.Pflaum und A.Wilke für anregende Diskusionen und tatkräftige Hilfe bei der Erstellung dieses Artikels danken, sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Ho 1847/1-2)für die finanzielle Unterstützung.
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AD Stephanie Kurzenhäuser - Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Fachbereich Adaptives Verhalten und Kognition, Lentzeallee 94, 14195 Berlin, E-Mail: kurzenh@mpib-berlin.mpg.de
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PO Deutschland