NR ANWR

AU Burger,R.; Deicher,H.; Hitzler,W.E.; Klamm,H.; Kramer,M.; Kreil,T.; Kretzschmar,H.A.; Lefevre,H.; Löwer,J.; Nübling,M.; Pauli,G.; Seitz,R.; Volkers,P.; von Auer,F.; Zerr,I.; Willkommen,H.

TI Bericht der Arbeitsgruppe "Gesamtstrategie Blutversorgung angesichts vCJK"

QU Bericht der Arbeitsgruppe, August 2001

AB 0) Mit Schreiben vom 26.01.2001 hat das Bundesministerium für Gesundheit den Vorsitzenden des Arbeitskreises Blut am Robert Koch-Institut, Prof. R. Burger, sowie den Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts, Prof. J. Löwer, gebeten, das Konzept einer Gesamtstrategie der Blutversorgung im Zeichen der BSE/vCJK-Krise zu entwickeln und im Arbeitskreis Blut zur Diskussion zu stellen (siehe Anlage (A)). In einer Sonderkonferenz der für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder am 29.01.2001 wurde der Beschluss (siehe Anlage (A)) gefasst, das Bundesministerium zu bitten, .eine Gesamtstrategie zu Risikovorsorgemaßnahmen beim nicht auszuschließenden Auftreten der vCJK und gleichzeitige Gewährleistung des Versorgungsauftrages bei Blut und Blutprodukten zu entwickeln.. Unter dem Vorsitz des Leiters des Paul-Ehrlich-Instituts wurde eine Arbeitsgruppe (siehe Anlage (B)) zusammengerufen, der neben Mitarbeitern des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert Koch-Instituts und des Bundesministeriums für Gesundheit externe Experten mit Fachwissen auf den Gebieten BSE-Epidemiologie, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK), Bluttransfusionswesen und Blutplasmaderivate angehörten. Der von dieser Arbeitsgruppe zusammengestellte Text wurde im Arbeitskreis Blut, dem auch Vertreter der Länder angehören, auf seiner Sitzung am 26.06.2001 in Berlin zur Diskussion gestellt. Der auf Grund der dort gelieferten Beiträge und zwischenzeitlich neu erschienenen Publikationen überarbeitete Bericht wurde am 17.08.2001 dem Bundesministerium für Gesundheit übergeben. Die wichtigsten Feststellungen zur Ausgangssituation sowie eine Übersicht über Optionen für denkbare Maßnahmen sind in den folgenden Abschnitten zusammengefasst. Welche dieser Maßnahmen in der jeweiligen Situation, einschließlich der Folgen für die Blutversorgung, erforderlich, realisierbar und angemessen sind, muss von den Verantwortlichen in der konkreten Situation entschieden werden.
1) Die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) wurde erstmals in England als eine bei Rindern etwa seit 1980 neu auftretende Krankheit beschrieben. In den folgenden Jahren griff BSE auf die Rinderbestände der Länder West- und Mitteleuropas über, wenn dies auch zum Teil erst nach Einführung eines Schnelltests im Jahr 2000 erkannt wurde. Das Ausmaß der BSE-Epidemie im Vereinigten Königreich übertrifft den Verlauf der BSE-Epidemien in den anderen Ländern Europas bei weitem.
2) Eine Reihe von experimentellen Befunden deutet überzeugend darauf hin, dass die im Vereinigten Königreich aufgetretene Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK), eine tödlich verlaufende neurodegenerative Krankheit des Menschen, insbesondere junger Erwachsener, durch den BSE-Erreger ausgelöst wird. Die Exposition des Menschen gegenüber dem BSE-Erreger (primärer Infektionsweg) fand sehr wahrscheinlich über Lebensmittel statt, die hochinfektiöses Rindermaterial (z.B. Rinderhirn) enthielten oder damit kontaminiert waren. Hinsichtlich des Expositionsrisikos dürften enorme Unterschiede zwischen dem Vereinigten Königreich und den anderen Ländern in der Vergangenheit bestanden haben. Derzeit stehen den etwas mehr als 100 vCJK-Fällen im Vereinigten Königreich 3 Fälle in Frankreich sowie einer in Irland gegenüber, doch ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis vCJK auch in weiteren Ländern diagnostiziert wird. Das seit 01.10.2000 EU-weit gültige Verbot der Verarbeitung von BSE-Risikomaterialien zielt darauf ab, die Übertragung von BSE auf den Menschen zu unterbinden. Die rigorose Einhaltung dieses Verbots ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass eine weitere vCJK- Ausbreitung durch BSE-Erreger kontaminierte Nahrungsmittel selbst unterbleibt.
3) Modellrechnungen, die allerdings noch mit sehr großen Unsicherheiten behaftet sind, gehen unter pessimistischen Annahmen davon aus, dass bis zum Jahre 2040 im Vereinigten Königreich bis zu 6.000 vCJK-Fälle auftreten werden. Auf der Basis dieser Berechnungen werden unter .worst case.-Szenarien für Frankreich und Deutschland jeweils 300 bis 600 Fälle erwartet, die durch Primärinfektionen über Nahrungsmittel verursacht worden sind. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass sich die Inzidenz von vCJK-Fällen in den Ländern West- und Mitteleuropas mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs nicht wesentlich unterscheiden wird.
4) Inwieweit Sekundärinfektionen, d.h. Übertragungen des vCJK-Erregers von Mensch zu Mensch, stattfinden können, ist nicht bekannt. Für eine Übertragung des Erregers durch soziale Kontakte gibt es keinerlei Hinweise. Grundsätzlich kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine vCJK-Übertragung durch kontaminierte chirurgische Instrumente oder durch menschliches Gewebe, insbesondere durch Transplantate oder durch Blut und Blutprodukte, erfolgt. Sollten diese Übertragungswege möglich sein, könnte sich vCJK in der menschlichen Population für einen längeren Zeitraum etablieren, auch wenn die Primärinfektion durch geeignete Maßnahmen unterbunden ist. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen notwendig sind, um eine potenzielle Übertragung durch chirurgische Instrumente zu unterbinden, wird nicht in diesem Bericht bearbeitet, sie ist vielmehr Thema einer vom Robert Koch-Institut gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer einberufenen Arbeitsgruppe. Der vorliegende Bericht widmet sich allein der Frage der potenziellen Übertragung durch Blut und Blutprodukte, gegebenenfalls notwendiger Maßnahmen und der Sicherstellung der Versorgung.
5) Die Frage, ob der vCJK-Erreger prinzipiell durch Blut und Blutprodukte übertragen werden kann, kann nach dem heutigen Stand des Wissens nicht abschliessend beantwortet werden. Es gibt keinen epidemiologischen Hinweis darauf, dass andere bereits seit langem bekannte Formen der CJK durch Blut und Blutprodukte übertragen werden. Übertragungen von vCJK durch Blut und Blutprodukte sind bisher nicht beobachtet worden, doch ist die Erfahrung mit dieser Krankheit noch sehr begrenzt. Im Gegensatz zu den klassischen Formen der CJK kann man bei vCJK das Prion-Protein als Hinweis auf die Erkrankung auch in lymphatischen Geweben von Infizierten (z.B. Mandeln, Wurmfortsatz) nachweisen. Untersuchungen in Tiermodellen ergeben widersprüchliche Ergebnisse; in bestimmten Fällen lässt sich der Erreger einer spongiformen Enzephalopathie jedoch im Blut nachweisen, wenn auch in geringer Konzentration. Vorsichtshalber sollte daher unterstellt werden, dass sich auch bei vCJK der Erreger im menschlichen Blut finden lässt, und zwar bis zu einem Titer von 10 infektiösen Einheiten pro Milliliter bei intravenöser Verabreichung (10 IE-iv).
6) Eine mögliche Übertragung des vCJK-Erregers über Plasmaprodukte (z.B. Immunglobuline, Albumin, Faktorenkonzentrate für Hämophilie-Patienten) erscheint sehr unwahrscheinlich, da der Erreger bereits während der Herstellung dieser Blutprodukte weitgehend entfernt wird. Sollte der vCJK-Erreger über Bluttransfusionen übertragbar sein, könnte dies aber neben der theoretisch denkbaren Übertragung durch chirurgische Instrumente die einzige verbleibende Route für seine Weiterverbreitung (Sekundärinfektionen) in der menschlichen Bevölkerung darstellen.
7) Dieser sekundäre Übertragungsweg wäre weitgehend zu unterbinden, sobald ein geeigneter Nachweistest zur Verfügung steht, der, bei jeder Blutspende durchgeführt, das Aussondern vCJK-Erreger-positiver Spenden ermöglicht. Zwar gibt es verschiedene Ansätze zur Entwicklung geeigneter Testverfahren, doch ist derzeit eine Lösung noch nicht absehbar. Die Förderung derartiger Projekte sollte hohe Priorität genießen.
8) Für die Zwischenzeit stellt sich die Frage, ob andere Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden sollten, um theoretisch denkbare vCJK-Übertragungen durch Transfusionen zu unterbinden. Der bereits gültige Ausschluss von Personen, die zwischen 1980 und 1996 insgesamt mehr als 6 Monate im Vereinigten Königreich zugebracht haben, erfasst Personen, die dem erhöhten Risiko einer BSE-Exposition ausgesetzt waren (Primärinfektionen). Auch die bereits vorgeschriebene Abtrennung der weißen Blutzellen (Leukozytendepletion) bei der Herstellung von Erythrozyten- und Thrombozyten-Präparaten dürfte einen Teil der vCJK-Erreger entfernen, sollten sie denn im Spenderblut vorhanden sein. Eine weitere wirksame Vorsorgemaßnahme zur Reduzierung des potenziellen Übertragungrisikos von Infektionserregern, also auch von vCJK, kann die kritisch indizierte Anwendung von Blutprodukten (.optimal use.) sein, da so deutlich weniger Einheiten transfundiert werden müssen.
9) Unter Berücksichtigung der in Punkt 5 gemachten Einschränkungen ließe sich der Übertragungsweg über Spenderblut von Personen, die selbst bereits Empfänger von Transfusionen waren und sich so dem theoretisch möglichen Risiko einer vCJK-Infektion aussetzen mussten, dadurch unterbrechen, dass Transfusionsempfänger von der Blutspende ausgeschlossen werden. Eine solche Maßnahme beträfe etwa 4% der Blutspender in Deutschland, ein Verlust, der angesichts der vorherrschenden Blutknappheit nach Aussage der Blutspendedienste nicht ohne weiteres zu verkraften wäre.
10) Vor einer Einführung des Ausschlusses von Transfusionsempfängern von der Spende müssten daher ausreichende Maßnahmen getroffen werden, die die Sicherheit der Blutversorgung in Deutschland nachhaltig gewährleisten. Zum einen zählen dazu die Ausnutzung von Einsparpotenzial (.optimaler Einsatz von Blut und Blutprodukten.), zum anderen die Durchführung geeigneter Werbe- und Motivationskampagnen zur Spenderrekrutierung.

SP deutsch

PO Deutschland

AD Johannes Löwer, Micha Nübling, Rainer Seitz, Peter Volkers, Hannelore Willkommen, Paul-Ehrlich-Institut, Langen
Reinhard Burger, Georg Pauli, Robert Koch-Institut, Berlin
Hans Kretzschmar, Institut für Neuropathologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Inga Zerr, Neurologische Klinik, Prionforschungsgruppe, Universitätsklinikum Göttingen
Walter E. Hitzler, Transfusionszentrale, Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Hans Lefèvre, DRK-Blutspendedienst NRW, Hagen
Thomas Kreil, Baxter AG, Wien
Matthias Kramer, Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Anstaltsteil Wusterhausen
Friedger von Auer, Horst Klamm, Bundesministerium für Gesundheit
Helmuth Deicher, Hannover

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