NR APDR
AU Wilkens,D.
TI Das Geheimnis der Prionen - Wie gefährlich sind Proteine als Krankheitserreger?
QU Biokular 1995; 12: 7-12
IA http://www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~wilkensd/12/PRION1.HTM
PT Review
AB "Rinderwahnsinn" - ein Schlagwort, das seit einigen Jahren durch die Presselandschaft geistert (siehe auch BiOkular 4, Seite 22-24: Verbrecherische Proteine, von O. Radtke); eine geheimnisvolle Krankheit, übertragen auf mysteriöse Weise durch Schafe, ausgelöst von einem Erreger, der alle Dogmen umstößt, die für infektiöse Keime aufgestellt wurden. Dieser Stoff läßt sich natürlich auf das gruseligste ausbeuten und ist zur Verbreitung von Angst und Panik bestens geeignet. Nichtsdestotrotz möchte ich lieber in diesem Artikel nüchtern die wissenschaftliche Seite dieses neuartigen Krankheitserregers durchleuchten, denn mittlerweile wird das Geheimnis Stückchen für Stückchen gelüftet; die wissenschaftlichen Ergebnisse passen wie Teile eines Puzzles zusammen und man kann schon erahnen, wie das fertige Puzzle einmal aussehen wird. Zunächst ein kleiner historischer Überblick zum besseren Verständnis.
VT
In den 60er Jahren machte die Wissenschaftlerin T. Alper aus Großbritannien Bestrahlungsexperimente mit infektiösem Material, welches die Traberkrankheit bei Schafen, englisch Scrapie genannt, auslöst. Normalerweise wird dabei das Erbmaterial, das aus Nukleinsäuren (DNS oder RNS) besteht, soweit geschädigt, daßeine Vermehrung des Erregers ausgeschlossen ist, er also seine Infektiösität verliert. Aber bei diesen Experimenten blieb die Infektiösität voll erhalten. Alper äußerte daher die Vermutung, dass dieser Erreger überhaupt keine Nukleinsäure besitzt. Mit dieser zur damaligen Zeit recht abenteuerlich anmutenden These fand sie dann aber in der Welt der Wissenschaft kein Gehör. Bis dato hatten nämlich auch die kleinsten Krankheitserreger Nukleinsäuren; wie sollte auch sonst eine Vermehrung stattfinden und worauf sollte die Infektiösität beruhen?
Ein erster Verdacht
Mitte der 70er Jahre begann S. Prusiner (San Franzisko) die Biochemie des Erregers genauer zu studieren. Dabei stellte er fest, daßdie Infektiösität durchaus zerstört werden kann, aber nicht mit Methoden, die Nukleinsäuren schädigen, sondern mit Verfahren, die Proteine abbauen oder modifizieren. Es mußalso so sein, daßein Protein zumindestens ein wichtiger Bestandteil dieses Krankheitserregers ist. Aufgrund dieser Ergebnisse formulierte Prusiner 1982 die Prionen-Hypothese, wonach dieser Krankheitserreger ein proteinartiges Partikel darstellt. Zunächst wurde diese Hypothese in der Fachwelt mit großer Skepsis aufgenommen: Vielleicht war die Nukleinsäure nur besonders gut geschützt in diesem Protein eingepackt und deshalb mit den bisherigen Methoden nicht zu modifizieren bzw. zu zerstören! Dies war nur ein Einwand, wenn auch nicht der wichtigste, denn da gab es eine Tatsache, die so ohne weiteres nicht zu erklären war: die sogenannten Scrapie-Stämme. Dabei handelt es sich um verschiedene infektiöse Isolate, die in den gleichen Organismen, z. B. genetisch identischen Hamstern, unterschiedliche Inkubationszeiten hervorrufen. Unterschiedliche Inkubationszeiten bei chemisch einheitlichen Proteinen konnte man sich nur vorstellen, wenn Nukleinsäure mit im Spiel ist.
Abb.1: Der einfachste Fall eines Virusvermehrungszyklus. In Wirklichkeit ist kein bekanntes Virus so einfach organisiert. (Aus Molekularbiologie der Zelle, Alberts et al.)
Kanibalismus als Übertragungsweg
Wie es auch sei, die Öffentlichkeit interessierte sich zunächst nicht für diesen geheimnisvollen neuen Krankheitserreger. Zwar gibt es auch bei Menschen Krankheiten, die praktisch die gleichen Symptome zeigen wie Scrapie, jedoch sind diese sehr selten und daher eher als exotisch zu bezeichnen. Eine dieser Krankheiten heißt Kuru und kommt bei Eingeborenen auf Papua Neu-Guinea vor. Anfang der 60er Jahre fand C. Gajdusek heraus, daßdiese Krankheit durch rituellen Kannibalismus übertragen wird; der Erreger blieb aber unbekannt. Aufgrund dieser Entdeckung konnte Kuru praktisch ausgerottet werden und Gajdusek bekam für seine Arbeit den Nobel-Preis für Medizin. Eine andere Krankheit mit den selben Symptomen ist die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK). Sie kommt sehr selten vor (ein Fall auf zwei Mio. Einwohner pro Jahr), tritt sporadisch auf und ist weltweit verbreitet. Die Rate könnte aber etwas höher liegen, denn die Diagnose ist ohne Obduktion nicht sicher zu stellen, weil die Symptome stark der Alzheimer'schen Krankheit ähneln. Die dritte Krankheit, die diese Symptome zeigt, heißt Gerstmann-Sträußler-Scheinker-Syndrom (GSS). Hierbei handelt es sich um das genetisch bedingte Pendant zu CJK. Bemerkenswert ist, dass GSS ebenso wie CJK übertragbar ist, obwohl es sich ja um eine Erbkrankheit handelt! Hier zeigt sich eindrucksvoll eine neue Dimension von Infektiösität, ebenso erschreckend wie interessant. Alle diese Krankheiten zeigen die folgenden Symptome: zunächst Ataxien (Bewegungsstörungen) und Desorientiertheit, zum Schlußvölliger geistiger Verfall. Ursache ist der progressive Verfall des zentralen Nervensystems. Die Nervenzellen sterben ab und zurück bleibt eine völlig zerlöcherte Graue Gehirnmasse, die nun im Aussehen einem Schwamm ähnelt. Aufgrund dieser Histopathologie werden alle diese Krankheiten, einschließlich der bei Tieren vorkommenden, auch unter dem Begriff "Transmissible Spongiforme Enzephalopathie" (TSE) zusammengefaßt, was übersetzt "übertragbare schwammartige Gehirnerkrankung" bedeutet. Die Übertragung dieser Krankheiten von Mensch zu Mensch ist möglich, wobei aber bislang ausschließlich iatrogene (vom Arzt verursachte) Übertragungen dokumentiert wurden, bzw., im Falle von Kuru, vom Medizinmann angeordnete Verhaltensweisen eine Infektion verursachte. So wurde CJK durch ungenügend desinfizierte Gehirnelektroden und anderer Instrumente bei neurochirogischen Eingriffen übertragen, durch Transplantationen von Augenhornhaut und Gehirn- und Rückenmarkshaut, sowie durch Gabe von Wachstumshormonen, welche aus Hypophysen von menschlichen Leichen gewonnen wurden. Heutzutage wird dieses Hormon gentechnisch hergestellt, so daßeine Infektion ausgeschlossen ist.
Exotisches wird alltäglich
Mitte der 80er Jahre stolperten in Großbritannien plötzlich einige Kühe desorientiert und verwirrt über die Weiden. Die Obduktion der Gehirne dieser Tiere ließen keine Zweifel aufkommen: Die Traberkrankheit, die bislang nur bei Schafen auftrat, existierte plötzlich auch bei Kühen. Allerdings gab es einen kleinen Unterschied: Während Scrapie bei Schafen nur vereinzelt auftritt, nahm die Krankheit bei den britischen Rindern gleich epidemische Ausmaße an. Die Wissenschaftler gaben ihr den Namen "Bovine (das Rind betreffende) Spongiforme Enzephalopathie" (BSE), der Volksmund taufte die Krankheit "Rinderwahnsinn". Wie die Krankheit auf die Rinder übertragen wurde, und warum sich diese dann gleich als Epidemie ausbreitete, war schnell ausgemacht: In Großbritannien war es üblich, Tiermehl an das Rindvieh zu verfüttern. Bei der Herstellung wurden auch Abfälle von Schafen verwendet, von denen wohl einige an Scrapie gelitten haben mußten. Bis Ende der 70er Jahre extrahierte man aus den Abfällen das Fett mit Aceton und zerstörte damit - unwissentlich - auch den Erreger. Dann lohnte sich die Fettextraktion wirtschaftlich nicht mehr, so daßder Erreger in das Tiermehl gelangte. Es stand also fest, da die Übertragung des Erregers über die Nahrungsaufnahme möglich ist, und jetzt kam plötzlich Panik auf! Sollte es etwa möglich sein, durch den Verzehr von Rindfleisch TSE auf den Menschen zu übertragen? Bisher war die Übertragung von TSE von einem Individuum auf ein anderes immer mit erheblichen Eingriffen verbunden gewesen: Im Tierversuch wurde und wird das infektiöse Material meist direkt und in hohen Dosen (ca. 100.000 Moleküle pro infektiöse Einheit) in das Gehirn injiziert, bei Menschen war die Übertragung immer nur, wie bereits erwähnt, iatrogen verursacht. Auch bei der Kuru-Krankheit wird angenommen, daßdie Infektion nicht durch das Verspeisen der Verstorbenen erfolgte, sondern durch das Einreiben von Gehirnmasse der Toten in das Gesicht, so daßder Erreger über die Schleimhäute von Augen und Nase übertragen wurde. Die Übertragung vom Schaf auf den Menschen ist wohl sicher auszuschließen (jedenfalls Über die Nahrungskette), denn die Traberkrankheit ist schon seit 300 Jahren bekannt und das Fleisch dieser Tiere wurde durchaus noch verzehrt, ohne daßdie Krankheit je nachweislich übertragen wurde. Allerdings sind in Großbritannien noch einige Fälle bekannt geworden, wo über die Nahrung Haus- und Zootiere infiziert wurden.
Abb. 2: Die Entwicklung der BSE-Fälle in Großbritannien bis März 1994
Nur ein Protein ?
Mittlerweile hat man in den Laboratorien rund um den Globus allerlei Experimente angestellt, mit denen die Übertragung von TSE auf verschiedene Species erforscht werden sollte. Dabei wurden zunächst verwirrende Ergebnisse erzielt: Schafe können TSE auf Kühe und Hamster übertragen, von Kühen läßt sie sich auf Mäuse übertragen, und von Mäuse kann man TSE auf Hamster übertragen. Schafe übertragen TSE nur sehr schwer auf Mäuse, und um die Verwirrung komplett zu machen, können Kühe TSE nicht auf Hamster übertragen! Ob die Infektion von Kühen über die Nahrung auf Menschen übertragbar ist, wird sich gegen Ende dieses Jahrhunderts zeigen, denn die Inkubationszeit von CJK beträgt etwa zehn Jahre. Zwar stellt man schon heute einen leichten Anstieg von CJK-Fällen fest, was aber wohl darauf zurückzuführen ist, daßman jetzt etwas genauer hinschaut und nicht jede schwachsinnig gebliebene Person der Alzheimer Krankheit zurechnet. Unterdessen ist man in der Prionenforschung einige Schritte weiter gekommen. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, daßder Erreger tatsächlich ein Protein ohne Nukleinsäure ist. Die letzten Zweifel sind aber immer noch nicht beseitigt, jedoch sprechen neuere Forschungsergebnisse eindeutig für die Prionen-Hypothese. Am hiesigen Institut für Physikalische Biologie hat man unter der Leitung von Professor Riesner mit quantitativen physikalisch-chemischen Methoden versucht, alle denkbaren Nukleinsäuren zu erfassen. Hierbei wurden geringste Mengen an Nukleinsäuren aufgespürt, die allerdings uneinheitlich und von sehr kurzer Kettenlänge waren (unter 100 Nukleotide). Ein viraler Übertragungsmechanismus kann daher mit Sicherheit ausgeschlossen werden, aber vielleicht gibt es noch einen anderen Mechanismus? Wahrscheinlicher ist, dass es sich bei dem aufgefundenem genetischen Material um Verunreinigungen handelt.
Der Zwilling mit dem anderen Gesicht
ES wurde weiterhin festgestellt, da auch der gesunde Organismus dieses Prion-Protein besitzt, also selbst herstellt. Nur haben diese Proteine völlig andere Eigenschaften: sie sind in Wasser löslich, leicht abbaubar, bestehen hauptsächlich aus a-Helices und sind natürlich nicht infektiös. Das Prion hingegen ist in Wasser unlöslich, schwer abbaubar, besteht aus a-Helices und einem großen Anteil ß-Faltblatt und ist infektiös. Da chemisch bisher keine Unterschiede festgestellt werden konnten, kann es sich bei den beiden Formen nur um Konformationsisomere handeln. Mit anderen Worten: Das Prion ist anders gefaltet als das normale Protein. Wie kann man sich nun die Vermehrung des Prions vorstellen? Mit dem bisher gesagten kommt man fast zwangsläufig auf die Idee, daßdie Prionen in der Lage sind, die Konformation ihrer normal vorkommenden Kollegen zu ändern, so daßdiese zu infektiösen Prionen werden. Das Proteine andere Proteine falten bzw. bei der Konformationsfindung mithelfen, ist ein natürlicher Vorgang, der in jeder Zelle vorkommt. Diese Hypothese erklärt viel, wenn auch nicht alles: Die Erbkrankheit GSS kann wie eine Infektionskrankheit übertragen werden, weil die fehlerhaften Proteine in der Lage sind, fehlerfreie Proteine in die Prionen-Konformation umzuwandeln. CJK ist eine sporadisch auftretende Krankheit, das heißt, daßdurch eine Art Unfall in einer Zelle das Protein in die Prionen-Konformation gefaltet wird und so in der Lage ist, bei den normalen Proteinen eine Konformationsänderung herbeizuführen. Auch die verwirrende Übertragbarkeit von TSE auf andere Species läßt sich zwanglos erklären: Die Übertragung gelingt nur, wenn zwischen Prion des Spenders und Protein des Wirtes eine bestimmte Homologie vorhanden ist, die Aminosäuresequenzen also eine Mindestübereinstimmung besitzen. Zwischen Schaf und Rind ist dies der Fall, zwischen Schaf und Hamster auch, zwischen Rind und Hamster aber anscheinend nicht! Um die Scrapie-Stämme zu erklären, könnte man sich vorstellen, daßdie Prionen in verschiedenen Konformationen vorkommen, wobei jede Konformation einen anderen Scrapie-Stamm darstellt. Jede Konformation wandelt ein normales Protein in die eigene Konformation um, was unterschiedlich lange dauert, also unterschiedliche Inkubationszeiten hervorruft. Diese Hypothese mutet dem einen oder anderen sicherlich etwas abenteuerlich an, aber nichts ist unmöglich!
Abb. 3: Die Umwandlung eines zellulären Protein in ein Prion kann man sich so vorstellen: Das Prion besitzt Domänen an seiner Außenseite, die dazu dienen, ein anderes Prion anzulagern. Die Anlagerung beruht auf schwachen chemischen Wechselwirkungen (Schlüssel-Schloß-Prinzip). Auch ein zelluläres Protein besitzt diese Domänen, so daß ein Prion sich anlagern kann. Durch die Anlagerung kommt es zu leichten Konformationsänderungen, so daß andere schwache chemische Wechselwirkungen im zellulären Protein aufgehoben und neue geknüpft werden, wodurch wiederum andere aufgehoben und geknüpft werden. Dadurch faltet sich das Protein langsam um und wird zum Prion.
Scrapie-Stämme sind nach der Konformationen-Hypothese infektiöses Protein-Material mit etwas unterschiedlichen Konformationen. Der Domänenbereich für die Anlagerung an ein zelluläres Protein ist verschieden, so daß sich die schwachen chemischen Wechselwirkungen unterschiedlich stark auf die Konformation des Proteins auswirken. Deshalb dauert die Umwandlung eines Proteins bei einer Prionen-Konformation länger als bei einer anderen.
Der Haupttäter ist erkannt!
Ein besonders beeindruckendes Experiment unter der Leitung von H. Büeler aus Zürich beweist, daßdas Protein die Hauptkomponente von TSE sein muß. In Zürich experimentierte man mit sogenannten "Knock out"-Mäusen. Diese Mäuse können kein natürliches Protein (PrPc) herstellen, sie sind für diesen Defekt homozygot. Das Gen für PrPc wird Prn-p genannt, und da es nicht funktioniert, erhält es die Bezeichnung Prn-p0/0; das funktionierende Gen (Wildtyp) wird mit Prn-p+/+ bezeichnet. Die Prn-p0/0-Mäuse zeigen keinerlei Ausfallerscheinungen oder abnormes Verhalten und wurden im Februar 1993 mit Scrapie-Prionproteinen (PrPsc) infiziert. Die Infektion erfolgte in sehr hohen Dosen (107LD50), welche direkt in das Gehirn verabreicht wurden. Es wurden jeweils 75 Mäuse vom Typ Prn-p0/0 und Prn-p+/+ infiziert. Während die Prn-p+/+-Mäuse nach spätestens 160 Tagen verendet waren, lebten die Prn-p0/0-Mäuse nach 13 Monaten immer noch, ohne jegliche Anzeichen einer TSE-Erkrankung zu zeigen. Das beweist, dass ohne körpereigenes PrPc-Protein keine Infektion durch PrPsc erfolgen kann. Das körpereigene PrPc wird also durch eingedrungenes PrPsc in PrPsc umgewandelt. Der aufmerksame Leser wird sich jetzt fragen, welche Aufgabe denn das PrPc besitzt. Leider kann man Über die Funktion nur spekulieren, denn die Mäuse mit dem defekten Gen leben ja unter Laborbedingungen ganz normal und es scheint so, als ob dieses Protein völlig nutzlos sei. Da es aber homolog bei allen Vertebraten vorzukommen scheint, kann es wohl so unwichtig nicht sein. In Frage käme z.B. eine Funktion als Streß-Protein; diese Labormäuse leben ja recht geruhsam in ihren Käfigen. Oder vielleicht hat es ja die Aufgabe, sich in bestimmten Ausnahmefällen in Prion zu verwandeln! Auf jeden Fall handelt es sich aber offensichtlich um ein Protein, dessen Funktion erst beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses wichtig ist. Durch bloßes Ausschalten des Genes kann man deshalb die Funktion nicht erkennen, und ob man sie erkennt, wenn das Ereignis eintritt, ist fraglich. Man könnte dieses Protein mit einem Airbag vergleichen: Stellen wir uns vor, fremde Wesen aus dem All bekommen ein Auto moderner Bauart in die Hand. Unter dem Lenkrad finden sie einen Sack, dessen Funktion ihnen unbekannt ist. Um etwas Über die Funktion zu erfahren, wird dieser Sack kurzerhand ausgebaut. Wenn man jetzt die Funktionen des Fahrzeuges testet, wird man keinen Ausfall feststellen können, denn die Funktion dieses Sackes tritt erst bei einem bestimmten Ereignis, nämlich einem Unfall, in Erscheinung. Aber auch wenn dieses Ereignis, also ein Unfall, eintritt, wird man bei ausgebautem Airbag nicht dessen Funktion erkennen. Die Funktion wird erst sichtbar, wenn der Airbag eingebaut ist UND ein Unfall geschieht. Bei unserem Protein handelt es sich also um eine Art "Unfall-Protein", nur wahrscheinlich wird man dessen Funktion auch beim Eintritt dieses "Unfalls" nicht erkennen, denn anders als beim Airbag kann man so ein Protein in einem lebenden Organismus ja nicht beobachten.
Experimente zum Beweis
Der Beweis, dass einzig und allein das Prion-Protein für die Infektiösität verantwortlich ist, könnte dadurch erbracht werden, wenn man in vitro eine Umwandlung des normalen Proteins in ein Prion-Protein induzieren könnte, denn nur so kann ein Einflußvon genetischem Material ausgeschlossen werden. Im August diesen Jahres wurde in der Zeitschrift Nature ein Artikel veröffentlicht, in dem eine solche Umwandlung beschrieben wird. Auf jeden Fall erhält man beim ersten Lesen den Eindruck, dass eine Umwandlung in vitro tatsächlich funktioniert hat. Allerdings fallen einem dann doch die etwas merkwürdigen Reaktionsbedingungen auf, bei denen diese Umwandlung stattgefunden haben soll. Zur Anwendung kam eine 3M Guanidin/HCl-Lösung bei einer Temperatur von 37 °. Guanidin ist eine starke Base und kommt in Rübensaft, Pilzen, Maiskeimen, den Hülsen des Reiskornes, in Miesmuscheln und Regenwürmern vor. Das salzsaure Salz dieser Base wurde also bei diesem Experiment verwendet. Weder kommt in einem der erwähnten Organismen eine derart hohe Konzentration dieses Salzes vor, noch wurde dort jemals eine TSE-Erkrankung festgestellt. Selbst wenn tatsächlich auf diese Weise Prionen hergestellt werden können, so kann das unter diesen unphysiologischen Bedingungen in natura so nicht funktionieren. Das einzige, was dieses Experiment zeigt, ist, dass zelluläre nichtinfektiöse Prion-Proteine in eine unlösliche Form überführt werden können, die gegen die Proteinkinase K weitestgehend resistent sind. Das ganze geschieht bei Anwesenheit von infektiösen Prion-Proteinen. Leider wurde nicht gezeigt, ob diese proteinaseresistenten Proteine nun auch infektiös sind, denn die Resistenz von Proteinen gegenüber Proteinasen allein ist ja kein Beweis für die Infektiösität und kann auch durch Ausfällen der Proteine induziert werden. Auf nachfolgende Experimente darf man gespannt sein!
Wie könnte nun aber ein solches Experiment aussehen? Zunächst einmal mußman unter physiologischen Bedingungen arbeiten, denn nur so ist sichergestellt, dass die Umwandlung in vivo genau so funktioniert. Wichtig ist vor allem, Nukleinsäuren sicher auszuschließen. Außerdem muß beachtet werden, dass das zelluläre nichtinfektiöse Protein über einen Anker auf der Membran angebracht ist, also nicht etwa frei in der Zelle schwimmt. Ein möglicher Ansatz für ein Experiment wäre deshalb, auf einer künstlichen Membran die Proteine zu verankern und dann Prionen darauf einwirken zu lassen. Da die Inkubationszeit recht lang ist, sollte man dem Ganzen auch ein wenig Zeit geben, d. h. das Experiment ist sicher nicht nach zwei Tagen beendet. Bleibt zum Schluß noch die Frage, wie gefährlich es ist, Rindfleisch zu verzehren. Mit an 100%iger Sicherheit kann man sagen, dass deutsche Rinder nicht mit BSE infiziert sind. Ebenfalls positiv ist, dass die Infektiösität hauptsächlich in Gehirn und Rückenmark vorkommt, in Muskelfleisch und Milch hingegen bisher nicht festgestellt werden konnte. Nun weiß man aber ja nicht immer so genau, wo denn das im Supermarkt gekaufte Rindfleisch herkommt, und da die Übertragung von TSE nicht nur bei Kühen, sondern auch bei anderen Tieren über die Nahrung nachgewiesen wurde, ist eine Übertragung auf den Menschen nicht auszuschließen. Wer aber sicher ist, dass das von ihm gekaufte Rindfleisch nicht aus Großbritannien stammt, der kann ohne Reue seinen Sonntagsbraten genießen.
Referenzen:
Beyreuther, Konrad und Masters, Colin L.: Nature, 370, 1994, S. 419-420.
Büeler, H. et al.: Cell, 73, 1993, S. 1339-1347.
Kocisko, David A. et al.: Nature, 370, 1994, S. 471-474.
Riesner, Detlev: BioEngineering, 5/94, S. 27-32.
Riesner, Detlev: Düsseldorfer Unizeitung, 1/93, S. 6-7.
SP deutsch
PO Deutschland