NR AQRJ

AU Nolden,S.

TI Ein BSE-Forscher sieht sich terrorisiert - Britischer Wissenschaftler arbeitet an neuem Test zum Rinderwahnsinn - Reifen zerschnitten, Unterlagen gestohlen

QU Welt 1995 Dez 7; Nr. 286 - 49

PT Zeitungsartikel

VT Newcastle upon Tyne - Im nächsten Jahr soll in Deutschland damit begonnen werden, einen praktikablen Test für den "Rinderwahn" BSE zu entwickeln. Dieser soll dazu dienen, möglichst schnell nachweisen, ob ein Tier befallen ist oder nicht. Doch möglicherweise gibt es schon längst einen Test, mit dem man sogar lebende Rinder auf BSE überprüfen kann. Dem Wissenschaftler, der ihn entwickelt hat, wird jedoch nicht erlaubt, die Wirksamkeit seiner Methode zu beweisen. Mit dem Ausdruck "Terror-Taktiken" umschreibt die örtliche Zeitung "Evening Chronicle" das, was dem Forscher Dr. Harash Narang in Newcastle seit einiger Zeit widerfährt. BSE ist verwandt mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) beim Menschen, die nach durchschnittlich sieben Monaten zum Tode führt. In letzter Zeit sagen immer mehr Wissenschaftler, dass eine Übertragung von BSE auf den Menschen durch Wurstwaren, die das Hirn verseuchter Tiere enthält (richtig: enthalten), "zumindest nicht ganz ausgeschlossen" sei. Narang erforscht die beiden Leiden und deren Zusammenhang seit über 20 Jahren, ist sozusagen ein Pionier der ersten Stunde. Unter anderem war er Mitarbeiter in der Gruppe von Daniel Gajdusek, der für seine Untersuchungen in diesem Forschungsbereich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Seit Narang aber seinen Nachweis entwickelt hat, fühlt er sich von einem Bann belegt: "Man kündigte mir meine Stellung im staatlichen Gesundheitsamt. Wo immer ich mich danach auf eine neue Forschungsstelle bewarb, gingen Regierungsleute zu meinem Arbeitgeber und sagten, dass man mich aufhalten soll" (wörtlich: "Stop him working"). Berufen könnten sie sich dabei auf den Official Secrets Act, mit dem man in Großbritannien beim Staat angestellten Wissenschaftlern vorschreiben kann, was sie sagen und veröffentlichen dürfen und was nicht. Ob der Test von Narang tatsächlich funktioniert, ist letztlich nicht bewiesen. Wissenschaftler sind da eher skeptisch - nicht zuletzt deshalb, weil in Fachkreisen selbst der Erreger noch umstritten ist. Tatsache aber ist, dass man versucht, Narang einzuschüchtern: Unbekannte haben sich an den Bremsen seines Wagens zu schaffen gemacht, seine Autoreifen wurden bereits fünfmal zerschnitten. In seine Wohnung wurde zweimal eingebrochen. Bezeichnenderweise hatten die Täter in beiden Fällen seine wissenschaftlichen Manuskripte durchwühlt und die BSE-Unterlagen gestohlen. Dagegen wurden die Wertgegenstände in dem Appartment nicht angerührt. In der englischen Tageszeitung "The Guardian" wurde Anfang November berichtet, dass Narangs Test bei einer Frau mit CJD funktioniert hat. Um zu beweisen, dass er auch bei BSE zu gebrauchen ist, benötige er zehn Rinder aus verseuchten Herden, so der Forscher. Diese würden ihm aber von den britischen Behörden nicht bewilligt. Mit einem im englischen Fachblatt "Lancet" veröffentlichten Test für geschlachtete Tiere war der Wissenschaftler bereits 1990 erfolgreich: "Schon nach einer Stunde ist es damit möglich, festzustellen, ob das Rind mit BSE verseucht ist oder nicht." Unterstützt von privaten Spenden, forscht Narang inzwischen nachts in Laboratorien befreundeter Wissenschaftler. Dafür muß er Hunderte von Kilometern, manchmal sogar bis nach Deutschland oder Amerika reisen. Offiziell dürfen seine englischen Kollegen ihre Unterstützung jedoch nicht zugeben, da sie sonst selbst ihre Stellung verlieren. Einer seiner Sponsoren sieht darin den Versuch, Narang zu diskreditieren.Ob die englische Regierung über ihren Geheimdienst auch hinter den Einbrüchen steckt oder von der Fleischindustrie, Bauern oder Händlern angeworbene Täter, möchte Narang nicht beurteilen: "Wenn man sich nicht sicher ist und keine Beweise hat, sollte man auch keine Beschuldigungen aussprechen. Auffallend ist aber schon, dass ausgerechnet immer meine BSE-Unterlagen gestohlen werden." Nach Ansicht Narangs betreibt die britische Regierung aber aktive Desinformationspolitik zugunsten ihrer Agrarwirtschaft: "Vieleicht hat man Angst, dass zu viele BSE-verseuchte Rinder gefunden werden und das dann sehr viel Geld kostet."

SP deutsch

PO Deutschland

OR Prion-Krankheiten 6

Autorenindex - authors index
Startseite - home page