NR ARVU
AU Sharp,R.
TI BSE - Wahnsinn ohne Ende
QU Mensch & Tier 1/97: 28-9
PT Zeitungsartikel
VT
BSE
Wahnsinn ohne Ende
Mitte Januar '97 wurde der fünfte BSE-Fall in Deutschland bekannt: Ein Galloway-Rind war an der mysteriösen Krankheit gestorben. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sah sich im Zugzwang und ordnete am 27.01.97 die Tötung aller in Deutschland lebender Rinder an, die aus Großbritannien oder der Schweiz importiert worden waren. Bundesgesundheitsminister Seehofer forderte gar auch die Tötung aller Nachkommen dieser Importrinder. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt weder die Herkunft und Identität noch die Umstände der Infizierung des verendeten Tieres geklärt waren. Verbraucherschutz oder Verbraucherberuhigung?
Gerade hatten sich sowohl die Gemüter als auch der angeschlagene Rindfleischmarkt nach der großen BSE-Krise vor knapp einem Jahr wieder beruhigt, als BSE in der zweiten Januarhälfte diesen Jahres wieder Schlagzeilen machte. Da tauchte ein angeblich BSE-krankes Huhn in Großbritannien auf, und fast zur gleichen Zeit wurde bei einem verendeten deutschen Galloway-Rind BSE diagnostiziert. Eine Woche später war dann die Gattung Mensch dran: Der Tod einer 41jährige Frau, die in Nord-Friesland mit Symptomen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) gestorben war, wurde mit BSE in Zusammenhang gebracht. War sie vielleicht an der neuen Form der CJK gestorben, die im Verdacht steht, durch den Genuß von Fleisch BSE-kranker Tiere hervorgerufen zu werden?
Für das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELF) war jedoch die im Landkreis Höxter an BSE verendete Galloway-Kuh das größte Problem. Bei den vier vorangegangenen Fällen von BSE bei Rindern in Deutschland hatte es sich ausschließlich um aus Großbritannien importierte Tiere gehandelt. Bei dem jüngsten Fall jedoch war ein Rind betroffen, das laut Ohrmarke und Begleitpapieren in Deutschland geboren war. Und das, obwohl es immer geheißen hatte, Deutschland sei BSE-frei. Damit war der erneute Zusammenbruch des deutschen Rindfleischmarktes zu befürchten.
Entsprechend konfus waren auch die Stellungnahmen des Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert zu dem Fall. Verzweifelt versuchte er zu erklären, wie das BSE-Rind mit Namen Cindy sich hatte infizieren können.
Die naheliegendste Erklärung war, dass Cindy die tödliche Krankheit von ihrer Mutter "geerbt" hatte. Es stellte sich jedoch heraus, dass Cindys Mutter erst 1996, also 4 Jahre nach Cindys Geburt, in Holland geschlachtet worden war und bis dahin keinerlei Anzeichen einer BSE-Erkrankung aufgewiesen hatte. In allen bisher bekannten Fällen, in denen von einer Übertragung der Krankheit durch die Mutter auf das Kalb ausgegangen wird, starb das Muttertier kurze Zeit nach der Geburt des Kalbes. Damit wird diese Erklärung eher unwahrscheinlich.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Infizierung des Tieres durch kontaminiertes Futter (Tiermehl). Mit dem BSE-Erreger verseuchtes Tiermehl tauchte in Großbritannien auf, nachdem dort die Erhitzung der Fleischabfälle aus Kostengründen heruntergefahren worden war. In Deutschland ist der Import von Tiermehl aus Großbritannien seit 1989 verboten. Die 1992 in Deutschland geborene Cindy kann also nicht mit infiziertem Tiermehl in Berührung gekommen sein, vorausgesetzt, keiner ibrer Besitzer hat "kriminelle Energien" entwickelt, wie es so schön heißt.
Vielleicht aber war Cindy auch gar nicht Cindy, vielleicht ist das Tier ja doch nicht in Deutschland geboren, sondern in Großbritannien. Dies würde bedeuten, dass die Ohrmarke und Papiere des Tieres gefälscht waren. Minister Borchert favorisierte diese Theorie zunächst und behauptete, dass sich die Hinweise auf eine britische Herkunft des Tieres verdichtet hätten. Somit wäre Deutschland weiterhin "BSE-frei" und sämtliche hier erkrankten Tiere Direktimporte aus der BSE-Hochburg Großbritannien. Allerdings wäre auch in diesem Fall das Vertrauen der Verbraucher in sämtliche Herkunftsnachweise der Fleischindustrie erschüttert.
Gegen Cindys britische Herkunft spricht jedoch, dass sie keine Tätowierung im Ohr hatte und in Großbritannien die Tätowierung der Kälber unblich ist.
Aufschluß über das Alter der BSE-Kuh hätte ihr Gebiß geben können, aber der Körper des Tieres wurde bereits vernichtet. Bleiben nur noch einige Gramm Hirngewebe, um mittels Genanalyse Cindys wahre Identität zu klären. Es sieht so aus, als ob der Tierkadaver vorschnell der Tierkörperbeseitigung zugeführt worden ist.
Vorschnell und überzogen ist auch die Reaktion des Bundeslandwirtschaftsministeriums, um dem erneuten Vertrauensverlust der Verbraucher vorzubeugen.
Obwohl weder die Identität und Herkunft noch die Art und Weise der Infektion des BSE-Rindes aus Höxter geklärt war, erließ das BMELF am 27.01.97 eine Eilverordnung, in der die Tötung und anschließende Vernichtung der rund 5200 in Deutschland lebenden Rinder festgelegt wird, die aus Großbritannien oder der Schweiz importiert wurden. Die betroffenen Landwirte sollen mit 2000,- DM pro Tier entschädigt werden. Die ganze Aktion wurde "Verbraucherschutz" getauft.
Allerdings entbehrt die Eilverordnung jeder Logik und ist eher als Verbraucherberuhigung zu verstehen. Ein Blutopfer für die deutsche Landwirtschaft sozusagen. Denn die Tiere, denen es jetzt an den Kragen gehen soll und die im Übrigen zu 80 Prozent hochträchtig sind, stehen ohnehin unter veterinärmedizinischer Überwachung und dürfen nicht geschlachtet werden. Manche der Tiere sind so alt, dass sie nach den derzeitigen Erkenntnissen über die Inkubationszeit von BSE beim Rind kaum infiziert sein können.
Aller Warscheinlichkeit nach liegt dem BSE-Fall von Höxter eine kriminelle Handlung zu Grunde, nämlich die Fälschung der Papiere und Ohrmarke des betroffenen Tieres oder die illegale Fütterung mit kontaminiertem Tiermehl. Und dagegen hilft auch die Keulung von 5200 Rindern nicht.
Die Aktion verhindert geradezu einen weiteren wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Denn die Gallowayzüchter Schleswig-Holsteins beispielsweise haben sich selbst verpflichtet, ihre direkt importierten Rinder aus Großbritannien nicht zu schlachten, noch bevor dies gesetzliche Auflage in Deutschland wurde. Statt dessen wurden bislang Tiere, die aus Alters- oder Krankheitsgründen getötet werden mußten, zu Untersuchungszwecken zur Verfügung gestellt. Allein im letzten Jahr waren es etwa 150 Tiere, deren Kadaver untersucht und danach vernichtet worden waren. Bei keinem von ihnen konnte BSE nachgewiesen werden.
Sollte die Keulungsaktion wie geplant durchgezogen werden, würden die meisten der getöteten Tiere ohne vorherige Untersuchung der Tierkörperbeseitigung zugeführt werden. Dann wird man also nie erfahren, ob weitere Tiere infiziert waren.
Somit torpediert der Tötungsbeschluß des BMELF die Erforschung von BSE und kann auch den Verbraucher, zumindest bei dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse, nicht wirksam schützen. Und die Tötung von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund verbietet das deutsche Tierschutzgesetz...
Das Deutsche Tierhilfswerk e.V. hat aus diesen Gründen Protest beim Bundeslandwirtschaftsministerium gegen die Tötungsverordnung eingelegt. Eine sowohl tierfreundlichere als auch vom Verbraucherschutz her vernünftigere Alternative zu der vom BMELF geplanten Massentötung schlagen die Fleischrinderzüchter in Schleswig-Holstein und Hamburg vor. Sie plädieren dafür, die Tiere weiterhin bundesweit unter tierärztlicher Beobachtung zu stellen und Tiere, die getötet werden müssen, auf BSE hin zu untersuchen. Im Übrigen sollten die Gelder in Millionenhöhe, die für die Umsetzung der BMELF-Eilverordnung notwendig wären, für die Erforschung der rätselhaften Krankheit aufgewendet werden.
Die weitere Erforschung von BSE ist dringend notwendig. Obwohl die Krankheit schon seit etwa 10 Jahren bekannt ist, weiß man erschreckend wenig über ihr Wesen und die Übertragungsmöglichkeiten. Über den Erreger wird weiterhin gerätselt.
Zwar spricht vieles dafür, dass infektiöse Eiweiße die Krankheit hervorrufen. Aber auch die "Virentheorie" ist noch nicht ganz vom Tisch. Erst kürzlich konnten französische Wissenschaftier in einem Tierversuch nicht bei allen offensichtlich an BSE erkrankten Mäusen die sonst typisch veränderten Prionen im Gehim feststellen. Hirnextrakte der kranken Mäuse ohne veränderte Prionen konnten dennoch gesunde Mäusen infizieren. Ein Hinweis, dass die veränderten Prionen zumindest nicht die alleinigen Erreger von BSE sind?
Ein weiterer Erklärungsversuch zur Entstehung von BSE konnte ebenfalls noch nicht ganz widerlegt werden. Dieser besagt, dass ein Mittel zur Bekämpfung der Dasselfliege, eines gefährlichen Rinderparasiten, für die Entwicklung von BSE verantwortlich ist. Die Chemikalie mit dem Markennamen Phosmet, die das zentrale Nervensystem von Säugetieren angreifen kann, wurde obligatorisch zur Ausmerzung der Dasselfliege in Großbritannien eingesetzt - vom Beginn der 80iger Jahre an bis Anfang der 90iger. In Irland kam Phosmet drei Jahre nach dem ersten Einsatz in Großbritannien auf den Markt - in Irland traten auch die ersten BSE-Fälle drei Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit in Großbritannien auf.
Auch diese Theorie läßt noch Fragen offen, würde jedoch erklären, warum BSE nur in Großbritannien, Irland und der Schweiz auftrat, den drei Ländern, in denen Phosmet auf dem Markt war. Tiermehl aus Großbritannien wurde dagegen in viele Länder exportiert, ohne dort BSE hervorzurufen. Drei amerikanische Studien beschäftigten sich mit BSE. Kontaminiertes Tiermehl wurde dort an Rinder verfüttert, aber keines der Versuchstiere erkrankte.
Ungeklärt sind bislang auch die Übertragungswege für BSE. Kann eine infizierte Kuh die Krankheit an ihr KaIb weitergeben? Sind BSE-Erreger in der Milch? Können infizierte Tiere BSE übertragen, auch wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist? Und was verursacht die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CKJK) beim Menschen?
Fragen über Fragen, auf die sich mit blindem Aktionismus sicher keine Antworten finden lassen werden. Jedenfalls wäre es falsch, aus dem BSE-Fall in Höxter zu schließen, dass Rindfleisch aus Öko-Betrieben besonders gefährdet ist. Zum einen handelte es sich bei dem betroffenen Betrieb nicht um einen sogenannten Bio-Betrieb, der Besitzer des verendeten Galloway-Rindes war keinem ökologischen Anbauverband angeschlossen. Zum anderen müssen gerade Bio-Betriebe die Herkunft ihrer Tiere (in der Regel aus anderen Bio-Betrieben) lückenlos nachweisen und durften zu keiner Zeit Tiermehl an ihre Rinder verfüttern.
Ein Zusammenbruch der artgerechten Rinderhaltung wäre neben der sinnlosen Tötung einiger tausend Tiere sicherlich die schlimmste Konsequenz aus dem Tod der Unglückskuh Cindy.
Ruth Sharp
Anmerkung: Kurz nach Redaktionsschluß stellte sich heraus, dass es noch weitere Rinder mit Cindys Ohrnummer gibt und daß Cindy wahrscheinlich das Importrind Rita war. Die Vermutung liegt nahe, dass dies nicht die einzige Falschdeklarierung in Deutschland ist.
Bild 1: War verseuchtes Tiermehl auch in deutschem Rinderfutter? (c) DTHW
Bild 2: Ein "Highländer" in Deutschland - er könnte der Eilverordnung zum Opfer fallen (c) DTHW
Bild 3: Vieles liegt bei BSE noch im Dunkeln... Copyright DTHW/Seiffert
PO Deutschland
SP deutsch
OR Prion-Krankheiten 7