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AU Wilhelm,K.
TI BSE - MOLEKULARE DIKTATUR IM GEHIRN? - Neue Erkenntnisse zum Thema BSE
QU Herausgegeben von Dr. Ute Hänsler, DW radio - Magazin Wissenschaft & Technik, (r) 1995 Deutsche Welle dw@dw.gmd.de. Server provided by GMD. Server design copyright (r) 1994 gekko. This page was generated by showWifo V0.1 (r)1995 gekko.
PT Interview
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Die "Bovine spongiforme Enzephalopathie", kurz BSE genannt, gehört zu den Prionerkrankungen - genauso wie das Creutzfeldt-Jakob- Syndrom beim Menschen und Scrapie bei den Schafen. Gemeinsames Merkmal der tödlichen Leiden: Das Gehirn der Erkrankten weicht schwammig auf, ihre Nervenzellen sterben ab. Noch immer ist nicht eindeutig geklärt, ob - wie bisher vermutet - das Prionprotein alleine die infektiösen Krankheiten auslöst. Heiß diskutiert wird seit einiger Zeit vor allem die Frage, ob die Rinderseuche BSE auf den Menschenübertragbar ist, ob man also nach dem Verzehr von BSE- verseuchtem Rindfleisch an dem Creutzfeldt-Jakob-Syndrom erkranken kann. Klaus Wilhelm berichtet über den neusten Stand der Erkenntnisse.
Mit der Statistik ist das so eine Sache. Zwar hat sich im Jahr 1994, wie britische Experten unlängst berichteten, die Anzahl der bekannten Fälle des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms in Großbritannien im Vergleich zu 1985 verdoppelt. Doch einen Zusammenhang mit dem Rinderwahnsinn BSE sehen die Experten deswegen nicht. Der Anstieg sei deshalb so frapant, weil...
O-Ton Hans Kretzschmar: "...ganz speziell in England natürlich, das Augenmerk ganz wesentlich auf diese Krankheit gerichtet ist und jeder Arzt in England heutzutage weiß, wie die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit aussieht. Es hat sich sicher die Aufmerksamkeit der Mediziner verbessert und die Diagnostik auch ganz wesentlich." ...sagt Hans Kretzschmar, Neuropathologe und Prionfachmann von der Universität Göttingen. Früher hätten Ärzte das Creutzfeldt-Jakob-Syndrom oft verwechselt mit anderen schweren Hirnkrankheiten wie etwa der Alzheimerschen Erkrankung. Im übrigen zählten Mediziner 1994 die meisten Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen in den Niederlanden, wo bis dato nicht ein einziges BSE-infiziertes Rind entdeckt worden sei. Wenig besorgt zeigt sich die Fachwelt auch ob der Tatsache, dass drei, möglicherweise vier britischen Bauern am Creutzfeldt-Jakob-Syndrom erkrankt sind, die allesamt Kontakt zu BSE-krankem Vieh hatten. Statistisch sei das bei der Zahl der Landwirte nicht alarmierend. Daß aber in England nun zwei Teenager an dem tödlichen Hirnleiden erkrankten, das sonst nur mindestens 60 Jahre alte Menschen befällt, macht zumindest Hans Kretschmar Sorgen.
O-Ton Kretzschmar: "Also die sind schon etwas mehr ungewöhnlich. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bei Teenagern wurde schon vor mehreren Jahren beschrieben, also auch schon in der -ra von BSE. Aber es ist eine absolute Rarität. Daß jetzt zufällig, wahrscheinlich zufällig, zwei Fälle auftreten in England, macht einen natürlich ein bißchen nachdenklich. Daraus zu schließen, dass BSE auf den < Menschenübertragbar ist, wär' sicherlich ein voreiliger Schluß. Aber man wird natürlich abwarten, was in der nächsten Zeit passiert. Wenn jetzt im nächsten halben Jahr wieder so zwei extrem seltene Fälle auftreten, dann wird man sichüberlegen müssen, was da los ist natürlich."
Grundsätzlich, das wissen die Forscher seit längerem, sind Prionerkrankungen zwischen verschiedenen Tierarten übertragbar, sofern man angereichertes, infiziertes Hirngewebe verpflanzt.
Doch:
O-Ton Kretzschmar: "Die Übertragung durch die Nahrung ist wesentlich weniger effektiv. Mindestens 100.000 mal weniger effektiv."
Aber eben nicht unmöglich. Weiterhin kontrovers diskutieren Wissenschaftler, welcher Erreger auf welche Weise BSE, Creutzfeld- Jakob und Scrapie - das entsprechende Leiden bei Schafen - auslöst. Der kalifornische Biochemiker Stanley Prusiner schuf die Theorie der infektiösen Eiweißstoffe, die er Prione nannte. Seine Thesen widersprechen bisherigen Vorstellungen, dass Krankheitserreger stets Erbinformation in Form von Nukleinsäuren besitzen müssen. Weitere Rätsel wirft die Tatsache auf, dass das Prionprotein in den Nervenzellen aller bislang untersuchten Säugetiere vorkommt, ohne daß es automatisch das Gehirn zerstört. Englische Wissenschaftler berichteten 1994 sogar, dass das Eiweiß im gesunden Gehirn für die Übertragung von Nervenzellen nötig sei. Doch neueste Forschungsergebnisse stellen diese Erkenntnis in Frage,...
O-Ton Kretzschmar: "...so daß die Funktion des Prionproteins als unbekannt gelten muß."
In jedem Fall paßte es gut in Prusiners Bild der infektiösen Eiweiße, als zwei verschiedene Formen des Prionproteins entdeckt wurden. Diese unterscheiden sich lediglich in ihrer dreidimensionalen Form. Doch genau dieses räumliche Design, die sogenannte Konformation, entscheidet nicht nur über die Funktion des Prionproteins, sondern grundsätzlich über die eines jeden Eiweißstoffes. In kranken Gehirnen fanden Forscher bisher nur die abnorm geformte Version des Prions. Die Frage lautet aber nun: Warum und wie verwandelt sich das Prioneiweiß in eine tödliche Variante seiner selbst?
O-Ton Kretzschmar: "Seit vielen Jahren wirdüberlegt, ob es nicht ein zweites Molekül geben könnte, das mit dieser Umwandlung dieser Konformation etwas zu tun hat."
Für die Existenz eines solchen zweiten Moleküls sprechen die Ergebnisse eines neuen Experiments aus dem Prusiner-Labor. Die Forscher entdeckten nämlich, dass ein künstlich kombiniertes Prionprotein aus Maus- und menschlichen Abschnitten das Creutzfeld- Jakob-Syndrom viel besser vom Menschen auf die Maus überträgt als ein reines menschliches Prion.
O-Ton Kretzschmar: "Und daraus schließt man, dass es im Mäuseorganismus Proteine geben muß, die mit diesem teils humanen, teils Mäuseprotein wesentlich besser umgehen können als mit dem reinen humanen Protein."
Nun deuten jüngste Erkenntnisse darauf hin, dass dieses Eiweiß zu den sogenannten Chaperonen gehören könnte, das sind "molekulare Helfer", die andere Proteine regelrecht in Form bringen - sprich: deren dreidimensionales Design mitbestimmen und - im Falle der Prionen - ein normales in ein abnorm geformtes Eiweißmolekül verwandeln helfen. Das allerdings erklärt noch lange nicht, warum aus wenigen abnormen Prionen in einem Gehirn plötzlich immer mehr werden. Stanley Prusiner glaubt, dass die krankmachende Version eines Prioneiweißes seinen gesunden Nachbarn ihre äußere Form mit Hilfe der Chaperone regelrecht aufzwingt - eine Art molekulare Diktatur. Dafür gibt es seit kurzem experimentelle Indizien. Nur, ob ein Protein allein letztlich eine Infektionskrankheit verursachen kann, hat noch immer kein Forscher bewiesen.
O-Ton Kretzschmar: "Das ist die Preisfrage. Das hat noch keiner getan und wird meines Erachtens auch sehr schwierig sein."
Einer der größten Schwachpunkte der Theorie, dass Prione ohne genetische Information Krankheiten auslösen können, betrifft die Tatsache, dass es sowohl beim Rinderwahnsinn als auch bei Scrapie verschiedene Erregerstämme gibt, die jeweils leicht unterschiedliche Symptome auslösen. Das ist ein echter Knackpunkt. Denn verschiedene Stämme von Krankheitskeimen reflektieren normalerweise die Veränderung von Erbinformation.
Hans Kretzschmar hält dagegen:
O-Ton Kretzschmar: "Das muß ja keine genetische Information sein. Wenn man annimmt, dass es vielleicht bei Scrapie 20 verschiedene Stämme gibt, dann muß es natürlich irgendeine Information geben - das ist klar. Die Frage ist, ob diese Information in dem Protein stecken kann."
Und dafür fanden die Forscher in Göttingen neue Hinweise. Zum Beispiel könnten jeweils verschieden geformte, aber allesamt abnorme Prionproteine zu unterschiedlichen Krankheitsverläufen führen. Doch das sind erst Modelle. So bleibt den Forschern noch eine Menge Arbeit.
O-Ton Hans Kretzschmar: "Also man muß diese Priongeschichte an zwei Fronten kämpfen, sozusagen. Der erste Teil ist der, dieses infektiöse Agens, dieses Prion, biochemisch genau zu beschreiben. Immerhin, wenn man eines Tages weiß, es besteht vielleicht nur aus diesem Prionprotein, dann gibt's ja die nächste Frage: Was macht dieses Prionprotein eigentlich im Gehirn. Wie führt dieses Protein im Gehirn zum Beispiel zum Nervenzelluntergang? Das ist ja eine ganz wesentliche Frage, erstens zum Verständnis der Krankheit und zweitens auch wenn man an eine Richtung der Therapie dieser Krankheiten denkt."
AD Klaus Wilhelm, DW radio - Magazin Wissenschaft & Technik
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