NR ASCP
AU Löwer,J.
TI Die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit:ein Risiko für Hämophilie-Patienten?
QU Hämophilieblätter 1/1998
IA http://www.pei.de/peitexte/nvCJDblut.htm
VT
Beitrag von Dr. Johannes Löwer, Leiter der Abteilung Virologie im Paul-Ehrlich-Institut und ständiger Vertreter des Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts in den Hämophilieblättern 1/1998 (Deutsche Hämophiliegesellschaft)
Kurz vor Jahresende hatte ein Arzneimittelrückruf Besorgnisausgelöst: In Deutschland war eine Charge des Produktes Amerscan MAA, das zur Erkennung von Lungenkrankheiten Patienten gegeben wird, zurückgerufen worden. Das in diesem Produkt benutzte Albumin stammte nämlich aus einem Plasmapool, in den die Spende einer später an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJK) erkrankten Person eingegangen war.
Um welche Krankheit handelt es sich dabei? Zum besseren Verständnis muß zunächst auf das eingegangen werden, was bisher über die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) bekannt ist. Diese Krankheit war in den Zwanziger Jahren von deutschen Neurologen, zuerst von H. G. Creutzfeldt (1920) und dann von A. Jakob (1921), beschrieben worden. Sie wird insbesondere durch feingewebliche Veränderungen im Gehirn, nämlich dem Auftreten von kleinsten Hohlräumen im Nervengeflecht, charakterisiert. Dieses histologische Bild, das sich auch bei manchen Tierkrankheiten, z.B. bei der Traberkrankheit ("Scrapie") der Schafe, findet, war Anlaß für die Bezeichnung dieser Gruppe von Krankheiten als "spongiforme Enzephalopathien" (schwammartige Hirnerkrankungen). Der Krankheitsverlauf beim Menschen ist im wesentlichen durch Bewegungsstörungen und durch den Verlust geistiger Fähigkeiten (Demenz) geprägt. Nach etwa einem Jahr endet die Krankheit mit dem Tod des Patienten, eine wirksame Behandlung steht nicht zur Verfügung.
Die bisher bekannten Formen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Es sind verschiedene Formen der CJK bekannt. Zum einen finden sich in bestimmten Familien gehäuft Fälle, zum anderen traten Erkrankungen nach bestimmten medizinischen Behandlungen auf (insbesondere nach Anwendungen von harter Hirnhaut (Dura mater) oder nach Injektionen von Wachstumshormon, das aus Hirnanhangsdrüsen Verstorbener zur Behandlung des Zwergwuchses extrahiert worden war). Die familiäre Form der CJK belegt die Vererbbarkeit, die iatrogene ("ärztlich bedingte") Form die Übertragbarkeit dieser Krankheit. Letztere zeigt sich auch darin, dass eine gleichartige Erkrankung in kleinen Labortieren nach der Verabreichung von Hirngewebe erkrankter Personen oder Tiere auftritt. Bei der CJK handelt es sich demnach um den ganz ungewöhnlichen Fall einer Krankheit, die einmal als Erbkrankheit, ein anderes Mal als Infektionskrankheit auftritt. Die umfassende Bezeichnung für die ganze Krankheitsgruppe lautet daher heute "transmissible spongiforme Enzephalopathien" (TSE, übertragbare schwammartige Hirnerkrankungen). Bei den meisten Fällen läßt sich aber weder eine familiäre noch eine iatrogene Ursache finden (sporadische CJK).
Vorstellungen zur Krankheitsentstehung
Wie läßt sich eine derartige Krankheit erklären? Lange Zeit, zum Teil auch heute noch, wurde die Vorstellung verfolgt, dass CJK durch Viren ausgelöst wird. Trotz intensiver Bemühungen ist ein Virus bisher aber nicht gefunden worden, auch nicht Erbmaterial, das für die Beteiligung eines Virus sprechen würde. Vielmehr ist schon lange bekannt, dass Verfahren, die üblicherweise Viren unschädlich machen (Erhitzen, Bestrahlen), eine Übertragung von CJK nicht verhindern. Vor gut 15 Jahren ist daher die im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Vorstellung entwickelt worden, dass es sich bei dem Erreger der CJK allein um ein Eiweiß, ein "Protein", handelt, ohne daß sich Erbmaterial im Erreger befindet. Kurz gefaßt besteht die heute bevorzugte Erklärung der CJK darin, dass ein normalerweise im Körper vorkommendes Protein sowohl in einer "gesunden" als auch in einer "krankmachenden" Form auftritt und daß die "krankmachende" Form die "gesunde" veranlassen kann, sich in eine "krankmachende" zu verwandeln. Unter dieser Vorstellung läßt sich die Übertragbarkeit leicht erklären: kommt die "krankmachende" Form etwa durch medizinische Maßnahmen in den Körper, so zwingt sie die vielen bereits vorhandenen "gesunden" Formen zur Umwandlung in "krankmachende". Die Unempfindlichkeit gegenüber Erhitzen und Bestrahlen beruht auf dem Fehlen von Erbmaterial. Substanzen, die Eiweiß zerstören, verhindern dagegen die "Infektiosität" von CJK. Die Vererbbarkeit findet ihre Erklärung darin, dass in den entsprechenden Familien, wie eingehende Studien gezeigt haben, die Erbanlage für das normale "gesunde" Protein verändert ist und dadurch Anlaß für das selbständige Entstehen des "krankmachenden" Proteins in dem Träger der Erbanlage selbst gibt.
Dieses eigentümliche Eiweiß wird "Prion-Protein", abgekürzt PrP, genannt. Es findet sich als Ablagerung im Gehirn erkrankter Personen und Tiere.
Übertragbarkeit durch Blut und Blutprodukte?
Es steht also außer Frage, dass es sich bei der CJK um eine Erkrankung handelt, die mit Hirngewebe oder mit Organen, die in engem Kontakt mit dem Gehirn stehen (z.B. die harte Hirnhaut oder die Hirnanhangsdrüse), übertragbar ist. Ist die Krankheit aber auch mit Blut oder mit Blutprodukten übertragbar?
Anfang der 80er Jahre wurden von verschiedenen Gruppen Experimente zum Nachweis des Erregers im Blut infizierter Tiere durchgeführt. Sie waren von der Vorstellung geprägt, dass bei den meisten Viruserkrankungen das Virus irgendwann im Verlauf der Erkrankung auch im Blut nachgewiesen werden kann. In der Tat gelang der Nachweis eines TSE-Erregers mehr oder weniger regelmäßig, wenn künstlich infizierte kleine Labortiere untersucht wurden. Diese Studien wurden daher damals als Hinweis auf ein Virus als möglichen Erreger verstanden. Daß bei Prion-Krankheiten ebenfalls mit dem Erreger im Blut gerechnet werden muß, ergibt sich aber nicht zwangsläufig. Mit dieser Überlegung stimmt überein, dass es ganz selten oder gar nicht möglich war, den TSE-Erreger im Blut "natürlich" erkrankter Tiere oder Menschen zu finden. Affen, in die vor etwa 15 Jahren Blut von CJK-Patienten transfundiert wurde, sind bisher nicht erkrankt.
Da die Aussagekraft der Versuchsergebnisse mit kleinen Labortieren für die Situation beim Menschen eher fraglich ist, sind die experimentellen Ergebnisse so zu verstehen, dass sie die Infektiosität des Blutes von CJK-Patienten nicht belegen. Diese Interpretation steht in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Beobachtungen. Es ist nämlich bisher weltweit kein einziger Hämophilie-Patient bekannt, der an CJK erkrankt ist. Auch gibt es keinen Fall, in dem die Übertragung von CJK durch eine Blutspende auch nur wahrscheinlich ist. Zur Erinnerung: es dauerte nach dem ersten Erkennen der damals neuen Krankheit AIDS gerade ein Jahr, bis deutlich wurde, dass diese Erkrankung durch Blut und Blutprodukte übertragen werden kann, und das, obwohl zwischen dem Zeitraum der Infektion und dem Ausbruch der Erkrankung durchschnittlich etwa zehn Jahre vergehen!
Die soeben dargelegte Analyse der Daten führte zu der Entscheidung, dass Personen, die einem Risiko für CJK ausgesetzt sind, z.B. Empfänger von Dura mater-Präparaten, Personen, die mit Hormonen aus Hirnanhangsdrüsen behandelt worden sind, oder Personen aus "CJK-Familien", vorsichtshalber von der Blut- und Plasmaspende ausgeschlossen werden. Sollte sich nun herausstellen, dass ein CJK-Patient früher Blut oder Plasma gespendet hat, dann sollen alle eventuell noch vorhandenen zellulären Blutkomponenten von einer Anwendung am Menschen ausgeschlossen werden, da im Modell der kleinen Labortiere, wenn TSE-Erreger überhaupt im Blut gefunden werden, diese an den Zellen haften. Angesichts der Tatsache, dass Übertragungen trotz inzwischen jahrzehntelanger Erfahrung nicht beobachtet wurden, wurde keine Notwendigkeit gesehen, eventuell noch vorhandene Blutprodukte, die ja in mehreren Stufen gereinigt werden, vom Markt zu rufen.
Die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Was ist nun die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJK), an der bisher insgesamt 24 Personen erkrankt sind? Diese Variante ist vor etwa zwei Jahren zum ersten Mal beschrieben worden. Der deutlichste Unterschied zu den bisher erwähnten Formen besteht darin, dass die neue Variante bisher nur bei Personen unter 50 Jahren, in der Mehrzahl sogar unter 40 Jahren aufgetreten ist, während die sporadische und die familiäre Form der CJK in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle Personen betrifft, die über 50 Jahre alt sind. Auch ist die neue Variante bis auf eine Ausnahme nur in Großbritannien aufgetreten. Das klinische Erscheinungsbild und der Krankheitsverlauf unterscheiden sich ebenfalls von den "klassischen" Formen. Eine ganze Reihe von Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Erreger der neuen Variante mit dem Erreger der Rinderseuche identisch ist, die seit gut zehn Jahren vor allem Großbritannien heimsucht und die unter dem Namen "bovine spongiforme Enzephalopathie" (BSE) oder "Rinderwahnsinn" bekannt ist.
Welche Konsequenzen sind aus dem Auftreten der neuen CJK-Variante hinsichtlich der Sicherheit von Blut und Blutprodukten zu ziehen? Zwei Aspekte sind hier von Bedeutung. Einmal ist zu berücksichtigen, dass sich die neue Variante, wie schon ausgeführt, in einer Reihe von Punkten von den übrigen Formen der CJK unterscheidet. Als wichtiger weiterer Punkt ist hinzuzufügen, dass das PrP, das "krankmachende" Protein, im Körper von Patienten, die an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankt sind, weiter verbreitet ist als das PrP in Patienten, die an einer der anderen Formen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankt sind. Zum anderen ist die Erfahrung mit nvCJK sehr beschränkt. Übertragungen durch Blut und Blutprodukte sind zwar bisher nicht beobachtet worden, für eine einigermaßen gesicherte Aussage zum Übertragungsrisiko ist aber die Zeit, seit der die Krankheit bekannt ist, viel zu kurz.
Die neuen Maßnahmen
Aus diesen Gründen - wegen der Unterschiede zwischen nvCJK und CJK und der fehlenden Erfahrung mit nvCJK - haben sich die Behörden der Europäischen Union zusätzlich zu den auch für CJK geltenden Vorschriften zu einer weiteren Maßnahme zur Risikovorsorge entschlossen: Arzneimittel werden zurückgerufen, wenn sie Produkte aus Plasmapools enthalten, in die Spenden einer später an nvCJK erkrankten Person eingegangen sind. Dies gilt nicht nur dann, wenn Blutprodukte, z.B. Gerinnungsfaktoren, die eigentlichen Wirkstoffe eines Arzneimittels sind, sondern auch dann, wenn bestimmte Blutprodukte, z.B. Albumin, als Hilfsstoffe in Arzneimitteln verwendet werden. Letzteres war bei der Ende letzten Jahres zurückgerufenen Charge des Produktes Amerscan MAA der Fall. Dies war der bisher einzige Rückruf eines Arzneimittels, der in Deutschland wegen des Auftretens von nvCJK in einem Spender ausgelöst wurde.
Wie oft ist nun mit einem derartigen Rückruf zu rechnen? Bisher sind Fälle von nvCJK fast ausschließlich in Großbritannien aufgetreten. Für Produkte, die aus in Großbritannien gewonnenem Plasma hergestellt worden sind, besteht daher eine, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit für einen Rückruf. In Deutschland sind allerdings als Wirkstoff benutzte Blutprodukte, die aus in Großbritannien gewonnenen Plasmen hergestellt werden, nicht auf dem Markt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gerinnungsfaktor in Deutschland zurückgerufen wird, ist daher gleich null, solange die Krankheit auf Großbritannien beschränkt bleibt. Allerdings soll ein Rückruf dann schon ausgelöst werden, wenn ein ernstzunehmender Verdacht einer nvCJK-Erkrankung von einem anerkannten Referenzzentrum geäußert wird. Es ist nicht auszuschließen, dass auch in Deutschland ein derartiger Verdacht geäußert und ein Blutprodukt zurückgerufen wird, selbst wenn sich dieser Verdacht später nicht bestätigt. Im übrigen besteht die Empfehlung, dass auch Blutkomponenten, die als Hilfsstoffe eingesetzt werden, nicht akzeptabel sind, wenn bei ihrer Herstellung Plasmen aus Großbritannien benutzt wurden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich angesichts des Auftauchens einer neuen Krankheit, nämlich der neuen Variante von CJK, die Behörden bereits im Vorfeld einer tatsächlich erkennbaren Gefahr allein auf Grund theoretischer Erwägungen zu einer vorbeugenden Maßnahme entschlossen haben. Es läßt sich heute nicht abschätzen, ob in wenigen Jahren diese Maßnahme als notwendig oder als voreilig beurteilt werden wird. Angesichts der Tatsachen, dass Übertragungen von CJK durch Blutprodukte nicht bekannt sind, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich nvCJK in dieser Hinsicht anders verhält, zwar (noch?) nicht auszuschließen, aber eher gering ist, und daß weit vorbeugende Maßnahmen ergriffen wurden, ist weniger Besorgnis als Gelassenheit angebracht.
SP deutsch