NR ASDL
AU Müller,T.
TI Der Darm bei Jugendlichen kann offenbar vermehrt Prionen aufnehmen
QU Ärzte Zeitung, 30.3.2001
IA http://www.aerztezeitung.de/docs/2001/03/30/060a0203.asp?cat=/medizin/bse
VT
Es ist ein Rätsel: Fast nur junge Menschen sind bisher an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) erkrankt. Aktuelle Daten liefern jetzt erstmals eine plausible Erklärung für das Phänomen. Offenbar treten die krankheitserregenden Prionen vor allem über Strukturen des Darm-Immunsystems ein. Sollten diese Strukturen, die Peyerschen Plaques, tatsächlich das Haupteinfallstor für den Erreger sein, dann steht das Tor bei Kindern und Jugendlichen besonders weit offen: Im Teenager-Alter haben Menschen am meisten dieser Peyerschen Plaques.
Hinweise darauf, dass Prionen über die Schnittstelle von Immunsystem und Darm aufgenommen werden, haben niederländische Forscher bereits vor zwei Jahren geliefert. An Schafen, die mit dem Erreger der Prion-Krankheit Scrapie infiziert waren, ließen sich die Erreger schon fünf Monate nach der Infektion in den Peyerschen Plaques nachweisen. Von dort breiteten sie sich auf weitere Darmabschnitte aus und gelangten über das viszerale Nervensystem schließlich ins Gehirn. Unklar blieb aber, wie die Erreger vom Darm ins Nervensystem gelangten.
Schottische Forscher haben vor kurzem Nervenendigungen mit körpereigenen Prionen sowohl in der Nachbarschaft lymphoider Darmzellen als auch in der Nähe von Darm-Endothel-Zellen entdeckt. Folglich hält nur ein dünne Zellschicht Prionen aus der Nahrung vom Eintritt in das Nervensystem ab.
Einen Weg, wie Prionen diese Barriere überwinden können, beschreiben die Forscher in der April-Ausgabe der Zeitschrift "Gut". Die Spur führt wiederum zu den Peyerschen Plaques. Dort sind sogenannte M-Enterozyten dafür zuständig, Makromoleküle, Mikroorganismen und Viren aus dem Darmlumen ins angrenzende Lymphgewebe zu transportieren, wo sie dem Immunsystem präsentiert werden. Zellkultur-Experimente belegen, dass ohne solche M-Enterozyten kein Prionen-Transport durch den Darm möglich ist.
Haben die Erreger von Prion-Erkrankungen den Darm passiert, können sie sich massiv im lymphoretikulären System vermehren. Vermutet wird, dass die Erreger von dort in sympathische Nervenfasern eindringen und die Fasern als Schienen auf dem Weg ins Gehirn benutzen.
Entscheidend sind bei diesem Vorgang die follikulären dendritschen Zellen (FD-Zellen). Werden diese im Tierexperiment inaktiviert, können sich die Erreger nicht in lymphatischen Organen vermehren. Nach einer intraperitonealen Injektion von Erregern bleiben solche Tiere gesund. Offenbar verteilen nur aktive, mobile FD-Zellen den Erreger im Lymphgewebe.
Doch wie gelangen die FD-Zellen an die Prionen? Bekannt ist, dass FD-Zellen dort in engem Kontakt mit M-Enterozyten stehen. Beliefern diese die FD-Zellen mit Prionen aus dem Darm? "No Comment. Das ist ein sehr heißes Gebiet, da sind wir gerade dran", sagte Professor Adriano Aguzzi aus Zürich zur "Ärzte Zeitung". Doch soviel wollte Aguzzi immerhin verraten: "Die Prionen-Aufnahme geht über das Komplementsystem. Wir haben gezeigt, dass die Abwesenheit von bestimmten Komplementrezeptoren bei FD-Zellen eine Prioneninfektion verhindert oder erschwert."
Sollte der Hauptinfektionspfad tatsächlich über M-Enterozyten und FD-Zellen verlaufen, dann wären die Peyerschen Plaques allerdings nicht die einzige Eintrittspforte. Auch in den Mandeln und im Appendix gibt es M-Enterozyten. Der Prionen-Forscher Dr. Stephen DeArmond vermuten inzwischen, dass Mandelentzündungen das Infektionsrisiko steigern. Dies könnte ebenfalls erklären, weshalb gerade junge Menschen eine erhöhtes vCJK-Risiko haben.
STICHWORT
Peyersche Plaques
Peyersche Plaques sind lymphatische Aggregate des Dünndarms. Die Zahl dieser Aggregate ist bei Teenagern am höchsten und nimmt mit dem Alter ab. In den Plaques befinden sich spezialisierte Zellen, die Bakterien, Viren und Prionen aus dem Darmlumen aufnehmen und dem Immunsystem präsentieren. In die Plaques wandern dendritische Zellen ein, die Prionen weiterverbreiten können.
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