NR AUKD

AU Ziegler,U.; Wagenschwanz,B.; Weber,A.; Hoffmann,C.; Buschmann,A.; Groschup,M.H.

TI Der lange Weg ins Gehirn - Aktueller Stand der BSE-Pathogenesestudie bei Rindern am Friedrich-Loeffler-Institut

QU Fleischwirtschaft 2006 Jan 16; 86(1): 14-7

AB Der "Rinderwahnsinn" bewegte seit Mitte der 1980er Jahre zunächst Großbritannien, spätestens ab der Jahrhundertwende aber auch die Menschen in Kontinentaleuropa. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Erreger der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) mit dem Futter aufgenommen werden. Bei erkrankten Rindern finden sich die Erreger vor allem im zentralen Nervensystem, also im Gehirn und Rückenmark. Als Auslöser der Krankheit gelten Prionen, falsch gefaltete Eiweißmolekule, die in einer Art Kettenreaktion bestimmte körpereigene Eiweiße dazu bringen, sich ebenfalls umzufalten und zu verklumpen. Eine der zentralen Fragen lautet: Wie gelangen die Prionen vom Verdauungstrakt in das Hirn? Im Dezember 2002 startete dazu am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems (damals noch Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere) ein auf mehrere Jahre angelegtes Experiment.

VT Nachdem im November 2000 der erste einheimische BSE-Fall in Deutschland festgestellt wurde und die BSE-Fallzahlen in fast allen EU-Mitgliedstaaten durch die intensivierte Überwachung deutlich anstiegen, beherrschte der "Rinderwahnsinn" für mehrere Monate die Berichterstattung in den Medien. Das gehäufte Auftreten einer neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die in Zusammenhang mit BSE gebracht wurde (bislang rund 175 Fälle, davon 156 im Vereinigten Königreich), machte die mysteriöse Krankheit auch für den Menschen zu einer diffusen Bedrohung. Gleichzeitig realisierten die Verbraucher, dass in der Vergangenheit nicht alle Maßnahmen ergriffen worden waren, die zu ihrem gesundheitlichen Schutz möglich gewesen wären. Dieser Vertrauensverlust führte zu einer erheblichen Verunsicherung, die sich auch in einer dramatischen Kaufzurückhaltung bei vom Rind stammenden Lebensmitteln und anderen Produkten niederschlug.
Die Verbraucher forderten von der Politik, effektive und wissenschaftlich fundierte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dabei wurde aber auch klar, dass die Wissenschaft vielfach nicht alle aufgeworfenen Fragen eindeutig beantworten konnte und dass bei dieser Problematik noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. So ist es nach wie vor nicht möglich, BSE-Infektionen bei lebenden Rindern, die keine klinisch auffälligen Symptome zeigen, nachzuweisen. Auch ist bis heute nicht bekannt, wo nach der Aufnahme der BSE-Erreger über das Futter tatsächlich die Eintrittspforte in den Körper liegt und auf welchem Weg die Erreger vom Magen-Darm-Trakt in das zentrale Nervensystem gelangen. Zwar weiß man, dass bei Scrapie, einer BSE-ähnlichen Prion- Erkrankung beim Schaf, das Lymphsystem für die Wanderung der Prionen eine bedeutende Rolle spielt. Bei BSE scheint dies aber nicht der Fall zu sein. Bei natürlich infizierten Rindern konnte der BSE-Erreger bisher während der mehrjährigen Inkubationszeit nirgendwo im Körper nachgewiesen werden; selbst bei klinisch erkrankten Tieren scheint sein Auftreten auf das zentrale und periphere Nervensystem beschränkt zu sein. Daher bleibt die Frage: Wo ist der Erreger in den Jahren, die zwischen der Aufnahme der Prionen und dem Ausbruch der Krankheit vergehen
Experiment soll Aufschluss geben
Seit nunmehr rund drei Jahren (Start 18. Dezember 2002) wird am Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) ein groß angelegtes tierexperimentelles Projekt durchgeführt, um den Weg der BSE-Infektion im Rind von der Erregeraufnahme bis zum Ausbruch der Krankheit zu erforschen und die Körperorgane und -gewebe zu ermitteln, die bei infizierten Tieren BSE-Erreger enthalten. Die Ergebnisse dieser Pathogenesestudie sollen auch dazu beitragen, detaillierter auf das mögliche Risiko für den Menschen beim Verzehr von Rindfleisch schließen zu können. Zwar ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand davon auszugehen, dass nur die als Risikomaterial identifizierten Gewebe wie etwa Gehirn und Rückenmark bei erkrankten oder kurz vor der Erkrankung stehenden Tieren infektiös sind. Trotzdem sollte der Erreger im Laufe der rund 5-jährigen Inkubationszeit auf dem Weg vom Darm ins Rückenmark bzw. Gehirn auch in anderen Geweben nachweisbar sein.
Das Design des Experiments:
56 Kälbern (2 x 28 Tiere) aus einer ökologisch geführten Mutterkuhherde wurden je 100 Gramm eines Gehirnbreis aus BSE-positiven Rindern verabreicht (Gruppe A Ende Januar 2003 und Gruppe B ein Vierteljahr später). Das BSE-Material (etwa 5,7 kg) stammte von BSE-erkrankten Rindern aus dem Vereinigten Königreich. Weitere 18 Rinder dienen als nicht infizierte Kontrolltiere. Von den lebenden Tieren werden seit Versuchsbeginn regelmäßig alle acht Wochen Blut- und Harnproben (Abb. 1) sowie alle vier Monate Rückenmarkflüssigkeit entnommen. Alle vier Monate werden vier infizierte Tiere und ein Kontrolltier eingeschläfert und von jedem Rind bei der anschließenden Sektion über 1400 Einzelproben aus mehr als 150 Organen und Geweben, wie etwa Gehirn, Rückenmark, Speicheldrüse, Mandel, Netzhaut, Leber, Milz, Niere, Darm und Knochen sowie verschiedenste Körperflüssigkeiten entnommen und in die nationale BSE-Probenbank (s. u.) eingestellt. Die Entnahme der Proben erfolgt unter BSE- sterilen Bedingungen, das heißt für jedes Gewebe werden eigene, dafür vorbehaltene Instrumente verwendet, um eine Kontamination der Proben durch Verschleppung des Erregers von einer zuvor entnommenen Probe zu verhindern (Abb. 2).
Darüber hinaus werden die Rinder genau beobachtet. Denn wenn auch ein verlässlicher Test am lebenden Tier bislang nicht zur Verfügung steht, so kann eine gründliche klinische Untersuchung bereits Hinweise auf eine BSE-Erkrankung geben - besonders wenn neben der Körperhaltung und dem Bewegungsablauf auch die Reaktionen der Tiere auf optische, akustische und taktile Reize getestet werden. Bei Rindern mit nur schwacher oder untypischer Ausprägung der klinischen BSE-Symptomatik ist jedoch ein erhebliches Maß an Erfahrung notwendig, um die vergleichsweise unspezifischen Symptome erkennen zu können. Deshalb werden die Tiere der Riemser BSE-Pathogenesestudie alle acht Wochen nach einem festgelegten Untersuchungsschema eingehend untersucht, um bereits erste klinische Zeichen zu erkennen. Hierbei wird nicht nur das Verhalten beurteilt, sondern auch die Sensibilität der Tiere (Prüfung der Überempfindlichkeit auf Berührung, Manipulation an Kopf und Hals (Abb. 3), Reaktion auf Lärm und Licht) sowie die Bewegungsabläufe (Lahmheit/Koordinationsstörungen).
Schwieriger Nachweis
Eine Prion-Infektion verläuft auf sehr ungewöhnlichem Wege, denn bei den Erregern handelt es sich nicht um die "üblichen Verdächtigen": Es sind offenbar weder Viren noch Bakterien, sondern reine Eiweiße, die in ihrem Aminosäuremuster körpereigenen Prion-Eiweißen entsprechen, aber anders gefaltet sind, also eine andere Struktur aufweisen. Die pathogenen Prionen lagern sich an die "normalen" Prion-Proteine an und falten sie ebenfalls um - ein sehr langwieriger Prozess.
Pathogene Prionen sind, wenn sie in geringen Konzentrationen vorliegen, sehr schwer nachzuweisen. Methode der Wahl sind Mäuse-Infektionsversuche: Mäusen werden die zu untersuchenden Proben injiziert. Waren in einer Probe BSE-Erreger vorhanden, so zeigen die Mäuse nach überschaubarer Zeit (1 bis 2 Jahre) typische BSE-Symptome. Allerdings unterscheiden sich die körpereigenen Prion-Proteine der Maus - da es sich um eine andere Tierart handelt - von denen des Rindes. Dies führt zu einer erheblich geringeren Empfindlichkeit mit der Folge, dass der konventionelle Maustest bei gering kontaminierten Proben rasch an seine Grenzen stößt.
Um die Artbarriere zu überwinden und Mäuse ähnlich empfindlich gegenüber BSE-Erreger zu machen wie die Rinder selbst, wurden am Friedrich-Loeffler-Institut Mäuse gentechnisch verändert: Im Erbgut der Tiere wurde das Gen für die Bildung des Prion- Proteins der Maus gegen das Gen für das Prion-Protein des Rindes ausgetauscht.
Diese transgenen Mäuse sind 10000 mal empfänglicher für BSE-Erreger als normale Mäuse. Mit diesen Versuchstieren (Bioassay) können selbst geringste BSE-Erregerspuren in ausgewählten Proben von den Rindern aus der BSE-Pathogenesestudie entdeckt werden.
Die nationale BSE-Probenbank
Im Rahmen der Pathogenesestudie werden Zehntausende Proben von BSE-infizierten, aber noch nicht klinisch erkrankten Tieren gewonnen. Solche Proben standen der deutschen Wissenschaft bisher nicht zur Verfügung. Sie sind jedoch eine wichtige Voraussetzung für viele Forschungsarbeiten, die darauf abzielen, Prionenkrankheiten zu verstehen oder bessere BSE-Tests zu entwickeln.
Aus diesem Grund ist am Friedrich-Loeffler-Institut parallel zu der Pathogenesestudie eine nationale BSE-Probenbank etabliert worden. Alle im Rahmen dieser Studie zu einem definierten Zeitpunkt der Inkubationszeit entnommenen Gewebeproben sowie alle Körperflüssigkeiten werden in das Archiv der Probenbank (Abb. 4) überführt, wobei eine computergestützte Datenbank und ein Etiketten-Barcodesystem die Archivierung und Lagerung der einzelnen Proben standardisiert (Abb. 5). Im Rahmen der nationalen TSE-Forschungsplattform (eine Selbstorganisation der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die über BSE und andere Prionenkrankheiten forschen) wird dieses Material auf Antrag Wissenschaftlern anderer Institute sowie der Industrie, die an Test- und Therapieverfahren arbeiten, zur Verfügung gestellt. Über die Gewebeabgabe entscheidet der interne wissenschaftliche Beirat der TSE-Forschungsplattform.
Diese standardisierten Proben sind für die Entwicklung und Bewertung neuer BSE-Schnelltests von größter Bedeutung. Auch so genannte Lebendtests, also Tests, die durch die Untersuchung von Körperflüssigkeiten lebender Tiere eine mögliche BSE- Infektion anzeigen sollen, können somit entwickelt und evaluiert werden.
Tausende Proben hat das Friedrich-Loeffler-Institut inzwischen den BSE-Testentwicklern zur Verfügung gestellt. Erste Ergebnisse aus deren Untersuchungen stimmen optimistisch; bisher ist allerdings noch kein Lebendtest in einem Stadium, das eine praktische Anwendung in nächster Zukunft ermöglichen würde.
Warten auf die ersten Symptome
Zum momentanen Zeitpunkt (Juli 2005) - 28 Monate nach Infektion der ersten Rinder - sind noch bei keinem Tier aus der Pathogenesestudie klinische BSE-Symptome aufgetreten. Nach den Erfahrungen der britischen Kollegen sollten bei den am FLI infizierten Rindern die ersten klinischen Symptome ungefähr 32 Monate nach der Infektion, also im Spätherbst 2005, auftreten.
Mit immunhistologischen und Immunoblot-Untersuchungen1 konnte das Vorhandensein von pathologischem Prion-Protein im Darmbereich geschlachteter Kälber (in den Peyerschen Platten des distalen Ileums) 12 Monate nach der Infektion belegt werden (Abb. 6). Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die orale BSE-Infektion bei den Tieren erfolgreich war.
In den Gewebeproben aus dem Zentralnervensystem der bisher sezierten Rinder wurden bislang noch keine eindeutigen Ablagerungen des pathologischen Prion-Proteins nachgewiesen. Es bleibt abzuwarten, wann der Erreger dort erstmals auftritt. Die Untersuchungen der entnommenen Gewebeproben stehen erst am Anfang.
Korrespondierender Autor
PD Dr. Martin H. Groschup, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Friedrich-Loeffler-Institut, Boddenblick 5a, D-17498 Greifswald-Insel Riems; martin.groschup@fli.bund.de
* Nachdruck aus ForschungsReport 2/2005
1 Diese Untersuchungsmethoden sind nicht so empfindlich wie die beschriebenen Maustests, benötigen aber wesentlich weniger Zeit.
Nachgewiesene BSE-Fälle in ausgewählten EU-Ländern
(Stand: September 2005)
Vereinigtes Königreich 184266
Irland 1526
Frankreich 945
Niederlande 77
Belgien 129
Dänemark 14
Deutschland 363
Polen 34
Schweiz 459
Österreich 2
Portugal 978
Spanien 587
Italien 127
BSE-Sicherheitsstall auf der Insel Riems
Für die über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahre gehende BSE-Pathogenesestudie wurde auf der Insel Riems ein Versuchsstall errichtet, der den besonderen Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt. Er gliedert sich in einen Stallbereich für Rinder sowie einen Funktionsbereich. Beide Bereiche werden ausschließlich über ein System von Schleusen betreten und ver- bzw. entsorgt. Alle Tierhaltungsbereiche werden natürlich be- und entlüftet. Die Fenster sind mit Windschutznetzen versehen, die auch Vögel von den Stallungen fernhalten.
Das anfallende Abwasser, einschließlich der Gülle, wird einer thermischen Sterilisation bei 136° für 2 Stunden unterzogen. Die Tierkadaver aus den regelmäßigen Sektionen werden über die betriebseigene Tierkörperbeseitigungsanlage entsorgt.
Wenn auch die Rinder am Ende für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ihr Leben lassen müssen, so sind ihre Haltungsbedingungen doch sehr gut: Die Liegeplätze in dem lichten Stall sind aus weichen "Komfort-Gummimatten". Das für die Rinder stets vorrätige Futter besteht aus bestem Heu bzw. Mais.
Das Gebäude ist eingebettet in die Sicherheitskonzeption des Friedrich-Loeffler-Instituts, die Labor- und Stallbereiche bis zur höchsten Sicherheitsstufe L4 vorsieht. Damit werden auf der Insel auch Arbeiten mit gefährlichsten, hochinfektiösen Erregern möglich.

AD PD Dr. Martin H. Groschup, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Friedrich-Loeffler-Institut, Boddenblick 5a, D-17498 Greifswald-Insel Riems; martin.groschup@fli.bund.de

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