Der BSE-Fall von Brakel

erstellt am 22. Januar 1997, zuletzt ergänzt am 12. März 1997

In Brakel im Kreis Höxter lag Anfang Dezember 1996 eine Galloway-Kuh auf der Wiese fest, hatte den Kopf fest in den Nacken gelegt und strampelte hilflos. Nach Angaben seines Besitzers Hans-Jürgen Mikus spritzte dieser selbst dem Tier Vitamin B in den Halsmuskel, weil der von ihm alarmierte Tierarzt nicht schnell genug eintraf. Nach 1-2 Minuten stand die Kuh wieder auf und verhielt sich in den folgenden 3 Wochen scheinbar normal. Die Kuh wurde allerdings schon länger von der Herde abgedrängt und war relativ klein und schwächlich. In dieser Zeit scheint der Tierarzt häufig von der Straße aus die Herde kontrolliert zu haben. Am Ende reagierte das Tier übernervös, wenn jemand auf die Weide kam. Es ließ sich auch nicht zur Verabreichung einer weiteren Vitaminspritze einfangen. Das Tier starb am 27.12.97. Der BSE-Verdacht wurde zunächst histopathologisch von Dr. Wolfgang Thiel im Veterinäruntersuchungsamt Detmold und am 21.1.97 endgültig immunologisch in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere bestätigt. Leider versäumte es Dr. Thiel, das Zahnalter der Kuh zu bestimmen oder wenigstens Ohrtätowierungen zu notieren. Nach eigener Aussage behandelte er diesen Fall als ganz normale Routine, die im Normalfall ausreiche. Auch in der Tierkörper-Beseitigungsanstalt Detmold reagierte man bemerkenswert naiv. Man wollte das aus dem BSE-Tier gewonnene Tiermehl gerade zur Verfütterung an Fische freigeben, als der Wahnsinn endlich durch eine Behörde gestoppt wurde. Der Direktor der Anlage Manfred Brunner bedauerte dies und hielt das Tiermehl für absolut ungefährlich.

Claudia Bindl vom Veterinäramt Höxter entnahm dem rechten Ohr des Cindy genannten Tieres eine gelbe Plastikohrmarke mit der Nummer 208105570. Diese entsprach der Herdbuchnummer des Tieres in der Zuchtbescheinigung. Nach den zunächst vorliegenden Dokumenten wurde die BSE-Kuh Cindy 1992 auf dem Hof des Biobauern Meier-Bodemann in D-17159 Wagun in Mecklenburg-Vorpommern als zweites Kalb der 1989 auf der seit 38 Jahren BSE-freien schottischen Broadley-Farm geborenen und im Februar 1990 nach Mecklenburg-Vorpommern verkauften Galloway-Kuh Camelia geboren. Die Galloways des der Bauern Meier-Bodemann sollen weder Milchaustauscher, noch Futter mit Tiermehl erhalten haben.

Nachforschungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Januar 1997 sollen laut Minister Borchers ergeben haben, daß Camelia 1992 eine männliche Totgeburt hatte und das erst nachträglich das Kuhkalb Cindy als ihre angebliche Tochter eingetragen wurde. Die Kälber auf der Ökofarm im Mecklenburg-Vorpommern sollen erst 1 Jahr nach der Geburt gekennzeichnet worden sein und in den Zuchtunterlagen von mindestens 2 weiteren Rindern sei die gleiche Ohrmarkennummer wie beim in Brakel verendeten Rind mit Bleistift eingetragen worden. Eine dieser beiden Zuchtunterlagen gehörte zu der direkt aus England importierten Kuh Rita mit der selben Ohrmarkennummer.

Zur Klärung dieses Falles wurden intensive Nachforschungen und Erbgutanalysen an den Universitäten Bonn und Göttingen durchgeführt. Am 10.3.97 gab das Bundeslandwirtschaftsministerium bekannt, daß es sich bei der in Brakel an BSE gestorbenen Kuh weder um Cindy, noch um Rita oder gar Camelia, sondern höchstwahrscheinlich um die wenige Monate vor dem Einfuhrverbot im Februar 1990 aus einem BSE-freien britischen Bestand nach Deutschland importierte Kuh "Scottish Queen" gehandelt habe. Sie sei im Sommer 1991 über Niedersachsen nach Mecklenburg-Vorpommern gelangt und erhielt vermutlich bei einem Händler BSE-verseuchtes Tierfutter.

Da sich gerade Gallowaykälber sehr ähneln, müssen derart verspätete Markierungen zu stark erhöhter Verwechslungswahrscheinlichkeit führen. Die nachträgliche Ummeldung spricht aber auch für kriminelle Aktivitäten. Das Ohrmarkenchaos läßt zwar keine eindeutigen Zuordnungen zu einzelner Tiere zu, es widerlegt jedoch eindeutig die Beteuerungen deutscher Behörden, die Herkunft deutscher Rinder durch Kennzeichnung und Beobachtung kontrollieren zu können. Ohrmarken werden nämlich legal und illegal ausgetauscht und lassen Herkunftsnachweise zur Makulatur werden. Dies gab Landwirtschaftsminister Borchart in der ersten Bestürzung auch öffentlich zu. Dieser gab außerdem zu, daß die unter amtlicher Beobachtung stehenden Rinder aus England und der Schweiz durchaus geschlachtet und gegessen werden konnten. Bisher wurde behauptet, die unter amtlicher Beobachtung stehenden Nachkommen britischer Rinder dürfen seit dem letzten Herbst nicht mehr geschlachtet werden. Nach Angaben des jetzt von der Seuche heimgesuchten Landwirtes wußten weder er noch sein Kreisveterinäramt von diesem Verbot. Auch die Gesetze nach denen ausländische Rinder und ihr Fleisch legal deutsch werden, dienen lediglich der Verbrauchertäuschung. Nicht unter Beobachtung stehen übrigens Rinder aus anderen Ländern mit kaum weniger BSE-Fällen, als sie die Schweiz hatte.

Als Bauer Meier-Bodemann nach widersprüchlichen Berichten aufgrund einer Krankheit oder durch Selbstmord starb, scheinen auf dem Hof keine geordneten Verhältnisse geherrscht zu haben. Ohne die für Galloways gesetzlich vorgeschriebene Meldung an die örtliche Veterinärbehörde in Demmin soll "Scottish Queen" mit 7 weiteren Galloways bzw. nach anderen Berichten mit der ganzen Herde in dieser Zeit im Mai 1995 an den Bayreuther Viehändler Reiner Jobst verkauft worden sein. Bei ihm sollen die Tiere 8 Wochen gestanden haben. Er soll wegen fehlender Leukosebescheinigungen vergeblich versucht haben, sie nach Östereich zu verkaufen. Daraufhin sollen 10 Tiere einschließlich der jetzt verendeten Kuh nach Brakel verkauft worden sein, während ihre vermeintliche Mutter Camelia mit den restlichen 41 Tieren in die Niederlande verkauft worden sein soll. Dort soll die in den Dokumenten Camelia genannte Kuh ein drittes Kalb geboren haben und nach mindestens 3 Untersuchungen ohne Befund im August 1996 geschlachtet worden sein. Das Kalb wurde anscheinend ebenfalls geschlachtet und sollte im Institute for Animal Health in Lelystad untersucht werden. Natürlich ist bei einem so jungen Tier nicht unbedingt mit einer Diagnose zu rechnen. Die 42 nach Holland exportierten Tieren wurden anscheinend gefunden und 10 lebten noch. Diese 41 Kühe hatten in Holland 7 Kälber, von denen 3 noch leben sollen. Alle noch in den Niederlanden lebenden Nachkommen der ursprünglichen Herde wurden in das Institute for Animal Health in Lelystad gebracht.

Später wurden weitere der unter behördlicher Aufsicht stehenden Tiere illegal verkauft. Im Januar 1997 fanden Bedienstete des Veterinäramtes auf dem Nachfolgebetrieb des ehemaligen Ökohofes bei Wagun ein Rind mit einer vertauschten Ohrmarke, welche nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aus einem britischen ein deutsches Rind machen sollte.

Kurz nach der Bestätigung der BSE-Diagnose mußte der junge Landwirt Mikus unter Polizeischutz gestellt werden, weil er anonyme Morddrohungen erhielt. Selbst vor laufender Kamera wurde er von anderen Landwirten verbal angegriffen. Diese waren offensichtlich nicht wegen der Gesundheit der Bevölkerung, sondern allein um ihre eigenen Einkünfte besorgt. Dies läßt die Frage aufkommen, was diese Bauern wohl mit BSE-verdächtigen Tieren auf ihren Höfen täten. Leider haben zahlreiche Skandale gezeigt, daß einigen Landwirten nicht nur die Gesundheit ihrer Tiere, sondern auch das Leben ihrer Kunden völlig egal ist. Kürzlich mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß ein Landwirt seine an der Schweinepest gestorbenen Schweine einfach heimlich auf dem eigenen Hof vergraben hatte. Angesichts der Stabilität der Erreger von BSE und Scrapie wäre entsprechendes Verhalten bei BSE-Rindern fatal.

Die Bedrohung eines ehrlichen Landwirtes ist ebenso beunruhigend, wie die wirtschaftliche Vernichtung der deutschen Tierärztin Dr. Herbst durch deutsche Behörden. Sie beging den Fehler, die Öffentlichkeit über den verantwortungslosen Umgang ihrer Vorgesetzten mit BSE-verdächtigen Rindern in einem deutschen Schlachthof zu informieren. Auch deutsche Behörden lieben Bürgerinnen mit Zivilcourage nicht und das haben nun alle Tieräzte in unseren Schlachthöfen begriffen.

Am 22.1.97 beschlossen Fachleute aus den verantwortlichen Ministerien des Bundes und der Länder, 5.200 direkt aus Großbritannien und der Schweiz (2.600 plus 2.600) importierte Rinder töten zu lassen. Sie werden allerdings nicht wie in England üblich direkt verbrannt, sondern zunächst zu Tiermehl verarbeitet. Dabei scheinen die amtlichen Fachleute die Gefahr einer Verseuchung von Tierkörperverwertungsanlagen zu übersehen. Inzwischen wehren sich viele Landwirte gerichtlich gegen die Tötung ihrer Rinder und hatten zum Teil auch Erfolg damit.

Die Nachkommen der aus Großbritannien importierten Rinder sollen zunächst nicht getötet werden. Ihre Tötung hält man für nicht verantwortbar, solange es noch Zweifel an der Übertragung der Krankheit von der der Mutter auf das nun an BSE gestorbene Tier gibt.

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