Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 239-43

Roland Heynkes, 4. Mai 2001 (aktualisiert am 13.6.2001)

Gliederung

bibliographische Angaben
meine Zusammenfassung des Artikels
Literaturliste

bibliographische Angaben

Wilesmith,J.W.; Wells,G.A.; Ryan,J.B.; Gavier-Widen,D.; Simmons,M.M. - A cohort study to examine maternally-associated risk factors for bovine spongiform encephalopathy - Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 239-43

meine Zusammenfassung des Artikels

Mit Hilfe der britischen BSE-Datenbank [AMND] wurden zwischen Juli 1989 und Februar 1990 immerhin 315 Kälber gekauft, deren Mütter an BSE erkrankt waren. Zu jedem dieser Kälber wurde ein im selben Jahr in der selben Herde geborenes Vergleichskalb gekauft, deren Mutter mindestens bis zum 6. Geburtstag nicht an BSE erkrankt war. Alle Tiere waren bereits entwöhnt und eine Fortpflanzung wurde verhindert. Starb ein Tier bis zum 1.3.1990 und ohne Anzeichen für BSE oder erkrankte die Mutter eines Vergleichskalbes während der Studie, so wurde das betroffene Vergleichspaar aus der Studie genommen. Am Ende blieben 301 Vergleichspaare für die statistische Auswertung. Davon stammten 270 (89,7%) der Paare aus Milchviehherden, 4 (1,3%) aus Mutterkuhhaltung und 27 (9,0%) aus Mischherden. 215 Kälber von BSE-Müttern und 205 Kälber von nicht BSE-auffälligen Müttern wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1988 geboren. Leider tötete man alle Tiere spätestens um ihren 7. Geburtstag und vergab damit die Chance, eine über die 7 Jahre hinaus gehende und nicht durch vorzeitige Schlachtung beeinflußte Altersverteilungskurve der BSE-Fälle zu erhalten. Außerdem erhielten die Tiere leider auch konventionelles Kraftfutter, welches auch mit Tiermehl verunreinigt sein konnte. Erstaunlicherweise wurden die Diagnosen bei diesem extrem aufwendigen Experiment nur histopathologisch durchgeführt, obwohl immunologische Untersuchungen möglich gewesen wären. Immerhin erstellte man Profile der Schädigungsmuster aufgrund der Untersuchung von 17 definierten Hirnarealen, aber man achtete dabei nur auf Vakuolen. Signifikante Unterschiede zwischen den Nachkommen gesunder bzw. an BSE gestorbener Mütter wurden dabei nicht beobachtet.

45 Tiere erkrankten vor ihrem 7. Geburtstag eindeutig klinisch an BSE, eines mußte wegen einer gelegentlich als BSE-Symptom beschriebenen Pansenlähmung getötet werden, und ein Tier lag sehr wahrscheinlich aufgrund von BSE plötzlich fest. Bei all diesen und bei weiteren 8 erst am Ende der siebenjährigen Beobachtungszeit getöteten Tieren wurde histopathologisch BSE diagnostiziert. Insgesamt erkrankten mit 42 von 301 (14,0%) signifikant mehr Kälber von BSE-Kühen als Vergleichskälber von nicht an BSE erkrankten Kühen mit nur 13 von 310 (4,3%). Da die Paare jeweils aus der selben Herde und dem selben Jahr stammten, muß dieser Unterschied irgendwie mit der Mutter zu tun haben.

Der Risikounterschied der beiden Gruppen beträgt 9,7% mit einem 95%-Zuverlässigkeitsintervall von 5,1-14,2%. Aber die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Geburt relativ zum Tiermehlverfütterungsverbot läßt deutlich erkennen, daß die vor dem Tiermehlverfütterungsverbot geborenen Tiere wesentlich häufiger als die danach geborenen an BSE erkrankten. Deshalb sind die absoluten Differenzen zwischen den relativen BSE-Fallzahlen der BSE-Kuh-Nachkommen und den Nachkommen gesunder Kühe bei den vor dem Tiermehlverfütterungsverbot geborenen Tiere wesentlich größer als bei den danach geborenen. Die Differenz von 9,7% ist daher sehr zufällig und ändert sich drastisch mit der Gesamthäufigkeit von BSE. Mir ist deshalb schleierhaft, wie man aus diesen Daten eine maternale BSE-Übertragungsrate von 10% ableiten konnte.

Nur sehr wenig und ohne erkennbaren Trend veränderte sich hingegen nach dem Verfütterungsverbot das Verhältnis zwischen der BSE-Häufigkeit der Nachkommen von BSE-Kühen zu der BSE-Häufigkeit der Nachkommen gesunder Kühe. Weitgehend unabhängig von der stark absinkenden BSE-Mortalität blieb dieses Verhältnis durchschnittlich 3,2 mit einem 95%-Zuverlässigkeitsintervall von 1,8-5,9%.

BSE-Status der Mutter BSE-Status der Nachkommen
+ - Anteil
8-12/1987
+ 7 3 70,0%
- 2 7 22,2%
Summe 9 10  
Risikodifferenz: 47,8%, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 8,5-87,1
relatives Risiko: 3,2, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 0,9-11,4
1-6/1988
+ 5 7 41,7%
- 1 13 7,1%
Summe 6 20  
Risikodifferenz: 34,5%, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 3,5-65,5
relatives Risiko: 5,83, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 0,8-43,3
7-12/1989
+ 25 190 11,6%
- 8 197 3,9%
Summe 33 387  
Risikodifferenz: 7,7%, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 2,7-12,8
relatives Risiko: 3,0, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 1,4-6,5
1-11/1989
+ 5 59 7,8%
- 2 71 2,7%
Summe 7 130  
Risikodifferenz: 5,1%, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 2,5-12,6
relatives Risiko: 2,9, 95% Zuverlässigkeitsintervall: 0,6-14,2

Würden BSE-infizierte Mütter mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ihre Kälber infizieren, dann hätte das Verfütterungsverbot bei den längst infizierten Kühen überhaupt keinen Einfluß auf diese maternale Übertragung haben können. Deshalb wäre die BSE-Häufigkeit bei den Kälbern BSE-infizierter Kühe weniger stark als bei der Kontrollgruppe zurückgegangen und ihr relatives Risiko hätte zugenommen. Weil dies trotz der 7 nur histopathologisch entdeckten BSE-Fälle bei Nachkommen von BSE-Kühen bei nur 1 solchen Nachkommen einer gesunden Mutter überhaupt nicht der Fall ist, spricht das Ergebnis der Weybridge-Kohortenstudie eindeutig gegen eine maternale BSE-Übertragung bei Rindern.

Außerdem hätte man bei maternal infizierten Rindern im Durchschnitt eine größere Menge aufgenommener Infektiosität und einen früheren Infektionszeitpunkt erwartet. Deshalb hätten die Nachkommen BSE-kranker Kühe im Durchschnitt früher erkranken müssen. Aber trotz des deutlich unterschiedlichen Erkrankungsrisikos waren die mittleren Inkubationszeiten mit 66,6 Monaten bei den BSE-Nachkommen und 65,6 Monaten bei den Nachkommen nicht an BSE erkrankter Mütter nicht signifikant unterschiedlich. Dabei wären die 7 nur histopathologisch entdeckten BSE-Fälle bei Nachkommen von BSE-Kühen erst später erkrankt und hätten das durchschnittliche Erkrankungsalter in ihrer Gruppe noch weiter erhöht.

Würde die maternale BSE-Übertragung nicht schon vorgeburtlich, sondern erst über die Milch erfolgen, dann würde man allerdings höchstens einen sehr geringen Unterschied zwischen den Inkubationszeiten beider Gruppen erwarten. Aber die meisten Tiere dieser Studie stammten ja von Milchkühen und hatten daher lediglich 1-2 Tage lang Kolostrum und keine Milch erhalten.

Die naheliegendste Erklärung für diese Ergebnisse der Weybridge-Kohortenstudie ist also eine von der Mutter vererbte, leicht erhöhte Empfänglichkeit für eine BSE-Infektion. Als weitere Möglichkeit sehen die Autoren noch die Möglichkeit, daß BSE-Kühe und ihre Kälber mehr fressen und daher häufiger infiziert werden. Es ist allerdings zu beachten, daß die Zahl vor dem Tiermehlverfütterungsverbot geborener Tiere in dieser Studie zu klein war, um diese Trends statistisch eindeutig zu belegen.

Außerdem fand man bei kurz vor oder nach der Erkrankung des Muttertieres geborenen Rindern deutlich mehr BSE-Fälle, als bei länger vor der Erkrankung des Muttertieres geborenen Rindern. Dies spricht natürlich viel eher für eine echte maternale Übertragung. Aber erstens ist dieser Unterschied wegen zu kleiner Fallzahlen nicht signifikant und zweitens fand man auch bei länger nach der Erkrankung des Muttertieres geborenen Rindern deutlich weniger BSE-Fälle. Letzteres wäre bei maternaler Übertragung nicht zu erwarten. Die Autoren machen hierzu leider keine näheren Angaben, aber es wäre denkbar, daß man die Kälber besonders deutlich erkrankter Kühe mit Kolostralmilch anderer Kühe versorgt hat. Weil die Autoren auch keine Vergleichszahlen von Nachkommen gesunder Kühe nennen, lassen sich die wahren Ursachen für diesen möglicherweise auch gar nicht wirklich existierenden Effekt nicht aufklären. Diese Studie spricht daher nicht gegen eine Infektiosität von Kolostrum, aber wenn einige Kühe ihre Käber via Kolostrum infiziert haben sollten, dann wurde dieser Effekt durch die Kontamination des Futters vollständig überdeckt.

Monate zwischen Geburt und Erkrankung der Mutter Zahl der Nachkommen BSE-infizierter Kühe Zahl der bestätigten BSE-Fälle kumulierte BSE-Inzidenz in Prozent
-6 bis -2 26 1 3,8%
-1 bis +4 231 39 16,8%
+5 oder mehr 44 2 4,5%

Neben diesem liefern weitere Artikel noch alternative Auswertungen der selben Daten [ANDO, ANDP, ANDR, ANDQ, ADNV].

Literaturliste

ANDO . Curnow,R.N.; Hodge,A.; Wilesmith,J.W. - Analysis of the bovine spongiform encephalopathy maternal cohort study - the discordant case-control pairs - Applied Statistics - Journal of the Royal Statistical Society Series C 1997; 46(3): 345-9

ANDP . Donnelly,C.A.; Gore,S.M.; Curnow,R.N.; Wilesmith,J.W. - The bovine spongiform encephalopathy maternal cohort study: Its purpose and findings - Applied Statistics - Journal of the Royal Statistical Society Series C 1997; 46(3): 299-304

ANDQ . Donnelly,C.A.; Ghani,A.C.; Ferguson,N.M.; Wilesmith,J.W.; Anderson,R.M. - Analysis of the bovine spongiform encephalopathy maternal cohort study: Evidence for direct maternal transmission - Applied Statistics - Journal of the Royal Statistical Society Series C 1997; 46(3): 321-44

ADNV . Donnelly,C.A.; Ferguson,N.M.; Ghani,A.C.; Wilesmith,J.W.; Anderson,R.M. - Analysis of dam-calf pairs of BSE cases: confirmation of a maternal risk enhancement. - Proceedings of the Royal Society of London. Series B: Biological Sciences 1997 Nov 22; 264(1388): 1647-56

ANDR . Gore,S.M.; Gilks,W.R.; Wilesmith,J.W. - Bovine spongiform encephalopathy maternal cohort study - exploratory analysis - Applied Statistics - Journal of the Royal Statistical Society Series C 1997; 46(3): 305-20

AMND . Wilesmith,J.W.; Ryan,J.B.; Hueston,W.D.; Hoinville,L.J. - Bovine spongiform encephalopathy: epidemiological features 1985 to 1990 - The Veterinary Record 1992 Feb 1; 130(5): 90-4

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