Roland Heynkes, 15.3.2002 (zuletzt aktualisiert am 20.3.2002)
Gliederung |
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bibliographische Angaben | |
meine Zusammenfassung des Artikels |
Gajdusek,D.C. - Unconventional viruses and the origin and disappearance of kuru - Science 1977 Sep 2; 197(4307): 943-60
In seiner Dankesrede zur Verleihung des Nobelpreises am 13. Dezember 1976 erklärte D. Carleton Gajdusek, Kuru sei die erste chronisch degenerative Krankheit des Menschen gewesen, bei der man habe zeigen können, daß ein "slow virus" die Ursache sei. Dabei waren ihm offenbar die mit den ungewöhnlichen biologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften begründeten Zweifel an der viralen Natur des infektiösen Agens und Alternativmodelle bekannt, obwohl er entsprechende Zitate leider unterschlägt. Er wußte auch, daß es im Gegensatz zu Kuru bei tatsächlich slow-virus-bedingten Krankheiten Entzündungen im Gehirn und Reaktionen des Immunsystems gibt und auch in seinem Labor waren intensive Bemühungen um die Isolation eines Virus erfolglos. Er sah aber noch genügend Gründe, den Erreger ein Virus zu nennen. Ein Photo von dem vermeintlichen Kuru-Virus wäre allerdings ein überzeugenderer Beweis gewesen, als der Scheck des zu Irrtümern neigenden Nobelpreis-Komitees. Vielleicht glaubte man ihm so bereitwillig und erkannte ihm den Preis zu, weil, wie er ausführte, kurz nach der Proklamation eines "slow virus" als Ursache von Kuru, tatsächlich einige Erkrankungen auf weit zurückliegende, virale Infektionen mit ganz anderen akuten Symptomen zurückgeführt werden konnten. So ehrte man anscheinend den Falschen als Entdecker einer neuen Gruppe menschlicher Krankheiten, die allerdings nach seinen eigenen Worten bei Tieren längst bekannt waren.
Gajdusek bemühte sich um eine Relativierung der außerordentlichen Resistenz der Scrapie-Infektiosität gegenüber ultravioletter Strahlung mit dem Argument, daß das kleinste bekannte RNA-Virus zwar nicht in gereinigter Form, aber doch immerhin im Pflanzensaft sogar noch strahlungsresistenter sei.
Der Autor führt eine lange Reihe von Primaten an, die sich im Experiment als empfänglich für Kuru, CJK, Scrapie und Nerz-TSE erwiesen. Leider ist diese Tabelle nicht vollständig interpretierbar, weil eine Legende mit Erklärungen und Daten fehlt. Es wird aber deutlich, daß Schimpansen besonders leicht, verschiedene mit dem Menschen weniger verwandte Primaten schon weniger leicht und mit längeren Inkubationszeiten infiziert wurden. Nach vielen vergeblichen Übertragungsversuchen mit anderen Tierarten gelang schließlich auch die Übertragung auf Nerz und Frettchen. Mit Hirnen von CJK-Patienten gelang der Gruppe des Autors eine Übertragung nicht nur auf verschiedene Affenarten, sondern auch auf eine Hauskatze (Inkubationszeit 30 Monate) und Meerschweinchen. In der zweiten Passage verkürzten sich die Inkubationszeiten bei Katzen auf 19, 19, 21, bzw. 24 Monaten. Bei Hamstern und Mäusen war die Gruppe des Autors mit Kuru und CJK nicht erfolgreich.
CJK-infizierte Affen starben teilweise nach nur wenigen Tagen Krankheit oder sogar ohne vorher beobachtete Symptome. Mit Hirnhomogenat (5%) von einem Patienten übertrug man die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch intrazerebrale Inokulation auf 2 Schimpansen (Inkubationszeiten 12 bzw. 13 Monate), einen Kapuzineraffen (Unterfamilie Cebinae, capuchin) (Inkubationszeit 31 Monate) und einen Krallenaffen (Unterfamilie Callitrichidae, marmoset) (Inkubationszeit 43 Monate). Mit Hirnhomogenat eines anderen Patienten übertrug man die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch intrazerebrale Inokulation auf einen Schimpansen (Inkubationszeit 13 Monate) und eine Katze (Inkubationszeit 30 Monate). Mit Hirnhomogenat von einem selbst mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infizierten Schimpansen wiederum übertrug man die Krankheit durch intrazerebrale Inokulation auf 3 Schimpansen (Inkubationszeiten 10, 13 bzw. 14 Monate), 1 grüne Meerkatze (Cercopithecus aethiops, African green) (Inkubationszeit 14 Monate), 2 Totenkopfaffen (Saimiri, squirrel monkey) (Inkubationszeiten 19, bzw. 21 Monate), 1 Rhesus-Affen (Macaca mulatta, Rhesus) (Inkubationszeit 60 Monate), 1 Bären- oder Stumpfschwanzmakak (Macaca arctoides, Stump-tailed macaque) (Inkubationszeit 60 Monate), 1 Javaneraffen, Langschwanzmakak (Macaca fascicularis, Cynomolgus macaque) (Inkubationszeit 60 Monate). 1 Halsbandmangabe (Cercocebus torquatus, Collared oder Sooty mangabey) und ein Schweinsaffe (Macaca nemestrina, Pig-tailed macaque) wurden, vermutlich nach 60 Monaten, ohne erkennbare Symptome getötet und erwiesen sich erst in der histopathologischen Untersuchung als infiziert. Mit Hirnhomogenat der 3 Schimpansen der zweiten Passage (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) übertrug man die Krankheit durch intrazerebrale Inokulation in einer dritten Passage auf 2 Schimpansen (Inkubationszeiten 12 bzw. 13 Monate), 1 Geoffroy-Klammeraffen (Ateles geoffroyi, Spider monkey) (Inkubationszeit 24 Monate), 2 Kapuzineraffen (Unterfamilie Cebinae, capuchin) (Inkubationszeiten 28 bzw. 35 Monate), 2 Rhesus-Affen (Macaca mulatta, Rhesus) (Inkubationszeit 43 bzw. 52 Monate), sowie 6 Totenkopfaffen (Saimiri, squirrel monkey) (Inkubationszeiten von 21, 22, 3x24, bzw. 47 Monaten). Mit dem Hirnhomogenat eines Schimpansen der dritten Passage (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) übertrug man die Krankheit durch intrazerebrale Inokulation noch in drei weiteren Passagen 2 Schimpansen (Inkubationszeiten 11, 11,5, 12,5, 13 bzw. 16 Monate). Viel kann man allerdings mit diesen Angaben zu den Inkubationszeiten nicht anfangen, weil der Autor zwar die Konzentrationen, nicht aber die injizierten Mengen der Hirnhomogenate angibt.
Tabellarisch gab es folgende erfolgreiche Übertragungen mit den Inkubationszeiten in Monaten:
Creutzfeldt-Jakob-Übertragungen von Mensch oder Schimpanse auf: | ||
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Empfängerspezies | Mensch (CJK) | Schimpanse (CJK) |
Schimpanse | 12, 13, 13 | 10, 11, 11,5, 12, 12,5, 13, 13 13, 14, 16 |
Kapuzineraffe, (Unterfamilie Cebinae, capuchin) | 31 | 28, 35 |
Krallenaffe, (Unterfamilie Callitrichidae, marmoset) | 43 | |
Hauskatze | 30 | |
grüne Meerkatze (Cercopithecus aethiops, African green) | 14 | |
Totenkopfaffe (Saimiri, squirrel monkey) | 19, 21, 21, 22, 24, 24, 24, 47 | |
Rhesus-Affe (Macaca mulatta, Rhesus) | 43, 52, 60 | |
Bären- oder Stumpfschwanzmakak (Macaca arctoides, Stump-tailed macaque) | 60 | |
Javaneraffe oder Langschwanzmakak (Macaca fascicularis, Cynomolgus macaque) | 60 | |
Geoffroy-Klammeraffe (Ateles geoffroyi, Spider monkey) | 24 | |
Halsbandmangabe (Cercocebus torquatus, Collared oder Sooty mangabey) | neahei | |
Schweinsaffe (Macaca nemestrina, Pig-tailed macaque) | neahei | |
neahei = nicht erkrankt, aber histopathologisch erkennbar infiziert |
Scrapie-Übertragungen | |||||
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Empfängerspezies | Schaf | Ziege | Maus | Totenkopfaffe | Javaneraffe |
Maus | 13 | 7 | 4, 4, 4, 4, 4 | ||
Schaf | 13, 13 | ||||
Ziege | x | 13, 13,5 | |||
Geoffroy-Klammeraffe (Ateles geoffroyi, Spider monkey) | 38 | ||||
Totenkopfaffe (Saimiri, squirrel monkey) | 31 | 14,14, 31, 33 | 35, 35 | ||
Javaneraffe oder Langschwanzmakak (Macaca fascicularis, Cynomolgus macaque) | 73 | 65 | 27 | ||
Kapuzineraffe, (Unterfamilie Cebinae, capuchin) | 32, 35,5 | ||||
Rhesus-Affe (Macaca mulatta, Rhesus) | 30, 37 |
Der Autor meint, daß Kuru hauptsächlich über die Schleimhäute von Augen, Mund und Nase, oder durch Verletzungen der Haut übertragen wurde, weil die Fore zwar Fleisch kochten, sich aber selten oder nie wuschen. Die Frauen öffneten die Schädel verstorbener Angehöriger, aber Gajdusek verrät leider nicht, was sie dann mit dem Gehirn taten. Er spricht von rituellem Kannibalismus, aber was soll das sein? Jedenfalls kamen dabei die verwandten Frauen, ihre Töchter und ihre kleinen Söhne mit dem hochinfektiösen Material in Berührung. Die Männer und halbwüchsigen Jungen lebten und aßen getrennt von den Frauen und beteiligten sich selten an der Beerdigungszeremonie.
Leider nur graphisch zeigt der Autor, daß in den benachbarten Bergtälern mit 160 Dörfern und wenig mehr als 35.000 Einwohnern die Frauen zu Beginn der Aufzeichungen im Jahr 1957 etwa fünfmal so häufig von Kuru betroffen waren, wie Männer. Aber auch Kinder und sogar Kleinkinder beiderlei Geschlechts erkrankten damals oft an Kuru. Das in verschiedenen Dörfern zwischen 1957 und 1962 eingeleitete Ende des hauptsächlich von Frauen als Trauerritus für Verwandte praktizierten Kannibalismus wirkte jedoch bei den Frauen und ihren Kindern viel schneller und stärker als bei den Männern, so daß die Häufigkeit von Kuru bis 1975 bei den Frauen fast bis auf die Inzidenz der Männer abnahm. Dies könnte eine Folge deutlich kürzerer Inkubationszeiten aufgrund viel höherer Dosen aufgenommener Infektiosität bei den Frauen gewesen sein. Insgesamt nahm die jährliche Kuru-Sterblichkeit von 1957 bis 1959 noch leicht zu und danach bis 1975 auf weniger als ein Fünftel ab und es soll bis dahin kein nach dem Ende des Kannibalismus geborenes Kind an Kuru erkrankt sein.
In Gehirnen von Kuru-Patienten fand man nach den Angaben des Autors 10^8 infektiöse Einheiten pro Gramm, aber er vergaß zu erwähnen, um was für Einheiten es sich dabei handelte. Eigentlich kann es sich kaum wirklich um infektiöse Einheiten, sondern eher um LD50-Einheiten gehandelt haben und natürlich kann diese Angabe auch nur für eine bestimmte Empfängerspezies und eine bestimmte Aplikationsform gelten. Es ist wohl zuviel verlangt, daß ein Nobelpreisträger auf solche Details achtet, aber wozu hat die Fachzeitschrift Science eigentlich Lektoren? Jedenfalls fand man in welchen Übertragungsexperimenten auch immer, nur selten Kuru-Infektiosität in Leber oder Milz und überhaupt keine in Blut, Urin, Leukozyten, Cerebrospinalflüssigkeit, Plazenta, oder embryonalen Membranen.
Bei seinen Übertragungsexperimenten lernte der Autor, daß das selbe infektiöse Agens in verschiedenen Affenarten unterschiedliche Hirnregionen bevorzugt schädigte.
In einem Schema zeigt Gajdusek, daß er die nicht bewiesene Übertragung von Scrapie auf Menschen für möglich hält.
In seiner Dankesrede zur Verleihung des Nobelpreises am 13. Dezember 1976 erklärte D. Carleton Gajdusek auch, daß bis dahin keine Übertragung menschlicher oder tierischer TSEs mit Blut gelang. Dennoch übertrug seine Arbeitsgruppe 3 Schimpansen je 300 ml Blut von einem Creutzfeldt-Jakob-Patienten. Das Ergebnis dieses Experimentes stand noch aus.
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