Therapiewoche 15.10.1996; 46(29): 1618-20

Gelatine ohne BSE-Erreger

Herstellung nur aus gesunden Tieren möglich

Roland Heynkes, zuletzt aktualisiert am 6.12.2001)

Gliederung

Aktualisierung
Zusammenfassung
Gelatine ist überall
BSE-Sicherheit umstritten
Das Rohmaterial der Gelatine
Erreger überstehen Säuren und Laugen
Hitzeresistente Erreger
Total ist Inaktivierung nicht möglich
Offene Fragen
Entscheidung über Prion-Theorie
Literaturliste

Aktualisierung

Mein Artikel ist inzwischen 5 Jahre alt geworden und in der Zwischenzeit hat die Gelatineindustrie viele damals noch fehlende Daten gewonnen. Leider wurden diese immer noch nicht publiziert, aber die mir bekannten Informationen sind sehr beruhigend. Im Ausgangsmaterial eventuell vorhandene Infektiosität wird während der Gelatineproduktion auf ein Hundertausendstel oder noch kleinere Anteile reduziert. Damit ist Gelatine das BSE-sicherste aus Rindern oder Schweinen hergestellte Produkt und auf jeden Fall um viele Größenordnungen sicherer als Fleisch. Auch Milch kann bei weitem nicht diese BSE-Sicherheit garantieren und daher wäre es geradezu lächerlich, aus Angst vor BSE nur Gelatine-freien Joghurt zu konsumieren.

Andererseits ist aber die Gewinnung BSE-sicherer Rohstoffe durch die inzwischen sogar über Europa hinausgehende Verbreitung von BSE sehr viel schwieriger geworden. Außerhalb von England wird die Zahl der BSE-Fälle noch mindestens 4 Jahre lang zunehmen, bis die zwischen Juli 2000 und Anfang 2001 eingeführten Maßnahmen erkennbar Wirkung zeigen. Bis dahin wurde das seit 1994 geltende Verbot der Verfütterung von Rindertiermehl an Rinder durch gefährlich schlampige Produktionsbedingungen faktisch unterlaufen. Da außerdem weniger als die Hälfte der Schlachtrinder einem BSE-Test unterzogen werden und die heutigen Tests BSE-Infektionen auch nur ungefähr im letzten Zehntel der Inkubationszeit erkennen können, werden immer noch die meisten BSE-infizierten Rinder unerkannt geschlachtet. Die Beschränkung der Gelatinehersteller auf Knochen und Unterhaut von für den menschlichen Verzehr freigegebenen Rindern bringt daher sehr wenig für die BSE-Sicherheit ihrer Rohstoffe. Glücklicherweise waren die Gelatinehersteller wenigstens schon seit Jahren sehr viel umsichtiger als die meisten Hersteller von Rindermischfutter und orientierten sich insbesondere sehr viel stärker als die europäischen Gesetzgeber an der Verbrauchersicherheit. Deshalb haben die europäischen Gelatinehersteller freiwillig seit 1997 keine Rinderköpfe und seit 1998 keine Knochen mit Rückenmarksresten mehr verarbeitet. Da reine Knochen und Haut höchstens eine sehr geringe BSE-Infektiosität aufweisen, bringen diese Maßnahmen eine deutlich höhere Sicherheit.

Insgesamt bedeutet dies, daß BSE-sicheres Rohmaterial für die europäischen Gelatinehersteller kaum zu beschaffen ist und daß deshalb die große BSE-Sicherheit der Gelatine überwiegend der extremen Abreicherung der Infektiosität im Verlauf der Gelatineproduktion zu verdanken ist.

Trotz dieser neuen Erkenntnisse bleiben die Aussagen meines alten Artikels mit Ausnahme folgender Korrekturen richtig:

  1. Eigentlich sind Prionen nicht einzelne Moleküle, sondern bestehen immer aus vielen Prionproteinen, von denen jedes ein separates Makromolekül darstellt.
  2. Die Empfänglichkeit für BSE-Infektionen ist bei verschiedenen Menschen tatsächlich sehr unterschiedlich und selbstverständlich trägt dies auch dazu bei, daß nur ein kleiner Teil der Konsumenten infektiöser Nahrungsmittel erkrankt. Aber es nicht ganz richtig, von unterschiedlichen tödlichen Dosen zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche, für die Hälfte aller Menschen einer bestimmten genetischen Ausstattung tödliche Dosen. Die minimale tödliche Dosis ist immer ein einziges Prion. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß ein einzelnes BSE-Prion einen Menschen tödlich infiziert, ist immer sehr klein und unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.
  3. Hinsichtlich meines leider von den experimentellen TSE-Forschern immer noch nicht durchgeführten Experimentes zur Bestätigung oder Widerlegung der Prion-Hypothese ist eine Präzisierung erforderlich. Im Reagenzglas aus der normalen in die proteaseresistente Form gebrachtes Prionprotein ist zunächst einmal fest mit dem Prion verbunden, durch welches es umgeformt wurde. Daher nimmt die Zahl der Katalysatoren erst zu, wenn ein sehr lang gewordenes Prion bricht. Wahrscheinlich geschieht dies im Reagenzglas nur selten und daher dürfte der beobachtbare Effekt nur sehr klein sein, wenn man nicht bereits lange vor Zugabe des normalen Prionproteins durch bewegungsbedingte Scherkräfte für eine stabile Beschränkung der durchschnittlichen Prionengröße sorgt.

Zusammenfassung

Die Erreger von Scrapie und BSE sind außerordentlich resistent gegen physikalische und chemische Einflüsse. Verglichen mit den Bedingungen während der Gelatineproduktion überstanden sie in den Experimenten die 10-fache Säurekonzentration, die 20-fache Laugenkonzentration und eine um 220°C höhere Trocknungstemperatur. Da sich die Prozeduren der Gelatineherstellung nicht ohne erhebliche Verluste an Ausbeute und Qualität verschärfen lassen, kann Gelatine nur aus gesunden Tieren sicher hergestellt werden. Für einen sicheren Erregernachweis in Mensch, Tier und Rohmaterial muß endlich geklärt werden, ob das veränderte Prionprotein mit dem Erreger identisch ist. Daher wird ein einfaches Experiment vorgeschlagen, mit dem sich die Prion-Theorie binnen weniger Tage beweisen oder widerlegen läßt.

Gelatine ist überall

Gelatine ist ein außerordentlich vielseitig verwendbarer Rohstoff, der zur Verbesserung der Eigenschaften unzähliger Lebensmittel und Arzneien verwendet wird. Sie dient als zusätzliche Eiweißquelle, Trägermaterial, Stabilisator, Bindemittel, Aufschlagmittel und Emulgator, zur Kochsalzreduktion und Geschmacksverstärkung, zur Klärung von Getränken und als kollagenes Eiweiß im diätetischen Bereich.

Man findet sie in Gelee, Sülze, Aspik und Götterspeise, in Speiseeis, manchen Margarinen, in Süßwaren wie Gummibärchen, Weichkaramellen, Marshmellows, Lakritz und Negerküssen, in Tortenfüllungen und Desserts, in Milchprodukten wie Joghurts und Cremespeisen sowie in Pasteten und Fertiggerichten. Creme und Schaum sind oft Gelee mit Eischnee, Schlagsahne oder Quark.

Qualitätsweine, Apfelwein, Apfelsaft und in manchen Ländern auch Bier werden mit Gelatine von Trübungen sowie Gerb- und Bitterstoffen befreit. In Limonaden bleibt sie drin. In Milch-Mix-Getränken mit Obst- oder Gemüsezusätzen verhindert Gelatine das Gerinnen der Milch. Gemüsesäfte werden mit Gelatine angedickt und mit Vitaminen und Mineralien angereichert. In Fleischkonserven bindet Gelatine den Fleischsaft. Salami und Pfefferwurst werden teilweise durch Gelatine vor Austrocknung geschützt.

Die Pharmaindustrie verwendet Gelatine in weichen und harten Medikamentenkapseln, zum Binden von Tabletten und Dragees, in Schwammform für die Wundbehandlung und in gelöster Form als Plasmaexpander. Auch in Vitaminpräparaten und Kosmetik ist sie enthalten. Menschen mit Nagelwachstumsstörungen oder Gelenk- und Knorpelproblemen werden mit Gelatine behandelt. Die Tierfutterindustrie verwendet Gelatine teilweise in Milchaustauschern für Kälber. Gelatine ist so allgegenwärtig, daß in den Industriestaaten niemand mehr ihre Aufnahme vermeiden kann. Daher müssen sich heute selbst Vegetarier fragen, ob bei der Herstellung von Gelatine aus Schlachtabfällen von Schweinen und Rindern auch sämtliche Krankheitserreger unschädlich gemacht werden.

BSE-Sicherheit umstritten

Die Weltgesundheitsorganisation schreibt in ihrem Datenblatt 113 sowie im Bericht WHO/EMC/DIS/96.147 über ihre gemeinsam mit der FAO und der OIE am 2. und 3. April 1996 in Genf abgehaltene Konferenz über die übertragbaren schwammförmigen Gehirnschädigungen bei Mensch und Tier: Gelatine in der Nahrungskette wird für sicher gehalten, sofern sie mit einer Methode produziert wird, welche nachweislich alle Erreger inaktiviert.

Dies ist ebenso richtig wie trivial. Leider gibt es jedoch kein Nachweisverfahren für geringe Erregerkonzentrationen, so daß diese Bedingung nicht erfüllt werden kann. Der Grund liegt in der kurzen Lebensdauer der als Empfänger verwendeten Nagetiere und der Notwendigkeit, die Speziesbarriere zwischen Rind und Nager zu überwinden.

In der Presseerklärung WHO/28 vom 15. April 1996 wird dann jedoch aus dieser zwar nichtssagenden, aber immerhin richtigen Einschätzung der Experten eine ebenso mißverständliche wie wissenschaftlich unhaltbare Position. Der menschliche Gebrauch von Gelatine wird für sicher gehalten, weil bei ihrer Herstellung ein chemischer Extraktionsprozeß BSE-Infektivität zerstört. Auch beim Kochen und Backen wird BSE-Infektivität zerstört, und dennoch würde kein vernünftiger Mensch das gekochte Gehirn einer an BSE verendeten Kuh verzehren. Besonders bedenklich ist diese Haltung der WHO, weil sie von einer schottischen Studie wußte, welche die europäische Gelatineindustrie 1993 in Auftrag gegeben hatte. Bei der Simulation der Gelatineherstellung in kleinem Maßstab konnte bei keiner der beiden chemischen Behandlungen eine Reduktion der Erregerzahl festgestellt werden.

Ebenfalls im Bericht WHO/EMC/DIS/96.147 wird nachdrücklich darauf hingewiesen, daß für die pharmazeutische Industrie bestimmte Rinderbestandteile nur aus praktisch BSE-freien Ländern bezogen werden sollen, weil die anwendbaren Inaktivierungsverfahren das Risiko einer Infektion mit dem gegenüber physikalisch-chemischen Einflüssen äußerst widerstandsfähigen BSE-Erreger lediglich senken können. Die europäische Arzneimittelagentur in London entschied, daß Gelatine für Arzneimittel nicht aus in Großbritannien geschlachteten Rindern stammen soll.

Obwohl britische Schlachtabfälle erhebliche Erregermengen enthalten und für kein Verfahren die Fähigkeit zur vollständigen Inaktivierung von BSE-Erregern nachgewiesen werden konnte, setzte EU-Kommisar Franz Fischler die Aufhebung des Exportverbotes für britische Gelatine unter der Bedingung durch, daß diese nach dem von den deutschen Gelatine-Fabriken Stoess AG angewendeten Verfahren [6] hergestellt wird. Daher ist ein Vergleich der bei diesem Verfahren herrschenden Bedingungen mit den Experimenten interessant, welche die Erreger bereits nachweislich überstanden haben.

Das Rohmaterial der Gelatine

Etwa 65% der weltweit produzierten Gelatine stammen aus den Unterhäuten, dem Bindegewebe und den Knochen von Rindern [6]. Ansonsten dienen Schweine als Ausgangsmaterial [6]. Nur in Australien, Südafrika und Neuseeland werden auch Schafe verwendet [6]. Die Rohstoffquelle beeinflußt die Eigenschaften der Gelatine, aber in Europa wird traditionell überwiegend Schweinegelatine für die Produktion von Nahrungs- und Arzneimitteln verwendet [6].

Der Bedarf an Rohmaterial ist so groß, daß eine Beschränkung auf sehr junge oder besonders natürlich gehaltene Tiere nicht möglich ist [6]. Es werden aber zumindest in Deutschland für die Produktion von Speise- und Arzneimittelgelatine nur die Schlachtabfälle für den menschlichen Verzehr freigegebener Tiere verwendet [6]. Da BSE jedoch bis heute erst sehr spät diagnostiziert werden kann, werden die meisten infizierten Tiere nicht als solche erkannt. Die tierärztliche Prüfung vor der Schlachtung stellt daher keinen bedeutenden Schutz vor BSE und Scrapie dar.

Selbstverständlich sind Unterhäute, Bindegewebe und Knochen mit BSE oder Scrapie infizierter Tiere weit weniger infektiös als das zentrale Nervensystem. Solange die Erreger nicht eindeutig identifiziert sind und sich durch keinen empfindlichen Test nachweisen lassen, solange kann kein Gewebe und keine Körperflüssigkeit wissenschaftlich seriös für erregerfrei erklärt werden. Da Haut und Knochen gut durchblutet und mit Nerven versorgt sind, dürften sie bei infizierten Tieren auch infektiös sein. Die Infektiosität von Blut wurde bereits 1962 bei einer Ziege [5] und unter anderem 1992 beim Menschen [7] nachgewiesen. Das dies bei Rindern bisher nicht gelang, liegt an der sehr geringen Empfindlichkeit des bisher üblichen Nachweisverfahrens und den absolut unzureichenden Bemühungen in dieser Richtung.

Die aus einem Rind gewonnenen 10-15 kg Rohmaterial verschwinden in Produktionseinheiten von 20.000 bis 100.000 kg, die ihrerseits bei der Herstellung der Endprodukte um den Faktor 10-100 mit anderer Gelatine verdünnt werden [6]. So wird der Erreger zwar stark verdünnt, gleichzeitig aber auch gleichmäßig auf eine sehr große Anzahl von Endprodukten verteilt.

Erreger überstehen Säuren und Laugen

Knochen werden zu Stücken von weniger als 12 mm Durchmesser zersplittert, mit heißem Wasser bis auf einen Rest von unter 2% entfettet und mindestens 30 Minuten bei über 100°C getrocknet [6]. Diese Prozedur ist geeignet, die Infektiosität des Rohmaterials zu einem großen Teil, jedoch sicher nicht vollständig zu entfernen.

Die gereinigten Knochenstücke werden mit etwa 4%iger Salzsäure, bei einem pH-Wert unter 1,5 demineralisiert, damit nur noch die Kollagenstruktur übrig bleibt [6]. Diese Prozedur dauert 5 Tage, beginnt aber mit schon gebrauchter, noch stärker verdünnter Salzsäure, die erst am Ende gegen frische ausgetauscht wird [6]. Der schließlich erreichte pH-Wert von 1,5 entspricht einer Salzsäurekonzentration von weniger als 0,1 M. Die Wirkung dieser langandauernden Behandlung mit einer schwachen Säure auf den BSE-Erreger wurde leider noch nie veröffentlicht.

Nach einer Publikation scheint aber die Wirkung von Säuren im Gegensatz zu starken Laugen nur vorübergehend zu sein [3]. Experimentell erwies sich eine einstündige Behandlung mit 1 M Salzsäure trotz der zehnfachen Säurekonzentration als unzureichend [2]. Dies zeigt, daß sich die bei der Gelatineherstellung verwendete Säurebehandlung sehr wahrscheinlich nicht für eine Inaktivierung des Erregers eignet.

Bei mehr als 90% der aus Rindern gewonnenen Gelatine kommt zusätzlich eine normalerweise rund 50tägige Laugenbehandlung mit pH-Werten über 12,5 zur Lösung von Quervernetzungen zwischen den einzelnen Kollagenmolekülen hinzu [6]. Selbst ein pH-Wert von 13 entspricht einer Natronlaugenkonzentration von nur 0,1 M. Manchmal wird die Einwirkzeit auch durch eine Erhöhung der Konzentration auf 0,3 M, von 50 auf 14 Tage verkürzt [6]. Da die Infektiosität selbst durch 2 M Natronlauge nicht vollständig inaktiviert wird [8], kann diese Laugenbehandlung keinesfalls als sicher angesehen werden. Auch eine nicht publizierte schottische Studie im Auftrag der europäischen Gelatineindustrie fand nach tagelanger Säure- bzw. Laugenbehandlung keine meßbare Inaktivierung von Scrapieerregern [persönliche Kommunikation]. Außerdem wird sie nur bei Rohmaterial aus Rindern angewandt [6]. Die zarte Haut junger Schweine wird nicht der alkalischen Behandlung unterzogen. Hier genügt eine eintägige Säurebehandlung, die aber in ihrer Wirkung auf BSE-Erreger mit der Demineralisierung von Knochen zu vergleichen ist.

Hitzeresistente Erreger

Nach der schrittweisen Extraktion der Gelatine mit immer wärmerem Wasser wird diese 4 Sekunden lang bei 140°C sterilisiert. Auch diese Behandlung ist natürlich nicht geeignet, BSE-Erreger vollständig zu inaktivieren. Dies beweist z.B. ein Experiment, bei dem das Autoklavieren durchschnittlich 340 g schwerer Gehirnproben bei 134°C für 1 Stunde oder bei 135°C bzw. 134-138°C für mindestens 18 Min. zur Inaktivierung von Scrapie- und BSE-Erregern nicht ausreichte. So erkrankten 14 von 22 Mäusen nach Injektionen von autoklaviertem (134°C, 1 Stunde) infektiösem Hamstergehirn. 18 Min. bei 134-138°C autoklaviertes infektiöses Hamstergehirn tötete alle 19 Testmäuse. Interessanterweise wurde die Inaktivierung durch Vervielfachung der Autoklavierdauer nicht effizienter. Beim Autoklavieren ging die Infektiosität um bis zu 7 Größenordnungen zurück und reichte dennoch für tödliche Infektionen aus [9]. Angetrocknetes Material läßt sich noch wesentlich schlechter sterilisieren. Aus mit Scrapie infizierten Hamsterhirnen gewonnene Amyloidfibrillen blieben nach dem Autoklavieren und zum Teil sogar nach einstündigem Einäschern bei 360°C infektiös [1].

Total ist Inaktivierung nicht möglich

Insgesamt sind die bei der Gelatineproduktion verwendeten Prozeduren sicher geeignet, die Infektiosität BSE-verseuchten Rohmaterials zu vermindern. Eine totale Inaktivierung ist dadurch aber ebenso sicher nicht möglich. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß eine Mindestdosis für die Übertragung von BSE auf andere Spezies erforderlich sein könnte.

Im Gegenteil sprechen die charakteristische Stabilität des Erregers sowie die Wehrlosigkeit des Immunsystems dafür, daß extrem geringe Dosen bis hin zu einem einzigen Molekül für eine Infektion ausreichen könnten. Andererseits erkrankten von den vielen durch Futter infizierten Kühen sowie von tausenden durch Wachstumshormone infizierten Kleinwüchsigen jeweils nur relativ wenige. Es muß also eine individuell sehr unterschiedliche tödliche Dosis geben, deren Größe aber unbekannt ist.

Da auch nicht tödlich infizierte Menschen und Tiere Infektionsquellen darstellen, ist bei BSE, Scrapie und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit die Unterscheidung zwischen tödlichen und nicht tödlichen Infektionen wichtig. Gleichzeitig müssen die nicht tödlichen Infektionen wesentlich stärker als Problem erkannt werden.

Offene Fragen

Rein wissenschaftlich betrachtet ist erstaunlich, daß noch keine Simulation der verschiedenen Prozesse und Prozeßkombinationen der Gelatineproduktion aus Knochen oder Bindegewebe mit hochinfektiösem Hirnmaterial publiziert wurde.

So ließe sich das Ausmaß der Abreicherung abschätzen. Um auch kleine Erregermengen entdecken zu können, wird anstatt des Funktionstests mit der Injektion von Testmaterial in Mausgehirne, ein direkter Nachweis des Erregers beispielsweise mit Antikörpern benötigt. Dazu müßte der Erreger aber zunächst einmal identifiziert sein. Deshalb wird seit Jahrzehnten nach Scrapieviren gesucht. Diese Suche verlief jedoch erfolglos und durch eine Kombination der vorhandenen Fakten ließ sich die Virustheorie sicher ausschließen [4].

Entscheidung über Prion-Theorie

Träfe die Prion-Theorie zu, dann wüßten wir bereits sehr viel über die Erreger und könnten sie sofort mit vorhandenen Antikörpertests nachweisen. Leider gelang es bisher trotz zahlreicher Versuche nicht, diese inzwischen auch schon recht alte Theorie zu beweisen oder zu widerlegen. Dies wäre jedoch binnen weniger Tage möglich, wenn ein bereits mehrfach publiziertes Experiment etwas raffinierter durchgeführt und ausgewertet würde.

Dazu müßte man lediglich im Reagenzglas radioaktiv markierte normale Prionproteine mit infektiösem Material mischen und den zeitlichen Verlauf der Neubildung radioaktiven, superstabilen Prionproteins beobachten.

Wenn dieses gemäß der Virus-Hypothese nur durch das zugegebene, im Reagenzglas aber nicht vermehrungsfähige infektiöse Material erfolgt, dann wird man eine höchstens lineare Zunahme beobachten. Kann jedoch gemäß der Prion-Theorie auch das neu umgeformte Prionprotein seinerseits normale Prionproteine umwandeln, dann wird man eine sich beschleunigende Zunahme der superstabilen radioaktiven Prionproteine beobachten, bis der Vorrat normaler Prionproteine knapp wird.

Literaturliste:

1) Brown,P.; Liberski,P.P.; Wolff,A.; Gajdusek,D.C. - Resistance of scrapie infectivity to steam autoclaving after formaldehyde fixation and limited survival after ashing at 360 degrees C: practical and theoretical implications. - Journal of Infectious Diseases 1990 Mar; 161(3): 467-72
2) Brown,P.; Rohwer,R.G.; Gajdusek,D.C. - Newer data on the inactivation of scrapie virus or Creutzfeldt-Jakob disease virus in brain tissue - Journal of Infectious Diseases 1986 Jun; 153(6): 1145-8
3) Gasset,M.; Baldwin,M.A.; Fletterick,R.J.; Prusiner,S.B. - Perturbation of the secondary structure of the scrapie prion protein under conditions that alter infectivity - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 1993 Jan 1; 90(1): 1-5
4) Heynkes,R. - Rinderwahnsinn - Durch die moderne Medizin erst gefährlich - Therapiewoche 1995; 15: 886-92
5) Pattison,I.H.; Millson,G.C. - Distribution of the scrapie agent in the Tissues of experimentally inoculated goats - Journal of Comparative Pathology and Therpeutics 1962; 72: 233-44
6) Schrieber,R.; Seybold,U. - Gelatine production, the six steps to maximum safety - Developments in Biological Standardization 1993; 80: 195-8
7) Tamai,Y.; Kojima,H.; Kitajima,R.; Taguchi,F.; Ohtani,Y.; Kawaguchi,T.; Miura,S.; Sato,M.; Ishihara,Y. - Demonstration of the transmissible agent in tissue from a pregnant woman with Creutzfeldt-Jakob disease [letter] - New England Journal of Medicine 1992 Aug 27; 327(9): 649
8) Taylor,D.M.; Fernie,K. - Exposure to autoclaving or sodium-hydroxide extends the dose- response curve of the 263k strain of scrapie agent in hamsters - Journal of General Virology 1996; 77(APR): 811-3
9) Taylor,D.M.; Fraser,H.; McConnell,I.; Brown,D.A.; Brown,K.L.; Lamza,K.A.; Smith,G.R.A. - Decontamination studies with the agents of bovine spongiform encephalopathy and scrapie - Archives of Virology 1994; 139(N3-4): 313-26

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Copyright Roland Heynkes und Therapiewoche, 13. Oktober 1996