New Haven, CT: Yale University Press; 10.06.1999 - 248 Seiten
Roland Heynkes 7.10.2025, CC BY-SA-4.0 DE
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William C. Summers
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Félix d'Herelle and the Origins of Molecular Biology
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New Haven, CT: Yale University Press; 10.06.1999 - 248 Seiten
AB
kein Abstract
SP
englisch
ZF
Laut Prof.em. William C. Summers schloss d'Herelle die Schule mit dem französischen Baccalaureate ab, welches dem deutschen Abitur entsprach. Er soll im Umgang mit anderen Wissenschaftlern wenig diplomatisch gewesen und erwartet haben, dass sich Wissenschaftler allein von Vernunft und Logik leiten lassen. Summers meint bei d'Herelles Forschung eine Spannung zwischen Holismus und Reduktionismus zu erkennen, dabei gehören beide bei großen Wissenschaftlern zusammen. Laut Summers war d'Herelle bekennender Lamarkist, was aus Sicht der Epigenetik gar nicht so falsch war. Und d'Herelle soll seine eher ökologische Erklärung der Erholung von bakteriellen Infektionen durch Bakteriophagen der chemischen Erklärung von Immunität von Paul Ehrlich, Richard Pfeifer und Jules Bordet vorgezogen haben. Aber kann man wissenschaftliches Neuland erobern, wenn man nicht hartnäckig seinen eignen unkonventionellen Ideen folgt? Mir ist egal, wie oft sich ein Wissenschaftler irrte, wenn auch nur eine seiner richtig interpretierten Entdeckungen die Menschheit oder wenigstens die Wissenschaft weiterbringt. D'Herelles großes Vorbild war Louis Pasteur und tatsächlich ähnelte er ihm hinsichtlich seiner auf praktische Anwendung zum Nutzen der Menschheit ausgerichtete Forschung sowie der Rivalität mit anderen Forschern.
D'Herelle sei politisch links gewesen, habe auf während seiner vielen Auslandaufenthalten mit den unterdrückten Eingeborenen sympathisiert und sei wie viele Intellektuelle von der wissenschaftlichen Gesellschaft in der Sovietunion fasziniert gewesen, bis er durch den stalinistischen Terror desillusioniert wurde.
Während andere Quellen über einen vermeintlich unbekannten Vater berichten, behauptet Summers aus verschiedenen Quellen zu wissen, dass d'Herelles aus kleinem Adel stammender Vater ebenfalls Félix Haerens d'Herelle hieß und 1811 als Sohn eines nach Kanada ausgewanderten Franzosen geboren wurde. Summers schreibt, d'Herelles Vater sei ein Freidenker im Freundeskreis von Sir Henri Gustave Joly de Lotbinière und ein Witwer mit mehreren Kindern gewesen, bevor er die dreißig Jahre jüngere Katholikin Augustine Worms-Mect aus der Nähe von Mastricht geheiratet habe. Aber Summers behauptet auch, Hubert Augustin Haerens d'Herelle sei in Montreal geboren worden. Andere fanden Belege dafür, dass er in Paris geboren wurde. Laut Summers soll sein Bruder Daniel ebenfalls in Montreal geboren worden sein, als Félix 5 Jahre alt war. Ein Jahr danach sei sein Vater im Alter von 68 Jahren gestorben. Seine Mutter sei dann mit beiden Söhnen nach Europa zurück gekommen. Einig sind sich die Quellen, dass der junge Félix in Paris zur Schule ging. Seine Mutter konnte offenbar so gut von ihrer Rente leben, dass sie Félix finanziell großzügig bei seinen Reisen nach Deutschland vor und nach Südamerika nach seinem Schulabschluss unterstützen konnte. Unterwegs lernte er dabei Spanisch, sodass er sich wenigstens in den Städten verständigen konnte. Auf der Rückreise brach auf seinem Schiff Gelbfieber aus und tötete binnen 8 Tagen etwa 20 Menschen, weil man noch nicht genug über diese tropische Krankheit wusste. Aber er soll berichtet haben, dass er nie Angst empfunden habe, weil er sich quasi für unverwundbar hielt.
D'Herelle soll sein Interesse an Bakteriologie und Medizin damit begründet haben, dass er als sechzehnjähriger Radreisender zufällig in einem Gasthaus ein Gespräch verzweifelter Eltern mithörte, deren Sohn von einem mutmaßlich tollwütigen Hund gebissen wurde. Er wunderte sich darüber, dass die Eltern ihr Kind nicht zu Louis Pasteur nach Paris , sondern in ein nahegelegenes Kloster bringen wollten, wo Mönche angeblich seit Menschen Gedenken erfolgreich die Tollwut heilen konnten. Er besuchte das Kloster, um mehr über die Heilmethode der Mönche zu erfahren. Im Kloster erzählte man ihm, dass man den Patienten unter die Haut der Stirn einen Faden einer alten Stola schob, die der "heilige" Sankt Hubert im siebten Jahrhundert selbst getragen habe. Nach der Operation sollten die Patienten 9 Tage lang bestimmte Gesänge wiederholen und ruhen. Dadurch würden sie geheilt, sofern sie 40 Tage lang in keinen Spiegel oder Bach sahen. Notfalls sollte aber auch ohne den "heiligen Faden" allein der Glaube an ein Ritual zumindest vorübergehend helfen. Den jungen d'Herelle hat das nicht überzeugt, aber die Mönche waren über Jahrhunderte weithin dafür berühmt und behaupteten, ihre "Therapie" versage genau wie die Aktive Impfung von Louis Pasteur nur in einem von Zweihundert Fällen. Im frühen 19. Jahrhundert wurde von mehreren Medizinbücher in Paris kritisch über diese Wunderheinlung berichtet. Eine Heilung von der für Menschen tödlichen Tollwut durch den Placebo-Effekt ist ja auch extrem unwahrscheinlich.
Während eine andere Quelle über ein angeblich angefangenes Medizin-Studium berichtet, meint Summers, d'Herelle habe nach der Schule jahrelang die Welt bereist und ein Selbststudium ohne Lehrer oder eine Universität betrieben. Und eine Art Vagabund blieb er und trotz seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Errungenschaften ein Außenseiter in der Wissenschaft. Mit seiner Biografie versuchte Summers zu verstehen, wie es d'Herelle trotzdem wiederholt schaffte, Unterstützung für seine Arbeit zu erhalten und seine Erkenntnisse in der Wissenschaft zu etablieren.
Nachdem d'Herelle im Sommer 1890 aus Südamerika zurück kam, reist er noch im selben Jahr für 8 Monate nach England und lernte dort Englisch, sodass er sich mit Französisch, Englisch und Spanisch fast überall auf der Erde verständigen konnte. Wahrscheinlich 1981 studierte er einige Monate an der Bonner Universität, wobei er vermtlich auch etwas Deutsch lernte. 1891 unternahm er eine Abenteuerreise in die Türkei. Unterwegs lernte er die Tochter des französischen Konsuls in Istanbul Marie Adèle Caire kennen und die beiden verliebten sich ud heirateten bereits am 11.7.1893, obwohl er 20 und sie erst 15 Jahre alt war. Im Winter 1893/94 verbrachte das junge Paar 4 Monate als Touristen in Athen. Anscheinend mitten im Winter "kehrten sie zurück" nach Montreal, wo ihre Tochter Louise Marcelle am 19.3.1894 geboren wurde. Den Winter 1896/97 verbrachten sie wieder in Athen. Aber im Frühjahr 1897 reisten sie zurück nach Montreal. Später soll er gesagt oder geschrieben haben: "I was 24 Years old, it was time for me to make some choices: the conclusion was that it was wiser to return to the country where I was born, and then I would see what happend. I was, moreover, always thinking about bacteriology, so on my arrival T set up a laboratory and began to experiment, all alone because at this time there were only two French Canadians who were interested in microbes, Dr. arnier, who was later the first professor in this subject at the University of Montreal, and myself". Die bakteriologischen Techniken soll er sich in seinem Privatlabor selbst beigebracht haben. Dazu las er mehrere Fachzeitschriften und besuchte einige Sommerkurse in Europa. Während seines praktischen Selbststudiums beauftragte ihn der als Minister wegen fallender Ahornsirup-Preise besorgte der alte Freund seines Vaters Sir Henri Gustave Joly de Lotbinière, eine Methode für die Herstellung von Whisky aus Ahornsirup zu entwickeln. Typisch für d'Herelle nahm er nicht einfach einen schon erhältlichen Hefe-Stamm, sondern besorgte sich viele verschiedene fermentierbare Früchte und Zucker und züchtete damit seinen eigenen Hefe-Stamm, mit dem er den Ahornsirup zu einem destillierbaren alkoholischen Produkt fermentieren konnte. Während dessen lebte er mit seiner Familie in der Kleinstadt Beauceville etwa 50 Milen südöstlich von Québec City, wo hochwertiger Ahornsirup produziert wird. Seine Forschung und Entwicklung scheint innerhalb weniger Monate erfolgreich gewesen zu sein. Er brach sie aber abrupt ab, als sich der Ahornsiruppreis in den USA erholte und die Herstellung von Whisky aus Ahornsirup überflüssig wurde.
Am 19.10.1898 wurde die zweite Tochter Huberte geboren und d'Herelle begann mit seinem Bruder mit der Produktion von Schokolade. Allerdings war er wohl nicht ganz bei der Sache, denn er veröffentlichte seinen ersten philosophischen Artikel und schloss sich einer Goldsuche-Expedition an, bei welcher er für die medizinische Versorgung zuständig sein sollte und glücklicherweise nicht gebraucht wurde. Während dessen lief das Schokoladegeschäft nicht gut und im Frühjahr 1901 mussten sein Bruder und seine Mutter die Fabrik und das Grundstück verkaufen. Félix blieben nach dem Bankrott nur noch 2000 kanadische Dollar, aber er hatte bereits 1889 Bewerbungen an 15 südamerikanische Städte geschickt und 3 Antworten erhalten. Schon im Frühjahr 1900 begannen Félix und Marie ihre Tagebucheinträge auf spanisch zu schreiben. Später erinnerte sich Félix d'Herelle, sich auf eine Stelle als Mikrobiologe in Guatemala beworben und überraschend im Frühjahr 1901 eine Zusage bekommen zu haben.
In dieser stressigen Zeit schaffte es Félix d'Herelle ganz alleine, noch in Quebec seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung mit dem Titel: "De la formation du Carbone par les végétaux" zu verfassen. Sie wurde im Mai 1901 im frankokanadischen Journal: "Le Naturaliste Canadien" veröffentlicht. Interessant findet Summers daran die für die gesamte wissenschafliche Karriere d'Herelles typische technische und wissenschaftliche Meisterschaft, Stil und Fantasie sowie sein Selbstbewußtsein, dass für einen 27jährigen Autodidakten ja nicht selbstverständlich ist. Zwar irrte er sich mit der Annahme, der in Pflanzen steckende Kohlenstoff könne nicht allein aus der Atmosphäre stammen. Aber es ist doch bezeichnend, dass er sich zutraute, eine Abhandlung über das globale Kohlenstoff-Gleichgewicht zu publizieren. Er glaubte experimentell nachgewiesen zu haben, dass Kohlenstoff kein Element sei. Das ist zwar falsch, aber sein Irrtum ist verständlich, denn er ließ Rettichsamen in CO2-freier Atmosphäre keimen und konnte nachweisen, dass dabei CO2 freigesetzt wurde. Darum glaubte er, die Pflanzen müssten den Kohlenstoff produziert haben. Woher sollte er auch wissen, dass der Kohlenstoff von der Mutterpflanze in den Samen gespeichert wurde und dass pflanzliche Zellen beim Keimen ohne Fotosynthese genau wie Tiere Sauerstoff verbrauchen und Kohlenstoffdioxid abgeben. Er war schließlich kein Biologe. Aber ein anderer, anonymer Chemiker wusste es und zerriss d'Herelles Artikel in der selben Ausgabe mit ironischem Unterton in der Luft. D'Herelle erwähnte seine wissenschaftliche Jugendsünde später nie wieder.
In Guatemala gab es unter der wissenschaftsfreundlichen Regierung außer d'Herelle nur noch einen Chemiker mit einem allerdings gut ausgestatteten Labor. Zwar hatte d'Herelle eigentlich keine Ahnung von seiner Aufgabe der bakteriologischen Untersuchung von Proben aus dem Krankenhaus, aber anscheinend gelang ihm eine zufriedensellende Leistung. Nebenbei unterrichtete er an verschiedenen Bildungseinrichtungen und nahm Prüfungen ab. Zusätzlich wurde er von der Regierung mit Spezialaufgaben betraut. Privat fermentierte er in einem kleinen Labor Bananen und destillierte Bananenschnaps. Da es in der Gegend keinen Arzt gab, wurde er öfter wegen seiner medizinischen Kenntnisse konsultiert. Dabei ging es häufig um Malaria und Darmerkrankungen. Anfang 1905 wurde d'Herelle in die Hauptstadt gerufen, weil es im benachbarten British Honduras einen Fall von Gelbfieber gab und eine Ausbreitung nach Guatemala befürchtet wurde. Seine Aufgabe war es, die Verhinderung einer pidemie in Guatemala zu organisieren. Auf seinem beschwerlichen Weg durch das Land wurden er von einem Gefängnisausbrecher angegriffen und später erkrankte er an Malaria. Als das Gelbfieber nach Guatemala kam, starben viele Menschen und Summer keine Erfolge von d'Herelle im Kampf gegen die sehr oft tödliche Krankheit. Auch sonst scheint über seine Arbei in Guatemala 1903-1905 nicht viel bekannt zu sein.
1906 wurde d'Herelle mit der Bekämpfung einer Krankheit beauftragt, die sich schon seit Jahren langsam ausbreitete und die wirtschaftlich wichtigen Kaffee-Pflanzen tötete. Er untersuchte befallene Pflanzen vermutete daraufhin, dass ein aus dem Erdreich eindringender Pilz das Problem sei. Er fragte weltweit um Rat, aber niemand kannte den Pilz oder konnte helfen. Also begann d'Herelle eine systematische Erforschung der Krankheit und überprüfte im Labor denkbare Übertragungswege. Dabei bestätigte sich seine Vermutung, dass ein Pilz durch die Wurzeln eindringt. Dann verglich er Gegenden mit und ohne Befall mit dem Pilz. Dabei stellte er fest, dass eine Region vom Pilz verschont blieb, in der die Asche eines Vulkanausbruchs den Boden bedeckte. Die Asche erwies sich als alkalisch und viele Pilze bevorzugen ein saures Millieu. D'Herelle kombinierte auch in anderen Fällen Beobachtungen in der Natur mit Experimenten im Labor und fand so auch Problemlösungen in der Natur. In diesem Fall musste man nur den Boden kalken, um den Pilz zu vertreiben. Leider konnte in den Buchauszügen nicht finden, ob diese Lösungsmöglichkeit umgesetzt wurde.
D'Herelle stellte außerdem fest, dass die am schlimmsten vom Pilz befallenen Plantagen auch den höchsten Anteil schwarzer Kaffeebohnen produzierten, über die sich schon die europäischen Kunden beschwerten. An den schwarzen Kaffeebohnen fand er ein Bakterium, des dem Erreger einer Trauben-Krankheit (Gummose der Weinrebe) ähnelte. Da er aber keinen Pilz an den Kaffee-Trauben fand, gab es anscheinend keine direkte Verbindung zwischen dem Pilz und dem Bakterium. Er vermutete allerdings eine indirekte Verbindung wie später die Verbindung zwischen dem Auftreten bakterieller Krankheitserreger und deren Phagen. Aber wurde er fündig?
D'Herelle versuchte aus überschüssigem Ahornsirup in Kanada, aus unverkauften Bananen in Guatemala und Sisal-Abfall Alkohol zu machen. Anscheinend ging es ihm um Abfall-Vermeidung durch Nutzung. Seine ganze Forschung war nie Selbstzweck, sondern sollte Probleme lösen. Dabei stieß er zufällig auf das Problem der Ernten vernichtenden Heuschreckenschwärme. Und er erfand die biologische Schädlingsbekämpfung, mit der er in Südamerika, Nordafrika und Zypern erfolgreich war und die ihn berühmt machte. Er entdeckte außerdem, dass die Heuschrecken tötenden Bakterien einen noch unbekannten tödlichen "Feind" hatten, den er später Bakteriophage nannte. Das etwas die Bakterien tötete, hatten zwar vor ihm auch schon Ernest Hanbury Hankin und Frederick William Twort erkannt, aber erst d'Herelle gab ihnen einen passenden Namen Bakteiophagen, erkannte ihr Potential für die Medizin und entwickelte geeignete Methoden für ihre Isolierung, Vermehrung, Untersuchung und medizinische Anwendung. Dadurch wurde d'Herelle auch zum Pionier der molekularbiologischen Genetik und seine Phagentherapie zur wichtigsten Waffe gegen pathogene Bakterien vor und nach der großen Zeit der Antibiotika.