Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 2002; 115: 118-122

Ingrid Schütt-Abraham, 04.08.2002

Gliederung


Bibliographische Angaben

Lücker, E., Schlottermüller, B. und Martin, A. - Studies on contamination of beef with tissues of the central nervous system (CNS) as pertaining to slaughtering technology and human BSE-exposure risk - Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift 2002; 115: 118-122

Meine Zusammenfassung des Artikels

Material und Methoden
In experimentellen Vorversuchen wurden Rinder- und Schweinelungen unmittelbar nach der Schlachtung entnommen und mit Citratblut perfundiert, in dem mit Brillantblau eingefärbtes Gehirnhomogenat oder Gehirnstücke von rund 10 mm Durchmesser aufgeschwemmt waren. Nach der Perfusion wurden die Pulmonalarterien bis hinunter zu einem Durchmesser von 1 mm aufgeschnitten und alle dabei gefundenen Embolus-ähnlichen Partikel, aber auch Proben des Lungengewebes mittels Western Blot auf neuronenspezifische Enolase (NSE) untersucht.

Im Feldversuch wurden die Lungen von 314 Rindern nach Bolzenschussbetäubung und Verwendung des Rückenmarkszerstörers sowie von 412 Rindern nach alleiniger Bolzenschussbetäubung auf das Vorhandensein von ZNS-haltigen Emboli untersucht. Hierzu wurden die Pulmonalarterien bis hinunter zu einem Durchmesser von 2-3 mm aufgeschnitten. Vorhandene Emboli wurden entnommen und bei -21 Grad C bis zur immunologischen Untersuchung gelagert. Die meisten Emboli wurden individuell untersucht, weniger als 100 mg große Emboli aus derselben Lunge aber gepoolt

Des weiteren wurden insgesamt 65 mit einer automatischen selbstreinigenden Bandsäge der Fa. Riniker gespaltene Rinderschlachtkörper auf das Vorhandensein von ZNS-Gewebe im Sediment und im Zentrifugat des Sägenabwassers sowie in Sägenrückständen an definierten wirbelsäulennahen Stellen des Schlachtkörpers untersucht. Bei 15 dieser Rinder war vor der Spaltung des Tierkörpers das Rückenmark mit einem Vakuumsauger der Fa. BVS entfernt worden.

Die Proben wurden mittels Western Blot auf neuronenspezifische Enolase (NSE) untersucht. Als Testkontrolle und Referenzmaterial dienten 20 min bei 80 Grad C erhitzte Würste mit Zusatz von 0%, 0.1%, 0.5% oder 2.0% Rinderhirn sowie unbehandeltes Rückenmark. Zusätzlich wurden formalinfixierte Paraffinschnitte von Embolus-ähnlichen Partikeln nach HE-Färbung histologisch untersucht.

Ergebnisse
Das gefärbte Hirnhomogenat wurde in allen untersuchten Lungenbereichen wiedergefunden. Dennoch war die NSE-Immunreaktion der Lungengewebsproben inkonstant und entsprach vorwiegend dem Vergleichsstandard ohne oder mit lediglich 0.1 % Hirnzusatz.
Die größeren Gehirnfragmente ließen sich in Abschnitten der Pulmonalarterien mit einem Gefäßdurchmesser von 5-10 mm wiederfinden. Die Immunreaktion des anti-NSE-Western Blot war bei diesen Fragmenten um 2-3 Größenordnungen stärker als bei der ein%igen Verdünnung des unbehandelten Rückenmarks.

Im Feldversuch wurden Emboli bei rund 5% der innerhalb 20 Minuten nach dem Ausweiden untersuchten Tiere in den Pulmonalarterien oder im Herzen in Nähe der Warzenmuskeln der Tricuspidalklappe gefunden. Demgegenüber war die Fundrate bei verspäteter Untersuchung (60 Minuten nach dem Ausweiden) mit rund 21% deutlich erhöht. Ein Zusammenhang der Embolifundrate mit dem Einsatz des Rückenmarkzerstörers war nicht erkennbar. Nur in 2 Emboli, die von rückenmarkzerstörten Tieren stammten, fiel der NSE-Test schwach positiv aus. Die Reaktion entsprach 0,1 - 0,5 % ZNS. histologisch wurde kein Zentralnervengewebe gefunden.

Ergebnisse der Lungenuntersuchungen


Zeit nach
dem Ausweiden
alle unter 20 min über 20 min über 20 min über 60 min
Rückenmark-
zerstörer
alle mit/ohne mit ohne ohne
Tierzahl 726 654 314 340 72
Tiere ohne Emboli 678 621 301 320 57
Tiere mit Emboli 48 33 13 20 15
Tiere mit 1 Embolus 37 31 13 18 6
Tiere mit 2 Emboli 11 2 0 2 9
Summe Emboli 59 35 13 22 24
Emboli je Tier 1,2 1,1 1,0 1,1 1,6
NSE-positive Emboli 2 2 2 0 0

Ergebnisse der Schlachtkörperuntersuchungen (Spaltung ohne vorhergehende Rückenmarkabsaugung, n = 300)

NSE-Immun-
reaktion (%)
Alle Proben
n (%)
P 1 P 2 P 3 P 4 P 5 P 6
Negativ 133 (44.3%) 9 (18%) 10 (20%) 33 (66%) 28 (56%) 20 (40%) 33 (66%)
0.01 - 0.1 117 (39.9%) 27 (54%) 25 (50%) 14 (28%) 18 (36%) 19 (38%) 14 (28%)
0.1 - 0.5 47 (15.7%) 14 (28%) 14 (28%) 3 (6%) 3 (6%) 10 (20%) 3 (6%)
0.5 - 1.0 1 (0.3%) 0 0 0 0 1 (2%) 0
 >1.0  2 (0.7%) 0 1 (2%) 0 1 (2%) 0 0
Summe 300 (100%) 50 (100%) 50 (100%) 50 (100%) 50 (100%) 50 (100%) 50 (100%)

Ergebnisse der Schlachtkörperuntersuchungen (Spaltung nach vorhergehender Rückenmarkabsaugung, n=90)

NSE-Immun-
reaktion (%)
Alle
Proben
P 1 P 2 P 3 P 4 P 5 P 6
Negativ 30 (33.3%) 6 (40.0%) 6 (40.0%) 2 (13.3%) 6 (40.0%) 1 (6.7%) 9 (60.0%)
0.01-0.1 31 (34.4%) 7 (46.7%) 6 (40.0%) 7 (46.7%) 3 (20.0%) 5 (33.3%) 3 (20.0%)
0.1-0.5 22 (24.4%) 1 (6.7%) 1 (6.7%) 5 (33.3%) 4 (26.7%) 8 (53.3%) 3 (20.0%)
0.5-1 5 (5.6%) 1 (6.7%) 1 (6.7%) 1 (6.7%) 1 (6.7%) 1 (6.7%) 0 (6.7%)
>1.0 2 (2.2%) 0 1 (6.7%) 0 1 (6.7%) 0 0
Summe 90 (100%) 15 (100%) 15 (100%) 15 (100%) 15 (100%) 15 (100%) 15 (100%)

P1 = Sägenabwasser (Zentrifugat)
P2 = Sägenabwasser (Sediment)
P3 = Rücken aussen
P4 = Nacken innen
P5 = Nacken aussen
P6 = Hals innen

Die automatische Spaltsäge eröffnete nur bei 70% der untersuchten Schlachtkörper den Wirbelkanal durchgehend auf ganzer Länge, bei den restlichen jedoch mindestens 50%. Von den 300 Proben, die von konventionell gespaltenen Schlachtkörpern stammten, waren 17% NSE-positiv, von den 90 Proben nach Absaugen des Rückenmarks gespaltener Tierkörper sogar 32%. Eine geringere Kontamination mit ZNS-Gewebe infolge Absaugen des Rückenmarks lässt sich lediglich im Sägenabwasser erkennen.

Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Verschleppung von ZNS-Fragmenten durch die Bolzenschussbetäubung

für den Verbraucher kein nennenswertes Infektionsrisiko bedeutet.

Anmerkungen der Rezensentin

Der NSE-Test im Lungengewebe experimentell mit Gehirnbrei durchspülter Lungen war negativ oder zeigte höchstens 0,1 % Hirngehalt an, obwohl ZNS-Gewebe histologisch in allen Bereichen der Lunge nachgewiesen werden konnte. Der Test würde somit erst dann eindeutig positive Ergebnisse bei Lungengewebsproben liefern, wenn das Gehirnmaterial in entsprechender Konzentration von mindestens 0,1 g je 100 g Lungengewebe gleichmäß in der Lunge verteilt wäre. Damit ist aber nicht zu rechnen.
Da das in den experimentellen Untersuchungen perfundierte Blut mit einem Gerinnungshemmer versetzt worden war, dürfte es sich bei den Emboli, die in den 5-10 mm im Durchmesser betragenden Gefäßabschnitten gefunden wurden, in der Regel um das Wiederfinden der größeren ZNS-Fragmente mit einem ursprünglichen Durchmesser von 1 cm (10 mm) gehandelt haben, was die hohe NSE-Nachweissicherheit bei diesen Teilchen erklärt.

Im Praxistest konnten Gerinnungshemmer schon aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht eingesetzt werden, somit war mit dem Auftreten von Blutkoagula in den Gefäßen zu rechnen. Die Ergebnisse lassen keinen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Emboli und dem Nachweis von ZNS-Gewebe erkennen. Bei den meisten gefundenen Emboli dürfte es sich nicht zuletzt im Hinblick auf die höhere Emboli-Fundrate bei den erst eine Stunde nach dem Ausweiden untersuchten Lungen um Thromben gehandelt haben. Zudem wurden Emboli nur in Gefäßabschnitten bis hinunter zu einem Durchmesser von 2-3 mm gesucht. Nach den Ergebnissen der experimentellen Untersuchungen scheinen die dehnbaren Gefäße jedoch nur Fragmente mit doppeltem Gefäßdurchmesser sicher auszufiltern. Der von Anil et al. (1999) sowie Anil und Harbour (2001) beschriebene Schauer kleiner und kleinster ZNS-Fragmente konnte mit den hier verwendeten Methoden daher kaum entdeckt werden.

Der Tabelle kann entnommen werden, dass auf Schlachtkörpern, die nach Absaugung des Rückenmarks gespalten wurden, ein deutlich höherer Anteil NSE-positiver Proben gefunden wurde als bei solchen, bei denen der Wirbelkanal zum Zeitpunkt der Spaltung noch das Rückenmark enthielt. Leider werden von den Autoren keine Angaben zur Effektivität des Absaugens und zur Durchführung der Probennahme am gespaltenen Schlachtkörper gemacht. Dass der am stärksten belastete Probenahmepunkt an der äußeren Halsseite lag, die als einzige vor dem Spalten kontaminiert werden kann, könnte auf eine direkte bzw. indirekte Kontamination der Halsseite durch Berührung mit dem Absaugschlauch oder die durch diesen kontaminierte Hände des Absaugers weisen.

Die Einschätzung der Autoren, dass die festgestellten ZNS-Mengen keine Gefährdung des Verbrauchers bedeuten, erscheint aus folgenden Gründen nicht unproblematisch:

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