http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/out175_en.html

Roland Heynkes, 8.6.2001

Gliederung

bibliographische Angaben
meine Zusammenfassung der Stellungnahme
Literaturliste

bibliographische Angaben

Scientific Steering Committee - Safety of milk with regard to TSE: State of affairs - http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/out175_en.html

meine Zusammenfassung der Stellungnahme

Ende März 2001 stellte das SSC fest, daß ihm bis dahin keine Hinweise auf eine von Wiederkäuermilch ausgehende TSE-Gefahr bekannt waren. Dabei bezog es sich auf epidemiologische Studien und auf mit Milch von Kuru- und CJK-Patientinnen, von BSE-Kühen und Scrapie-Schafen durchgeführte Maus-Bioassays. Außerdem glaubt das SSC zu wissen, daß kein von einer an Kuru oder CJK erkrankten Mutter gestilltes Kind erkrankt sei. Belege oder Referenzen liefert das SSC für diese Behauptungen im Bezug auf Kuru und CJK jedoch nicht. Es ist auch kaum zu glauben, daß die Kinder von Kuru- und CJK-Patientinnen wirklich so lückenlos unter Beobachtung stehen. Wahrscheinlich ist die Zahl der tatsächlich über einen ausreichend langen Zeitraum überwachten Fälle so klein, daß sich daraus überhaupt keine Schlußfolgerungen ziehen lassen. Erwähnt wird vom SSC nur ein einziger Fall, in dem das Kind einer CJK-Patientin immerhin 30 Jahre alt wurde. Aber selbst dieses Kind kann natürlich noch in 20 oder 30 Jahren an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sterben.

Aufgrund eines leider nicht publizierten oder auch nur in Teilen wörtlich zitierten Briefes von Prof. K Yamanouchi an R. Bradley vom Februar 1997 zieht das SSC die Glaubwürdigkeit des 1992 von Tamai et al. publizierten Experimentes [ALJP] in Zweifel, bei dem Kolostrum die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit einer Japanerin auf Mäuse übertragen zu haben schien. Diesem Brief zufolge sollen bei weiteren histopathologischen bzw. immunhistochemischen Untersuchungen an fixierten Gehirnschnitten der primär infizierten Mäuse weder schwammförmige Degenerationen, noch proteaseresistentes Prionprotein gefunden worden sein. Eine japanische Behörde soll deshalb die von Tamai et al. publizierte Arbeit für unglaubwürdig halten, in der sehr wohl von schwammförmigen Degenerationen berichtet wird und in der es sogar den Vergleich mit einer Negativkontrolle gab. Seltsamerweise fand man aber schwammförmige Degenerationen und proteaseresistentes Prionprotein in den Gehirnen der Mäuse, die mit den Gehirnen der angeblich nicht mit Kolostrum infizierten Mäuse inokuliert worden waren. Aber diese nicht zu leugnenden Infektionen sollen nicht auf das Kolostrum zurückzuführen sein. Aber was soll denn sonst die Infektionsquelle gewesen sein? Für mich riecht das stark nach Vertuschung eines unbequemen experimentellen Ergebnisses und daher ist es in meinen Augen nicht akzeptabel, wenn als Beleg auf einen geheimen oder vielleicht auch nur imaginären Brief verwiesen wird. In der Wissenschaft darf nur berücksichtigt werden, was publiziert und damit nachprüfbar ist. Geheime Korrespondenz darf auf keinen Fall zum Maßstab für die Glaubwürdigkeit publizierter Arbeiten gemacht werden. Daher ist dieser ominöse Brief nach meinem Verständnis völlig irrelevant und die Arbeit von Tamai et al. ist für mich so glaubwürdig wie jede andere Arbeit, die noch nicht erfolgreich wiederholt wurde. Man kann sich allerdings fragen, warum dieses Experiment nicht vielfach und ausreichend dimensioniert wiederholt wurde. Zeit genug hat man dafür allemal gehabt.

Ganz abgesehen von den gegenteiligen Angaben von Tamai et al. hatten doch bereits Clark 1981, Fraser et al. 1992 und Lasmézas et al. 1997 gezeigt, daß auch nach der Übertragung von Scrapie auf Rinder [AFPP] oder BSE auf Mäuse [AEEK,AHBH] nicht immer Löcher und immunologisch nachweisbares proteaseresistentes Prionprotein gefunden werden. Ähnlich verursacht der SSBP/1-Scrapiestamm bei Schafen teilweise nur minimale degenerative Veränderungen [AEDB, sodaß eine eindeutige neuropathologische Diagnose kaum möglich ist [ADIO,AEDB]. Daher ist es mir völlig unverständlich, daß das SSC die unglaubwürdigen Einwände der japanische Behörde kommentarlos akzeptiert.

Für das SSC spricht die Weybridge-Kohortenstudie nicht für eine Infektiosität von Milch, da sich die dort beobachtete Häufung von BSE bei Nachkommen von BSE-Kühen auch durch vererbte Empfänglichkeit in Kombination mit der in dieser Studie nicht ausgeschlossenen Verfütterung von Tiermehl sowie mit anderen Infektionsquellen um die Geburt erklären lassen und weil diese Kälber nur Kolostrum und keine Milch von ihren Müttern erhalten hatten [AMMU]. Das ist sicher richtig, aber unbestreitbar erkrankten die Nachkommen BSE-infizierter Kühe deutlich häufiger. Deshalb ist es sehr merkwürdig, daß das SSC behauptet, es gebe im vereinigten Königreich keinen Überschuß von BSE-Fällen bei den Nachkommen BSE-infizierter Kühe. Zumindest hätte das SSC einen Beweis für seine überraschende Ansicht erwähnen sollen.

Das SSC sieht hingegen in der Ammenkuhstudie [AMMT,ADNU] von Wilesmith und Ryan einen seriösen Hinweis darauf, daß BSE eher nicht durch Milch übertragen wird. Ich empfehle jedem zu dieser Ansicht neigenden Leser die Lektüre meiner detailierten Analyse dieser nur auf den ersten Blick überzeugenden Studie.

Gleichzeitig war sich das SSC jedoch der begrenzten Aussagekraft der bisher durchgeführten Studien, sowie der Existenz von Leukozyten in Milch bewußt und machte deutlich, daß eine präzise Abschätzung der von Samen, Embryonen, fötalen Geweben, Milch und Kolostrum ausgehenden BSE-Risiken ohne entsprechende Untersuchungen mit intrazerebralen Inokulationen in Tiere der jeweils selben Tierart nicht möglich ist.

Deshalb empfahl das SSC vorsichtshalber, Kolostrum, Milch und Milchprodukte von BSE-Verdachtsfällen nicht in den menschlichen Verzehr gelangen zu lassen. Praktisch umsetzbar ist diese Empfehlung kaum, denn einmal an die Molkerei geliefert, ist Milch von BSE-Kühen praktisch nicht rückholbar.

Außerdem empfiehlt das SSC folgerichtig weitere Forschung zur Klärung des BSE-Risikos von Milch. Damit sieht sich das SSC in der Tradition des "Scientific Veterinary Committee", welches 1996 das BSE/Scrapie-Übertragungsrisiko von Kolostrum, Milch und Milchprodukten für vernachlässigbar hielt und dennoch vorsichtshalber ein Verbot der Verwendung von Kolostrum und Milch BSE-verdächtiger Tiere forderte. Das "Multidisciplinary Scientific Committee" hatte diese Stellungnahme mit ihren Quellenangaben schon 1997 überprüft und seinen Schlußfolgerungen zugestimmt. Das SSC stützt sich bei seiner Einschätzung auch auf die Stellungnahmen des SEAC.

Dem SSC sind keine Pläne für hochsensitive Experimente bekannt, bei denen Milch BSE-kranker Kühe in die Gehirne von Kälbern injiziert werden sollten. Es soll lediglich im Auftrag der Food Standards Agency in der Milch experimentell infizierter Kühe nach proteaseresistentem Prionprotein gesucht werden. Außerdem soll nach einer Auskunft von Nora Hunter vom 14.3.2001 ein nicht näher beschriebenes Experiment laufen, bei dem einige scrapieempfängliche Lämmer von Hand aufgezogen werden.

Literaturliste

ADIO . Dickinson,A.G. - Scrapie in sheep and goats - Frontiers of Biology 1976; 44: 209-41

ADNU . Donnelly,C.A. - Maternal transmission of BSE: interpretation of the data on the offspring of BSE-affected pedigree suckler cows - Veterinary Record 1998 May 23; 142(21): 579-80

AEDB . Foster,J.D.; McKelvey,W.A.; Mylne,M.J.; Williams,A.; Hunter,N.; Hope,J.; Fraser,H. - Studies on maternal transmission of scrapie in sheep by embryo transfer - Veterinary Record 1992 Apr 18; 130(16): 341-3

AEEK . Fraser,H.; Bruce,M.E.; Chree,A.; McConnell,I.; Wells,G.A. - Transmission of bovine spongiform encephalopathy and scrapie to mice - Journal of General Virology 1992 Aug; 73(8): 1891-7

AFPP . Hourrigan,J.L. - Experimentally induced bovine spongiform encephalopathy in cattle in Mission, Tex, and the control of scrapie - Journal of the American Veterinary Medical Association 1990 May 15; 196(10): 1678-9

AHBH . Lasmézas,C.I.; Deslys,J.P.; Robain,O.; Jaegly,A.; Beringue,V.; Peyrin,J.M.; Fournier,J.G.; Hauw,J.J.; Rossier,J.; Dormont,D. - Transmission of the BSE agent to mice in the absence of detectable abnormal prion protein - Science 1997 Jan 17; 275(5298): 402-5

ALJP . Tamai,Y.; Kojima,H.; Kitajima,R.; Taguchi,F.; Ohtani,Y.; Kawaguchi,T.; Miura,S.; Sato,M.; Ishihara,Y. - Demonstration of the transmissible agent in tissue from a pregnant woman with Creutzfeldt-Jakob disease - New England Journal of Medicine 1992 Aug 27; 327(9): 649

AMMU . Wilesmith,J.W.; Wells,G.A.; Ryan,J.B.; Gavier-Widen,D.; Simmons,M.M. - A cohort study to examine maternally-associated risk factors for bovine spongiform encephalopathy - Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 239-43

AMMT . Wilesmith,J.W.; Ryan,J.B. - Absence of BSE in the offspring of pedigree suckler cows affected by BSE in Great Britain - Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 250-1

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