Dokumentation: Mysteriöse Bakterienkiller - Mit Viren aus der Antibiotika-Krise

Roland Heynkes, 7.11.2019, zuletzt ergänzt am 29.11.2022

Bakteriophagen sind Viren, die sich nur in Bakterien vermehren. Sie docken an der Bakterien-Zellwand an und injizieren ihr Erbgut in das Innere des Bakteriums. Dadurch wird das Bakterium so umprogrammiert, dass es innerhalb einer halben Stunde mehrere Dutzend neue Phagen produziert und oft durch Platzen es Bakteriums freisetzt. So sollen Bakteriophagen alle 2 Tage die Hälfte der weltweit existierenden Bakterien töten. Trotzdem vermittelt die Dokumentation ein falsches Denken mit der Behauptung, die Phagen seien Feinde der Bakterien. Denn es geht den Phagen nicht um die Vernichtung der Bakterien, sondern ausschließlich um ihre eigene Vermehrung. Eine Ausrottung der Bakterien wäre auch das Ende der Bakteriophagen, die sich dann nicht mehr vermehren könnten. Trotzdem können Menschen bestimmte Phagen benutzen, um uns krank machende Bakterien zu vernichten. Denn jede Bakteriophagen-Spezies kann nur in Zellen mit Rezeptoren eindringen, die wie ein Schloss zu einem Schlüssel zu einem Oberflächen-Protein des Virus passen und die Zelle veranlassen, das Virus durch Endozytose aktiv aufzunehmen. Deshalb wirken Bakteriophagen sehr viel spezifischer als Antibiotika. Es lassen sich relativ leicht Bakteriophagen finden, die nur einen bestimmten Krankheitserreger töten, nicht aber all die anderen Bakterien-Spezies, die ein Mensch braucht, um gesund zu bleiben. Ein weiterer großer Vorteil der Bakteriophagen ist, dass sie mutieren und sich dadurch im Gegensatz zu Antibiotika schnell anpassen können, wenn ein Bakterium resistent wird. Und setzt man zwei verschiedene Phagenstämme mit unterschiedlichen "Schlüsseln" gleichzeitig ein, dann haben Bakterien praktisch keine Chance mehr, sich anzupassen. Diese von Anderen erst beim schwierigen Kampf gegen den besonders oft mutierenden AIDS-Erreger wieder entdeckte Idee hatte schon der geniale Phagen-Entdecker Félix d'Herelle.

T4-Phagen auf einem E.coli-Bakterium nach oben
Miika Leppänen, CC BY-SA 4.0

In der Natur überleben trotzdem immer noch ausreichend viele Bakterien, weil von außen immer wieder neue Bakterien in ein Gebiet einwandern können, in welchem Bakteriophagen zuvor allzu erfolgreich all ihre Wirte getötet und sich damit selbst ihrer eigenen Vermehrungsgrundlage beraubt haben. Aber für die Behandlung eines Menschen ist es kein Problem, wenn in ihm nach einem pathogenen Bakterienstamm auch die auf diesen spezialisierten Bakteriophagen aussterben. Denn bevor das passiert, können Ärzte aus dem Patienten die krank machenden Bakterien und die uns davor schützenden Bakteriophagen isolieren. So lassen sich mit der Zeit Phagen-Banken mit mindestens einer Phagen-Spezies gegen fast jede bakteriellen Krankheitserreger aufbauen.

hochauflösendes Modell eines T4-Phagen nach oben
Dr. Victor Padilla-Sanchez, CC BY-SA 4.0

Die Dokumentation erklärt, dass die Bakteriophagen schon vor einem Jahrhundert lange vor dem ersten Antibiotikum entdeckt und bald schon in Form trinkbarer Lösungen zur Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten benutzt wurden. Weil ihre Anwendung aufwändiger ist und mehr Wissen erfordert, geriet die Phagen-Therapie vor allem in den westlichen Industrieländern in Vergessenheit, nachdem die ersten Antibiotika kurz nach dem zweiten Weltkrieg kostengünstig verfügbar wurden.

Schema der Vermehrung eines Phagen in einem Bakterium nach oben
anonym, CC BY 2.0

Aber weil völlig verantwortungslose Regierungen die Herstellung der lebenswichtigen Antibiotika einfach den praktisch ausschließlich am Profit ihrer Aktionäre interesierten Pharmaunternehmen überließen, sind diese eines nach dem anderen aus der inzwischen auch viel zu teurer gewordenen Zulassung und der wenig profitablen Vermarktung neuer Antibiotika ausgestiegen. Und weltweit schauen die Regierungen weiter tatenlos zu, wie die Antibiotika-Krise angesichts der gleichzeitig zunehmenden Resistenz human-pathogener Bakterien immer dramatischere Formen annimmt. Hinzu kommt noch das Problem, dass Antibiotika heute aus Kostengründen nur noch in weltweit ganz wenigen Fabriken produziert werden. Fällt eine dieser wenigen Produktionsstätten aufgrund eines Streiks, eines technischen Problems oder einer Naturkatastrophe aus, dann müssen weltweit unzählige Operationen und Chemotherapien verschoben werden und viele Menschen sterben. Aber anstatt nun endlich staatliche Institute für die Erforschung, Zulassung und Produktion neuer Antibiotika zu gründen, unsere viel zu sehr mit sich selbst beschäftigte Bundesregierung und viele andere Regierungen untätig zu und machen sich nicht einmal die Mühe, in der EU den rechtlichen Rahmen für die Anwendung der Phagen-Therapie zu schaffen. Dabei verzichten die selben Regierung nahezu völlig auf die Qualitätskontrolle bei Implantaten und Heilpraktikern. Immerhin erlauben die belgische und die französische Regierung im Gegensatz zur Bundesregierung bei austherapierten Patienten das Experimentieren mit der Phagen-Therapie in ausgewählten Kliniken zu. Aber selbst da behauptet einer der behandelnden französischen Ärzte, es gebe noch zu wenig Erfahrung mit der Phagen-Therapie. Was für eine Arroganz ud Ignoranz angesicht der jahrzehntelangen Erfolge und Erfahrungen, die Wissenschaftler und Ärzte damit in Osteuropa gemacht haben. Wenn wir unsere Leben retten oder eine Amputation vermeiden wollen, dann fliegen wir daher besser gleich zu den wahren Experten nach Tiflis in Georgien, wo man seit Jahrzehnten über große Erfahrung mit der Phagen-Therapie und eine umfangreiche Phagen-Sammlung verfügt. Denn bis unsere westeuropäischen Ärzte das Rad neu erfunden haben, wird es wohl noch dauern.

In der Dokumentation erklärt die Geschäftsführerin der nationalen französischen Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln die Untätigkeit damit, dass intensive Diskussionen nur dazu geführt haben, die Phagen als Arzneimittel einzustufen, obwohl die für Arzneimittel geltenden Zulassungsbestimmungen für Phagen völlig ungeeignet sind. Da drängt sich die Frage auf, wie ignorant Wissenschaftler und wie dumm Politiker und Behördenmitarbeiter eigentlich sein dürfen.

Mit Bakteriophagen lassen sich nicht nur menschliche Patienten heilen, sondern auch unsere Tiere. Das wäre auch für die menschliche Gesundheit extrem wichtig, weil wir dadurch auf Antibiotika selbst in der Massentierhaltung verzichten könnten. Denn heute züchtet die Massentierhaltung durch den massenhaften Einsatz von Antibiotika in Tierställen immer mehr Antibiotika-resistente Bakterienstämme, die das Leben von Millionen Menschen bedrohen und in Zukunft gigantische Kosten im Gesundheitssektor und in der Wirtschaft verursachen werden.

Übrigens könnte man nach dem Vorbild der Bakteriophagen auch Viren gentechnisch herstellen und züchten, die ganz spezifisch nur bestimmte Krebszellen töten.

Der Phage namens Lambda hinterlässt Löcher in einem E.coli-Bakterien-Rasen. nach oben
anonym, CC BY-SA 3.0

Die Dokumentation beschreibt, wie 1897 der junge Deserteur Félix d'Herelle von Frankreich nach Kanada floh, sich dort als Autodidakt in die Mikrobiologie einlas und dann in Guatemala eine Anstellung als Mikrobiologe fand. Dort soll er weltweite Anerkennung gewonnen haben, indem er ein Bakterium für die Bekämpfung einer Heuschreckenplage einsetzte. Die Wikipedia beschreibt die Geschichte anders, aber jedenfalls erfand er anscheinend die biologische Schädlingsbekämpfung mit Bakterien. Die Dokumentation schreibt ihm auch die Entdeckung der Bakteriophagen zu und nennt dafür das Jahr 1914. Die Wikipedia nennt als ersten Entdecker der Bakteriophagen den britischen Bakteriologen Frederick Twort, der seine Entdeckung 1915 in "The Lancet" veröffentlichte. Unabhängig von dieser lange ignorierten Publikation fielen auch Félix d'Herelle bei der Zucht von Bakterien auf Nährmedien Löcher im Bakterienrasen auf. Er publizierte seine Entdeckung aber erst im September 1917. Diese Löcher entstanden, weil dort die Bakterien durch Bakteriophagen getötet wurden. Diese sind allerdings so klein, dass sie mit Lichtmikroskopen nicht entdeckt werden konnten. Félix d'Herelle war 1911 nach Franreich zurückgekehrt, wo man ihn glücklicherweise nicht als Deserteur hinrichtete, sondern großzügigweise unbezahlt als Assistent im berühmten Institut Pasteuer arbeiten ließ. Anfang 1919 isolierte er Bakteriophagen aus Hühnerkot und bekämpfte damit erfolgreich Hühner-Typhus. Schon im August des selben Jahres behandelte er den ersten Menschen mit einer Phagen-Therapie. Dieser war an der Bakterienruhr (Dysenterie) erkrankt. Genau wie zuvor Frederick Twort wusste auch Félix d'Herelle damals noch nicht genau, was er entdeckt hatte. Aber er ging schon davon aus, dass er Organismen entdeckt hatte, die sich irgendwie von Bakterien ernähren. Andere bezweifelten das und kritisierten ihn auch wegen seiner Anwendung bei Menschen. Aber bevor er die ersten kranken Kinder damit behandelte, trank er zum Beweis der Ungefährlichkeit selbst die Phagen-Lösung. Und laut Wikipedia 1939 bestätigte Helmut Ruska mit seinem Elektronenmikroskop die Existenz von Bakteriophagen. Die Dokumentation sagt aus, die Phagen seien erst in den 1940er Jahren sichtbar gemacht worden.

Nachdem er in Paris die ersten schwer an Bakterienruhr erkrankten Kinder erfolgreich behandelt hatte, rettete Félix d'Herelle mit seiner Phagen-Therapie 1925 Pest-Patienten in Ägypten sowie 1926 Cholera-Patienten in Indien. Aber neidische Kollegen warnten, man dürfe einem Autodidakten und Abenteurer nicht trauen. Man schloss ihn sogar als angeblichen Betrüger aus dem Institut Pasteur aus. Ein Bericht des Council of Pharmacy and Chemistry meldete Zweifel an der genauen Beschaffenheit der Phagen und deren Verwendung an und behauptete, es sei nicht belegt, dass es sich um Bakterien angreifende Viren handelt. Trotzdem boomte die Phagen-Therapie vor allem beim Militär während des zweiten Weltkriegs, bis ein gewaltiges Projekt in den USA zur ersten massenhaften Produktion von Penicillin führte und die Phagen-Therapie scheinbar überflüssig machte. Penicillin konnte in großen Mengen produziert und problemlos transportiert werden, war chemisch stabil und wirkte bei vielen verschiedenen Bakterienstämmen. Es hindert Bakterien daran, ihre Zellwände zu bilden und ließ sie platzen, sobald sie sich zu vermehren versuchten. Penicillin konnte von jedem leicht angewendet werden, während man für die Phagen-Therapie ein Labor und erfahrene Experten brauchte, um für jeden Patienten passende Phagen zu suchen. Darum verdrängte Penicillin die Phagen-Therapie. Seitdem wurde die Phagen-Therapie im sogenannten Westen nicht mehr angewendet. Doch inzwischen haben wir mit den Antibiotika das Problem der multiresistenten pathogenen Bakterien.

Félix d'Herelle reiste 1933 auf Einladung Stalins nach Tiflis in Georgien, wo laut Wikipedia sein Schüler Georgi Eliava ein Institut für Phagen-Therapie gegründet hatte oder dieses laut Dokumentation zusammen mit d'Herelle gründete. Nachdem sein Schüler 1937 aufgrund einer Intrige als angeblicher Volksfeind einer der "Säuberungsaktionen" Stalins zum Opfer gefallen war, kehrte d'Herelle zurück nach Paris, wo er 1949 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Anders als die Dokumentation und ein Wikipedia-Akrtikel über Félix d'Herelle stellt der Wikipedia-Akrtikel über Georgi Eliava die Sache so dar, das d'Herelle schon 1935 nach Paris reiste und danach kein Einreise-Visum mehr für Georgien bekam. Demnach wurde wurde Eliava 1988 rehabilitiert und das Institut in George Eliava Research Institute of Bacteriophage umbenannt. Es ist bis heute weltweit führend in der Anwendung der Phagen-Therapie.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0