Dr. Ingrid Schütt-Abraham, 08.07.2002
(nach einem im April 2002 gehaltenen Vortrag)
Seit dem 1.1.2001 ist der Gebrauch des Rückenmarkzerstörers EG-weit verboten. Infolge des Verbots wurden Mängel in der Praxis der Bolzenschussbetäubung offenkundig, die bei Rinderschlachtungen vielfach zu tierschutzwidrigen Zuständen führten und ein breites Echo in der Presse fanden.
Eine im gleichen Jahr abgeschlossene Bestandsaufnahme des Beratungs- und Schulungsinstituts zur schonenden Behandlung von Zucht- und Schlachttieren (bsi) in Schwarzenbek zur Kohlendioxidbetäubung bei Schweinen bescheinigte der Mehrzahl der Betriebe eine nicht tierschutzkonforme bzw. nicht den Vorgaben der Tierschutz-Schlachtverordnung (TierSchlV) entsprechende Durchführung der Betäubung. Es erscheint daher notwendig, die amtliche Überwachung in den Schlachtbetrieben an ihre Zuständigkeit für den Tierschutz zu erinnern und die Vorgaben der Tierschutz-Schlachtverordnung im Licht des fortgeschrittenen wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der Schlachttechnologie zu überprüfen.
Anfang 2002 erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das seinerzeit vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte grundsätzliche Genehmigungsverbot von Anträgen moslemischer Metzger auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schlachten für verfassungswidrig. Da dieses letztinstanzliche Urteil respektiert werden muss, ist mit einer Zunahme der Anträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung durch moslemische Glaubensgemeinschaften zu rechnen. Mangels konkreter bundeseinheitlicher Vorgaben wurden die Antragsvoraussetzungen und die Durchführung des rituellen Schlachtens in Ländererlassen geregelt. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) erarbeitete umgehend eine Stellungnahme, in der Kriterien für die Erteilung der Genehmigung und eine möglichst tierschutzkonforme Durchführung der Schlachtung benannt wurden. Hierbei handelt es sich jedoch nur um Empfehlungen. Bundeseinheitliche rechtliche Vorgaben hinsichtlich der Durchführung des betäubungslosen Schlachtens sind daher notwendig und sollten baldmöglichst erlassen werden.
EU-weit gilt nach der Richtlinie 93/119/EWG der Grundsatz, dass Tiere vor dem Schlachten zu betäuben sind. Sie müssen bei der Schlachtung von vermeidbaren Aufregungen, Schmerzen oder Leiden verschont bleiben. Ein Betäubungsverfahren ist in Übereinstimmung mit § 13 TierSchlV als tierschutzgerecht anzusehen, wenn es das Tier schnell und ohne vermeidbare Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt. Dieser Zustand liegt in jedem Fall vor, wenn das Gehirn keine Spontanaktivität mehr zeigt (sog. "Null"- oder "Isoelektrische Linie" im EEG) und auf äußere (optische, akustische oder sonstige) Reize nicht mehr reagiert. Eine Bewußtlosigkeit ist nach korrektem Eröffnen beider (!) Halsschlagadern beim Schaf innerhalb 7 - 15 Sekunden (Gregory u. Wotton, 1984a, Newhook und Blackmore, 1982), nach Bruststich beim Kalb (Anil et al., 1995, Gregory und Wotton, 1984b) oder Schwein (Wotton u. Gregory, 1986) innerhalb 10 - 20 Sekunden erreicht, da die Blutversorgung des Gehirns hierdurch vollständig unterbrochen wird. Demgegenüber kann bei durch Halsschnitt entbluteten Rindern, insbesondere bei Behinderung des Blutflusses durch ballonartiges Auftreiben, Thrombenbildung oder Zurückziehen der durchtrennten Arterienstümpfe, die Blutversorgung des Gehirns noch minutenlang allein über die Vertebralarterien aufrecht erhalten werden (Anil et al., 1995, Blackman et al., 1986, Newhook und Blackmore, 1982).
Der Entblutungsschnitt oder -stich muss daher bei reversiblen Betäubungsverfahren so rechtzeitig gesetzt werden, dass der Blutverlust noch innerhalb der Betäubungsdauer zum Koma führt. Bei der Entblutung, insbesondere von Rindern mittels Halsschnitt, muss darüber hinaus darauf geachtet werden, dass ein ausreichender Blutsturz erfolgt. Bei Anzeichen eines verminderten Blutflusses muss unverzüglich nachgeschnitten oder aber nachbetäubt werden. Aus den genannten tierschutzfachlichen Überlegungen heraus sollte bei der Entblutung dem Bruststich gegenüber dem Halsschnitt der Vorzug gegeben werden.
Bolzenschussbetäubung
Wirkungsweise und -dauer
Der Aufprall des Bolzens auf dem Schädeldach führt zu einer Gehirnerschütterung, die mit einem sofortigen Bewusstseinsverlust einhergeht. Die Beschädigung lebenswichtiger Hirnstammbereiche durch den eindringenden Bolzen und die ihm vorauseilende Druckwelle bewirkt eine anhaltende und tiefe Betäubung, die im Einzelfall auch bei nicht entbluteten Tieren ohne Wiederkehr des Bewusstseins in den Tod übergehen kann. Allerdings kann ein vorübergehendes Wiedererwachen der Tiere selbst bei optimal durchgeführter Bolzenschussbetäubung nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist die Bolzenschussbetäubung nicht als alleiniges Verfahren zur Tötung von Tieren zugelassen. Mit dem Bolzenschuss betäubte Tiere müssen daher bei der Schlachtung innerhalb einer Minute nach dem Schuss entblutet werden (Anlage 3 Teil II Nr. 1.2 TierSchlV).
Zeichen einer wirksamen Bolzenschussbetäubung
Zeichen einer wirksamen Bolzenschussbetäubung sind:
Probleme mit der Bolzenschussbetäubung
Die Bolzenschussbetäubung schaltet bei korrekter Anwendung das Bewusstsein des Tieres in weniger als 2 Millisekunden - der für das Eindringen des Bolzens maximal benötigten Zeit - und für mindestens eine Minute aus (BGA,1982; Daly et al., 1988). Sie ist damit nach meiner persönlichen Einschätzung das schnellste und wirksamste und damit tierschutzgerechteste Betäubungsverfahren, das heute für Rinder verfügbar ist. Allerdings gibt es eine Reihe von Fehlerquellen, die eine verkürzte oder nur oberflächliche Betäubungswirkung nach sich ziehen können. Hierzu gehören insbesondere:
Zu hoch angesetzte Schüsse (wie seinerzeit in den österreichischen Schlachtvideos gezeigt) zielen ebenso wie zu tief angesetzte Schüsse bei planem Ansatz am Hirnstamm vorbei und führen zu Fehlbetäubungen. Eine gut konstruierte Betäubungsbox muss daher nicht nur ein Zurückweichen des Tieres, sondern auch ein Absenken des Kopfes sowie seitliche Kopfbewegungen verhindern. Der Betäuber sollte den Schussapparat ohne Verrenkungen am Kopf des Tieres ansetzen können. Der Kopfteil der Betäubungsbox muss so ausgestaltet sein, dass der Kopf dem Betäuber frei zugänglich ist. Insbesondere darf das Betäubungspersonal nicht beim Ansetzen des Schussapparates durch Bügel oder ähnliche Vorrichtungen zur Vermeidung des Aufreitens oder Herausdrängens der Tiere im Kopfteil der Box in seiner Bewegung behindert werden.
Der amtliche Tierarzt sollte den Zustand des Bolzenschussgerätes und die Durchführung der Betäubung arbeitstäglich vor Ort überprüfen. Aus Zeitgründen wird dabei nur eine kleine Zahl von Beobachtungen möglich sein. Die Prüfung der korrekten Schussposition kann jedoch problemlos und effizient auch nach Ende der Schlachtung anhand der Einschussöffnungen in den enthäuteten Köpfen vorgenommen werden. Hierbei sind Position und Erscheinungsbild der Schussöffnung zu beurteilen.
Bei korrektem planem Aufsatz des Bolzenschussgerätes sind die Einschussöffnungen kreisrund, ihre Ränder glatt und ohne Sprünge. Je schräger der Bolzen angesetzt wurde, um so ovaler wird die Stanzöffnung, wie Untersuchungen des Bundesgesundheitsamtes an Schafen zeigten. Zudem kommt es bei schrägem Ansatz vermehrt zu vom Rand der Schussöffnung ausgehenden Fissuren und Frakturen im Schädeldach.
Auch die Streuung der Schussöffnungen gibt wichtige Hinweise. Streuen die Einschussöffnungen eng um die korrekte Schussposition, kann man von einem sachkundigen und geübten Betäuber ausgehen. Streuen sie breit über die gesamte Stirn, weist dies auf bestehenden Schulungsbedarf und/oder eine unzureichende Kopffixierung hin.
Neben dieser TÜV-ähnlichen Prüfung sind die Bolzenschussgeräte im Schlachtbetrieb mindestens arbeitstäglich (!) zu reinigen und einer Funktionsprüfung zu unterziehen. Verschlissene oder beschädigte Teile sind dabei auszutauschen. Ausgeleierte Rückstellfedern oder Gummipuffer verhindern das vollständige Zurückziehen des Bolzens in den Lauf. Durch den vorfallenden Bolzen vergrößert sich die Brennkammer. Dies hat einen Energieverlust zur Folge, der die Bolzengeschwindigkeit reduziert. Daraus resultiert eine geringere Aufprallenergie auf dem Schädeldach, die zu einer schwächeren Gehirnerschütterung führt. Der Bolzen muss daher vor dem Schuss vollständig in den Schaft eingefahren sein (Anlage 3 Teil II Nr. 1.2 TierSchlV). Bei einigen Schussapparaten (z.B. Geräten der Firma Schermer) ist der Bolzen von Hand in den Lauf zu drücken, bis er dort einrastet. Auch verschmutzungsbedingte höhere Reibungsverluste verringern die Bolzengeschwindigkeit und damit die Aufprallenergie.
Schlecht gewartete und gepflegte Bolzenschussgeräte sind nicht mehr uneingeschränkt gebrauchstauglich. Unzureichende Wartung und Pflege der Geräte sind daher nicht selten die Ursache, wenn es trotz korrekter Anwendung des Bolzenschusses zu Fehlbetäubungen kommt.
Auf die gleiche Weise können Fragmente des durch den eindringenden Bolzen zerstörten Gehirngewebes über den Blutkreislauf im Körper verteilt werden. Dies ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verbreitung von BSE-Erregern von Bedeutung, da sich bei infizierten Tieren mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Erreger bereits das Gehirn erreicht hat, während die derzeit verfügbaren BSE-Tests eine BSE-Infektion erst im Spätstadium der durchschnittlich (!) 5-6 Jahre langen Inkubationszeit nachweisen können. Zwar werden größere Hirngewebsfragmente spätestens in den Lungenkapillaren ausgefiltert, jedoch werden durch den Schuss auch kleinste Hirngewebsteilchen frei gesetzt (Anil et al., 1999), die genau so kapillargängig sind wie einzelne Prionen.
Aus diesem Grund gehen derzeit die Anstrengungen dahin, die penetrierende Bolzenschussbetäubung durch Alternativmethoden (Stumpfe Schuss-Schlagbetäubung oder Elektrobetäubung) zu ersetzen. Während eine Elektrobetäubung beim Schaf auch in Deutschland bereits seit längerem routinemässig angewendet wird, sind die für Rinder verfügbaren Alternativmethoden noch nicht uneingeschränkt praxistauglich. In anderen Ländern wie Australien oder Neuseeland bei Rindern gut funktionierende Elektrobetäubungsanlagen sind auf die dortigen Verhätnisse hinsichtlich des Tierstapels, der Schlachttechnologie und der Schlachtkapazitäten zugeschnitten. Sie können daher nicht ohne weiteres anstelle der herkömmlichen Betäubungsboxen in unseren europäischen Schlachtbetrieben aufgestellt werden, sondern müssen den hiesigen Tiergrößen und Schlachtzahlen angepasst und in den herkömmlichen Schlachtablauf integriert werden.
Bei der Elektrobetäubung unterscheidet man im Wesentlichen zwei Verfahren:
Bei der reinen Kopfdurchströmung handelt es sich in jedem Fall um eine reversible Betäubung, die ein rasches Entbluten erforderlich macht.
Bei der Ganzkörperdurchströmung mit Herzkammerflimmern handelt es sich um ein irreversibles Betäubungsverfahren. Sie führt auch ohne Entbluten zum Tod des Tieres und ist daher auch als Tötungsverfahren zugelassen.
Zeichen einer wirksamen Elektrobetäubung sind:
Probleme mit der Elektrobetäubung
Darüber hinaus ist das Gerät regelmäßig vom Betriebselektriker auf äußere Schäden zu inspizieren und seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Dies kann mittels eines zwischen die Elektroden geschalteten Widerstandes geschehen. Liegt dieser im Bereich des Widerstandes eines Schweinekopfes (150 - 200 Ohm) muss das Gerät den Betäubungsstrom sofort in geforderter Höhe freigeben. Kabelbrüche oder beschädigte Isolierungen innerhalb der Zange können zu Nebenstromkreisen führen. Dies kann unerkannt zu einer unzureichenden Betäubungswirkung führen, weil das Amperemeter weiterhin korrekte Stromstärken anzeigt, obwohl ein Teil des angezeigten Stromes gar nicht durch den Tierkopf fließt, wenn das Gerät nicht aufgrund der eingebauten Sicherheitstechnik nach IEC/EN/DIN 60335-87-2:1999 sofort ganz abschaltet.
Bestehen am sofortigen Auslösen eines epileptischen Anfalls Zweifel, sollte zu deren Klärung die nach TierSchlV vorgeschriebene Durchströmungszeit von mindestens 4 sec bei einigen Tieren auf 1-2 Sekunden verkürzt werden. In diesem Fall wird das klinische Bild des epileptischen Anfalls nicht durch die immobilisierende Komponente längerer Stromeinwirkung verändert und die erst tonische, dann klonische Phase des epileptischen Anfalls leichter erkennbar. Wurde kein Anfall ausgelöst, wird das Tier innerhalb kürzester Zeit Aufricht- und Fluchtversuche unternehmen, sofern es nicht bereits nach Absetzen der Zange zu schreien und zu strampeln beginnt.
Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für die Durchführung betäubungsloser Schlachtungen in jedem Fall eine Ausnahmegenehmigung erforderlich. Sie müssen zudem in einer geeigneten Schlachtstätte und von einer Person mit Sachkundenachweis durchgeführt werden. Beim betäubungslosen Schlachten von Rindern ist eine Fixierung der Tiere in aufrechter Position mit gestrecktem Hals zu fordern, so dass der Schnitt mit einem ausreichend langen Messer (mindestens doppelte Halsbreite!) in einem Zug unter Durchtrennung aller Weichteile (und damit auch der großen Halsgefäße) bis auf die Wirbelsäule durchgeführt werden kann. Das Tier ist nach dem Schnitt bis zur Feststellung des Todes unbedingt in Ruhe zu lassen. Bei fehlerhaftem Schnitt oder unzureichendem Blutfluss ist eine sofortige Betäubung erforderlich. Es sollte daher immer ein einsatzbereiter Bolzenschussapparat am Schächtplatz vorgehalten werden.
Änderungs- und Ergänzungsbedarf der TierSchlV
Aufgrund der angeführten Probleme wird insbesondere in folgenden Bereichen eine Änderung der TierSchlV angestrebt (z.T. gemeinsame Initiativen des niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Beratungs- und Schulungsinstituts für schonenden Umgang mit Zucht- und Nutztieren (bsi), der Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF), des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT):
Darüber hinaus sind detaillierte Regelungen des betäubunglosen Schlachtens dringend erforderlich. Diese sollten sowohl klare Anforderungen an die vor Erteilung der Ausnahmegenehmigung vorzulegenden Nachweise einschließlich der Sachkunde des Personals als auch konkrete Anforderungen an die Durchführung des Schlachtvorgangs selbst umfassen. Derzeit wird noch diskutiert, ob dies durch eine Anpassung der TierSchlV oder in einer eigenständigen Regelung erfolgen soll.