Dokumentation: "Ausgebrummt - Insektensterben in Deutschland?"

Roland Heynkes, 13.12.2020

Leider kann man die im Folgenden kritisch zusammengefasste Fernsehdokumentation inzwischen nicht mehr kostenlos im Internet ansehen. Bis zur nächsten Ausstrahlung im deutschen Fernsehen bleibt daher für die Erarbeitung der Informationen nur mein Lerntext.

In der Dokumentation wird behauptet, es gebe allein in Deutschland rund 300.000 Arten von Insekten. Tatsächlich dürften es eher 33.000 sein. Und da niemand weiß, wieviele Spezies in einem Ökosystem existieren, sollten sich seriöse Zahlenangaben immer nur auf die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannten Arten beziehen.

Insekten können eklig, lästig und durch die Übertragung von Krankheiten auch gefährlich sein. Aber ohne sie würden ganze Ökosysteme zusammenbrechen und ein erheblicher Teil der Menschheit verhungern. Deshalb ist es besorgniserregend, dass nach einer wissenschaftlichen Studie die Gesamtmasse der in zwei deutschen Naturschutzgebieten lebenden Insekten innerhalb von nur 27 Jahren (Die Quelle und der Zeitraum werden in der Fernsehdokumentation leider nicht genannt.) um mehr als 75% abgenommen hat. In einem Artikel der Wikipedia wird die Abnahme der Individuen und Spezies bei Insekten in Deutschland zwar differenzierter dargestellt, aber sie ist auf jeden Fall dramatisch. Ältere Menschen erkennen das auch ohne naturwissenschaftliche Studien schon daran, dass man heute im krassen Gegensatz zu den 1970er Jahren nur noch selten Insekten von der Autofrontscheibe entfernen muss. Auch viele heute sehr seltene Vogelarten haben wir damals sehr viel häufiger gesehen. Denn die meisten unserer einheimischen Vögel benötigen Insekten zumindest als Futter für ihre Nachkommen.

Wie es dazu kommen und wohin der Verlust der Insekten führen kann, zeigt uns das Beispiel China. In der von ihm gegründeten Volksrepublik China hatte der Diktator Mao Zedong die nicht wirklich geniale Idee, durch eine Ausrottung der Spatzen die Ernteerfolge der Bauern zu steigern. Am 18. Mai 1958 rief er die gesamte Bevölkerung zur Teilnahme an einer landesweiten Kampagne auf. Selbst Kinder zerstörten Nester, vergifteten und scheuchten Vögel solange immer wieder auf, bis diese vor Erschöpfung starben. Der Tod von Milliarden Vögeln führte zu massenhafter Vermehrung von Insekten und trug dadurch zu den Missernten bei, die zu einer der schlimmsten Hungerkatastrophen der Menschheitsgeschichte führten. Um die Vernichtung der Ernten durch Insekten zu verhindern, versprühten darufhin Chinesen massenhaft Insektizide und töteten damit auch nützliche Insekten sowie weitere Vögel. Glücklicherweise beruht die Ernährung der Menschheit hauptsächlich auf verschiedenen Getreidearten, die alle durch Wind bestäubt werden. Aber die meisten anderen Kulturpflanzen des Menschen sind zur Bestäubung auf Insekten angewiesen. Auch als menschliche Bienen bezeichnete billige Arbeitskräfte übernehmen deshalb seit Jahrzehnten die Bestäubung der Obstbäume in der chinesischen Region Sichuan. Die Fernsehdokumentation zeigt, dass die Gewinnung der Pollenkörner und ihre Verteilung viel zu gefährlich und aufwändig ist, um für ein Hochlohnland wie Deutschland in Frage zu kommen. Aufgrund langsam steigender Löhne könnte das aber auch in China zum Problem werden, denn die chinesischen Obstbauern haben nicht aufgehört, ihre Umwelt mit Pestiziden massiv zu vergiften. Immerhin soll die chinesische Regierung inzwischen die giftigsten Insektizide verboten haben, auch weil die Schädlinge dagegen immun geworden waren.

Auch die Region am deutschen Ufer des Bodensees ist bekannt für intensiven Obstanbau. Apfelplantagen dominieren die Landschaft. Die Landschaftsökologin und Bienenspezialistin Prof. Alexandra-Maria Klein findet auch in solchen Obst-Plantagen keine Bienen und überhaupt nur wenige Insekten, weil diese in der intensiven Landwirtschaft zu wenig Nahrung finden. Dabei soll es in Deutschland rund 550 Bienenarten mit unterschiedlichen Bedürfnissen geben. Aber für die Bestäubung kommt in großen Monokulturen nur noch die besonders genügsame Honigbiene in Frage, weil sie vom Imker zu neuen Futterquellen gebracht wird, wenn in der Monokultur die Blütezeit vorbei ist. Für die Obstbauern ist das riskant, denn die Honigbiene fliegt nicht bei jedem Wetter und auch Bienen-Krankheiten können die Obsternte bedrohen.

Im rumänischen Transsylvanien (oder Siebenbürgen) findet die Landschaftsökologin mit Unterstützung durch den weltweit anerkannten Insektenforscher Prof. Laszlo Rakosy ein Beispiel für eine umweltverträglichere Landwirtschaft, wie wir sie bis vor 60 Jahren auch in Deutschland hatten. Hier existiert die höchste Artenvielfalt auf Trockenrasen in ganz Europa. Eine große biologische Vielfalt verschiedenster Kräuter ermöglicht das Überleben vieler Spezialisten unter den Insekten. Die biologische Vielfalt kommt zustande durch eine kleinräumige Mischung natürlicher und unterschiedlicher extensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen wie Felder, Wiesen, Streuobstwiesen, Gebüsche, Wäldchen und für Bienen besonders attraktive abrutschende Hänge zu einem Biotop-Verbund. Verbunden werden ähnliche, aber weiter von einander entfernte Biotope insbesondere durch Hecken.

Vom Pestizid-Einsatz zu Zeiten des Kommunismus hat sich diese Landschaft gut erholt, aber nun wird die biologische Vielfalt durch den Bau neuer Straßen und EU-Subventionen ohne ausreichende ökologische Prüfung bedroht. Und die Bauern dort haben so wenig Geld, dass es ihnen schwer fällt, den Wert ihrer Landwirtschaft zu sehen, solange sie scheinbar selbst nicht davon profitieren. Allerdings können die noch sehr autarken, sich weitgehend selbst versorgenden rumänischen Bauern von ihren kleinen Höfen noch auskömmlich leben, während viele moderne Bauernhöfe im Westen in der Schuldenfalle stecken. Wenn Gewinnstreben die Landwirtschaft bestimmt, dann wird statt Nachhaltigkeit Ertragssteigerung das Ziel. Aber höhere Erträge werden angestrebt mit mehr Dünger und mehr Pestiziden sowie mit Investitionen in größere Maschinen, Gebäude und Flächen. Das alles kostet Geld und hinzu kommen Zinsen für Kredite. So werden höhere Einnahmen schnell durch noch höhere Ausgaben überkompensiert und Bauern geraten in Abhängigkeit von Banken und Konzernen. Hinzu kommen zunehmende Wetter- und Marktrisiken, wenn Bauern mit dem Ziel der Gewinnmaximierung vermeintlich weniger gewinnträchtige Tätigkeitsfelder aufgeben und sich ganz auf ein Produkt konzentrieren. Dann kann schon ein Jahr mit ungünstigem Wetter oder schlechten Preisen existenzbedrohend sein, während bei einem sich selbstversorgenden Bauern mit vielen verschiedenen Produkten nur sehr selten alle Geschäftsfelder gleichzeitig schlecht laufen und sich auch keine Schulden anhäufen. Und verständlicherweise nehmen um die eigene Existenz fürchtende Bauern eher weniger Rücksicht auf Umweltschutz und Tierwohl.

Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass neben dem Nahrungsmangel vor allem der Einsatz von Pestiziden in der modernen konventionellen Landwirtschaft für das Verschwinden der Insekten verantwortlich ist. Hinzu kommen die Probleme Straßenverkehr und Lichtverschmutzung, weil viele Insekten von Lichtquellen angezogen werden und dort sterben. Sehr zweifelhaft angesichts der evolutionären Anpassungsfähigkeit der Insekten finde ich die Behauptung der Fernsehdokumentation, die Insekten könnten sich nicht an den Klimawandel anpassen. Aber an anhaltenden Nahrungsmangel und an die Umwandlung natürlicher Lebensräume in Agrarwüsten oder Wohn- und Gewerbegebiete können sich Spezies nicht anpassen. Und mit der Zahl der Individuen einer Spezies nimmt auch die Wahrscheinlickeit rettender Mutationen ab, ohne die sich keine Spezies an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann. Deshalb nimmt auch in Deutschland parallel zu den Insekten ebenfalls die Zahl der Vögel ab. Seit Jahrzehnten beobachtet beispielsweise der bekannte Ornithologe und streibare Umweltschützer Prof. Berthold einen dramatischen Rückgang der Vogelzahlen. Einige Spezies sind sogar ganz aus Deutschalnd verschwunden. Prof. Berthold empfiehlt deshalb eine Sommerfütterung einheimischer Vögel mit Meisenknödeln, weil Vögel in ihren Brustmuskeln Fett verbrennen, welches sie früher aus Insekten gewannen.

Konventionelle Landwirte meinen, Pestizide schon aus Kostengründen nur sparsam zu verwenden. Sie sehen sich zu Unrecht pauschal an den Pranger gestellt. Aber es lässt sich naturwissenschaftlich eindeutig belegen, dass unsere Landwirtschaft für die Nitratbelastung des Grundwassers verantwortlich ist und erheblich zum Klimawandel, zum Insekten- und Vogelsterben sowie zur Feinstaubbelastung unserer Atemluft beiträgt. Aktuelle Forschungsergebnisse wie beispielsweise die von Prof. Dr. Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zeigen klar, dass die Pestizid-Grenzwerte immer noch zu hoch sind. Außerdem führen zu schwere Maschinen zu Bodenverdichtung sowie der übermäßige Einsatz von Kunstdünger und viel zu oft ungeschützt Sonne, Wind und Wetter ausgesetzte Ackerflächen zu Erosion und Abnahme der Bodenfruchtbarkeit. Damit gefährdet die konventionelle Landwirtschaft ihre eigene Zukunft. Umweltschützer und viele Wissenschaftler fordern deshalb dringend grundlegende Änderungen der landwirtschaftlichen Praxis. Die Verbraucher müssten dann aber auch aufhören, immer nur die billigsten Lebensmittel zu kaufen, die zu diesen Preisen einfach nicht umweltverträglich und tiergerecht produziert werden können. Oder wir bräuchten endlich Bundeslandwirtschaftsminister, die sich nicht vornehmlich als Lobbyisten der konventionellen Landwirtschaft verstehen. Und natürlich sind auch Forschung und Entwicklung gefragt, umweltverträglichere Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Allerdings wäre es durchaus schon heute möglich, die vielfältigen Möglichkeiten der ökologischen Schädlingsbekämpfung zu nutzen. Ökologische Landwirtschaft ist teurer und bringt geringere Erträge. Dafür ist sie aber nachhaltig, weil sie die Bodenfruchtbarkeit und die Artenvielfalt sogar steigern kann. Auf die Dauer führt deshalb kein Weg vorbei an einer generellen und tiefgreifenden Umstellungen auf ökologisch verträglichere Anbau-, Dünge- und Pflanzenschutzmethoden.

Einige Pflanzenschutzmittel und insbesondere die sogenannten Neonicotionide beeinträchtigen die Orientierung der Bienen. Sie finden den Rückweg zum Stock nicht und sterben vor Erschöpfung. Bislang ignorieren die Zulassungsbehörden solche Effekte und tun viel zu wenig für den Schutz der Insekten.

Wegen der viel geringeren Produktivität sieht die Bienenforscherin Prof. Alexandra-Maria Klein keine realistische Chance, die gesamte deutsche Landwirtschaft wieder wie vor 100 Jahren zu betreiben. Sie sucht nach einem vernünftigen Kompromiss zur Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Und dafür gibt es nicht nur alte, sondern auch sehr moderne Ansätze. Weltweite Forschung lieferte uns zahlreiche naturwissenschaftlich abgesicherte Lösungen, für die wir allerdings gebildete oder zumindest nicht beratungsresistente Landwirte, ökologisch orientierte Berater und intelligent steuernde politische Rahmenbedingungen bräuchten.

Weil sich der deutsche Bauernverband und das Bundeslandwirtschaftsministerium seit Jahrzehnten hartnäckig jeder ökologischen oder gesundheitspolitischen Anforderung verweigern und auf Kosten der Steuerzahler sogar massive Strafzahlungen wegen fortgesetzter Verstöße gegen EU-Recht in Kauf nehmen, versuchen Umweltschützer mit vernetzten kleinen Naturschutzgebieten letzte Rückzugsgebiete für vom Aussterben bedrohte Pflanzen, Insekten und Vögel zu schafffen. Und besonders in den Städten versuchen immer mehr Menschen, beispielsweise mit Nisthilfen und Vogelfütterung auch im Sommer zu helfen. Aber anstatt zur Freude populistischer Politiker wie naive Kinder unseren CO2-Ausstoß zum einzig relevanten Problem zu erklären, müssten informierte Wählerinnen und Wähler politischen Druck ausüben zur Erhaltung der Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und -tieren sowie bei Wildpflanzen und Wildtieren. Dafür brauchen wir mehr naturnahe Wälder, Moore und andere Feuchtgebiete, ungedüngte Wiesen, aber unbedingt auch weniger land- und forstwirtschaftliche Monokulturen sowie eine intelligentere und verantwortungsbewusstere Landwirtschaft. Diese müsste auf weltweit bewährten Traditionen nachhaltiger Landwirtschaft und den Ergebnissen echter Wissenschaft gründen und nicht auf Gefälligkeitsgutachten und absichtlich falsch angelegten oder mißinterpretierten Studien von Professoren und Industrieforschern, die sich für Geld prostituieren und eine Schande für die Wissenschaft sind.

Wir müssen nicht das Klima retten, sondern erstmal bei uns und möglichst weltweit die Wälder, Moore und die umweltverträglichen Kulturlandschaften sowie die biologische Vielfalt bzw. genetische Variabilität in Natur und Landwirtschaft. Nebenbei würde ein Wachstum von Wäldern und Mooren auch das Klima stabilisieren.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0