Lerntext Xenopus-Nukleus-Transplantationen

Roland Heynkes, 13.1.2019

Nukleus-Transplantationen in Eizellen des afrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis haben wichtige experimentelle Daten für das Verständnis der Rolle des Zellkerns geliefert. In einer Klausur und in einem Biologie-Schulbuch fand ich aber die Ergebnisse dieser Experimente derart grotesk verfälscht, dass sie genau das Gegenteil zu beweisen schienen und zu einer fatalen Fehlinterpretation führten. Deshalb fasse ich in diesem Hypertext etwas ausführlicher als normal die tatsächlichen Ergebnisse verschiedener biologischer Originalarbeiten zusammen.

grüne Variante des afkrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis
Xenopus laevis
Michael Linnenbach, GNU Free Documentation License
Das Bild zeigt die grüne Variante des afkrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis.

In einem Artikel anlässlich der Verleihung seines Nobelpreises für Medizin beschreibt Sir John Bertrand Gurdon die Geschichte der experimentellen Zellkerntransplantationen. Wichtig ist unter anderem seine Feststellung, dass es ihm und seiner Arbeitsgruppe trotz vieler Tausend Experimente über mehrere Jahrzehnte kein einziges Mal gelungen ist, durch Transplantation des Zellkerns einer voll differenzierten Körperzelle eines erwachsenen Frosches in eine unbefruchtete Eizelle die Entwicklung eines fortpflanzungsfähigen Klons zu erreichen. Was er zeigen konnte ist, dass die Zellkerne differenzierter Zellen die für die Embryonalentwicklung (Embryogenese) erforderlichen Gene nicht verloren und auch nicht völlig unumkehrbar inaktiviert haben. Außerdem konnte er zeigen, dass irgendwelche Faktoren im Cytoplasma unbefruchteter Eizellen fähig sind, einen Teil der epigenetischen Inaktivierungen in späteren Entwicklungsstadien nicht mehr gebrauchter Gene wieder aufzuheben. Offenbar ist das aber ein schwieriger und zeitaufwändiger Prozess, der zumindest extrem selten vollständig gelingt. Gurdon selbst vermutete anlässlich der Verleihung seines Nobelpreis als Ursache die vielen Mutationen, die sich im Laufe der vielen extrem raschen Zellteilungen anhäufen. (J. B. Gurdon - The egg and the nucleus: a battle for supremacy - Development 2013 140: 2449-2456)

Bereits im Jahre 1886 berichtete Prof. August Rauber über seinen Versuch einer Zellkern-Transplantation. Mit Hilfe zweier feiner Spritzen vertauschte er die Zellkerne eines befruchteten Frosch-Eis und eines befruchteten Kröten-Eis. Aus heutiger Sicht wenig überraschend überlebten beide Zygoten nicht, weil Zelle und Zellkern aufeinander abgestimmt sein müssen. Er irrte allerdings mit der Einschätzung, aus einem Kröten-Ei mit einem Frosch-Zellkern würde sich deshalb kein Frosch entwickeln, weil der Zellkern nicht allein für die Vererbungsfunktion verantwortlich sein könne. Denn obwohl ein Zellkern nichts ohne den Rest der Zelle tun kann und durch die Zelle gesteuert wird, enthält doch der Zellkern nahezu die gesamte Erbinformation der Zelle. (August Rauber - Personaltheil und Germinaltheil des Individuums - Zoologischer Anzeiger 1886 (9): 166-171)

Sir John B. Gurdon hält es für nicht sicher, dass Rauber das Experiment tatsächlich durchgeführt hat. (John B. Gurdon - Nuclear transplantation, the conservation of the genome, and prospects for cell replacement - The FEBS Journal 2017 Jan; 284(2): 211-217)

Erst Jahrzehnte später hatten in den USA Thomas King and Robert Briggs Erfolg mit einem wesentlich naheliegenderen Experiment. Sie ersetzten die Zellkerne unbefruchteter Leopardfrosch-Eier durch die Zellkerne von Zellen aus den frühen Embryonen (Blastulae oder Gastrulae) der selben Spezies. So erzeugten sie geklonte Frösche. Mit Zellkernen aus adulten Zellen der Frosch-Spezies Rana pipiens gelang ihnen das nicht. (John Bertrand Gurdon (1933- ) von Inbar Maayan und Sean Cohmer, 11.10.2012). King und Briggs publizierten ihre Ergebnisse unter anderem 1952: Robert Briggs and Thomas J. King - Transplantation of living nuclei from blastula cells into enucleated frogs' eggs - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 1952 May 1; 38(5): 455-463, 1954: Thomas J. King and Robert Briggs - Transplantation of Living Nuclei of Late Gastrulae into Enucleated Eggs of Rana pipiens - Development 1954; 2: 73-80, 1955: Thomas J. King and Robert Briggs - Changes in the Nuclei of Differentiating Gastrula Cells, as Demonstrated by Nuclear Transplantation - Proceedings of the National Academy of Sciences 1955 May 15; 41(5): 321-325 und 1957: Robert Briggs and Thomas J. King - Changes in the Nuclei of Differentiating Endoderm Cells as Revealed by Nuclear Transplantation - Journal of Morphology 100 (1957): 269-311.

braune Variante des Krallenfroschs Xenopus laevis
Xenopus laevis
Brian Gratwicke, CC BY 2.0
Die braune Variante des Krallenfroschs Xenopus laevis entspricht dem Wildtyp.

In Oxford benutzte die Arbeitsgruppe des Embryologen Michael Fischberg den als reinen Wasserfrosch leichter zu haltenden, viel früher geschlechtsreifen, extrem infektionskrankheitsresistenten sowie ganzjährig und viel leichter zur Eiablage stimulierbaren südafrikanischen Krallenfrosch Xenopus laevis. Die rasche Generationenfolge und die einfache Haltung vieler Frösche steigern auch die Chance, bei Xenopus laevis nützliche Mutanten zu finden. Diese Eigenschaften machten Xenopus laevis zu einem Modell-Tier und Haustier der Entwicklungsbiologen. Der Nachteil von Xenopus laevis war eine extrem widerstandfähige und elastische Gallerthülle des Frosch-Eis. Aber die UV-Lampe eines neuen Mikroskops von Fischberg erwies sich als glücklicher Zufall, weil UV-Licht einer bestimmten Wellenlänge die Hüllen der Xenopus-Froscheier so weich machte, dass man sie leicht mit einer Glas-Kapillare durchstechen und Zellkerne injizieren konnte. Praktischerweise zerstörte die UV-Strahlung gleichzeitig irreversibel die weit außen und deshalb für UV-Strahlung erreichbar liegenden Zellkerne der bestrahlten Froscheier, sodass man die Zellkerne nicht entnehmen musste. Unter diesen Voraussetzungen begann 1956 John Gurdon im Labor von Fischberg seine Doktorarbeit. 1962 publizierte der später dafür zum Sir John geadelete John Bertrand Gurdon als Ergebnis seiner Arbeit die Erkenntnis, dass bei Xenopus laevis die Zellkerne bereits differenzierter Zellen (großer endodermaler Dünndarm-Epithelzellen von Xenopus-Embryonen) manchmal in Eizellen durch das Cytoplasma so umprogrammiert wurden, dass sich Embryonen und sogar geschlechtsreife Frösche entwickelten. Dafür erhielt er 2012 den Nobelpreis für Medizin. Dabei half Gurdon eine von seiner Kollegin Sheila Smith entdeckte Mutante mit nur einem Nukleolus pro Zellkern. Denn so konnte er nachweisen, dass die Klone genetisch tatsächlich von den mutierten Zellkern-Spendern und nicht von den Wildtyp-Weibchen abstammten. Gordons Versuchsergebnisse machten es extrem unwahrscheinlich, konnten aber nicht völlig ausschließen, dass die Minderheit der erfolgreich klonierten Spenderzellen Stammzellen waren. Ein solcher Nachweis gelang erst 2002 Konrad Hochedlinger und Rudolf Jaenisch mit dem Trick, als Spenderzellen Lymphozyten zu verwenden. Denn differenzierte Lymphozyten lassen sich eindeutig von Blutstammzellen unterscheiden, weil in ihnen während ihrer Reifung aus mehreren Teilsequenzen ein einzigartiges und daher später im geklonten Tier nachweisbares Gen für einen Antikörper oder einen T-Zell-Rezeptor zusammengestzt wurde. Gordon konnte auf diese Idee nicht kommen, weil zu seiner Zeit noch niemand wusste, dass die Vielfalt der Antikörper und T-Zell-Rezeptoren auf einer auch vom Zufall bestimmten Neukonstruktion von Genen in reifenden Zellen beruht. (John Bertrand Gurdon (1933- ) von Inbar Maayan und Sean Cohmer, 11.10.2012 und John B. Gurdon - Nuclear transplantation, the conservation of the genome, and prospects for cell replacement - The FEBS Journal 2017 Jan; 284(2): 211-217)

Für Genetiker reichte die Nukleolus-Mangelmutante völlig aus für den Nachweis, dass dass sich die Kaulquappen nur mit Hilfe der transplantierten Zellkerne entwickelten, weil die haploiden Zellkerne der unbefuchteten Eizellen erfolgreich zerstört wurden. Vor allem für Laien anschaulicher und überzeugender wurde das Zellkern-Transplantations-Experiment aber durch die Verwendung differenzierter Körperzellen von Albino-Kaulquappen von Xenopus laevis als Zellkern-Spender. Gurdon stellte bei seinen Experimenten fest, dass sich die Eizellen mancher Weibchen besonders gut als Empfänger der Zellkerne eignen. Das zeigt, dass die Zelle den Zellkern umprogrammieren muss. J. B. Gurdon - The egg and the nucleus: a battle for supremacy - Development 2013 140: 2449-2456.

Albino-Variante des afrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis
Xenopus laevis Albino
anonym, GNU Free Documentation License
Die Albino-Variante des afrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis kann aufgrund eines homozygoten Gendefekts den Farbstoff des dunklen Wildtyps nicht herstellen.

Eine Internetseite der Fernsehserie Planet Wissen bietet ein interaktives Lernspiel zur Veranschaulichung der ersten Klon-Experimente in den 1950er und frühen 1960er Jahren. Lesen wir zunächst den Text und klicken dann auf das Klonlabor, um die Klonierung zumindest mit dem Frosch durchzuspielen. Du findest es mit dem folgenden Link zum Klonlabor. Leider funktioniert es nur, wenn der Browser mit Adobe Flash arbeitet. Es kann helfen, wenn man die Anwendung in einem neuen Tab startet. Wenn das nicht funktioniert, kann man aber auch einfach den Text lesen.

Eine Beschreibung der Technik der Zellkern-Transplantation findet man in T. R. Elsdale, J. B. Gurdon, M. Fischberg - A Description of the Technique for Nuclear Transplantation in Xenopus laevis - Development 1960 8: 437-444.

Gurdon, Elsdale und Fischberg transplantierten Zellkerne südafrikanischer Krallenfrosch-Embryonen in unbefruchtete Eizellen des südafrikanischen Krallenfrosches V. Je weniger alt und entsprechend weit entwickelt die Spender-Embryonen waren, umso häufiger entwickelten sich aus den Empfänger-Eizellen erwachsene Frösche. (John B. Gurdon, T. R. Elsdale, M. Fischberg - Sexually mature individuals of Xenopus laevis from the transplantation of single somatic nuclei - Nature. 1958 Jul 5; 182(4627): 64-5) Diese 1958 veröffentlichten Experimente zeigten, dass die Zellkerne zumindest bis kurz vor den ersten embryonalen Muskelzuckungen noch das komplette Frosch-Genom besaßen. Die mit dem Alter der Spender-Embryonen abnehmende Erfolgsrate zeigt aber auch, dass die Zellkerne im Laufe der Individualentwicklung verändert werden und von der Eizelle in immer stärkerem Maße reprogrammiert werden müssen, damit sie wieder wie die Zellkerne totipotenter Zygoten wirken können. Die Autoren haben deshalb einige Zellkerne zuerst durch eine Eizelle reprogrammieren lassen, bevor sie diese schon angepassten Zellkerne in eine weitere unbefruchtete Eizelle injizierten.

1960 fasste John B. Gurdon wesentliche Erkenntnisse seiner Zellkern-Transplantationen zusammen. Die Erfolgsaussichten einer Zellkern-Transplantation hängen selbstverständlich von der Beherrschung der Technik, aber auch von der Qualität der Empfänger-Eizelle ab. Vor allem aber funktionierten Zellkern-Transplantationen umso seltener und schlechter, je differenzierter die Spenderzellen waren. Mit Zellen aus einer Blastula oder Gastrula funktioniert es gut, aber danach sinken die Erfolgsaussichten dramatisch. Als Ursache vermutete Gurdon, der Anteil noch ausreichend undifferenzierter Zellkerne nehme ab und die wirklich schon differenzierten Zellkerne ließen sich auch durch wiederholte Transplantationen kaum noch durch Eizellen umprogrammieren. Er meinte, dass die während der Differenzierung der Zelle im Zellkern erfolgenden Änderungen weitgehend irreversibel an die Tochterzellen vererbt würde. Aber insgesamt geht die Umprogrammierbarkeit in der Froschart Rana pipiens früher verloren als in der Forschart Xenopus laevis. (John B. Gurdon - The Developmental Capacity of Nuclei Taken from Differentiating Endoderm Cells of Xenopus laevis - Journal of Embryology and Experimental Morphology. 1960 Dec; 8: 505-26)

Die Autoren entnahmen schon selber fressenden Kaulquappen Epithelzellen aus dem Dünndarm. Die Mikrovilli im dem Darminhalt zugewandten Bürstensaum dieser Zellen dienten als Nachweis für ihre Differenzierung. Für Kontrollexperimente verwendeten sie auch die noch nahezu undifferenzierten Blastula-Zellen von Xenopus laevis. Beiden Zelltypen wurden die Zellkerne entnommen und in unbefruchtete Eizellen von Xenopus laevis injiziert, deren haploide Zellkerne zuvor zerstört wurden. Der Anteil überlebender und sich normal entwickelnder Embryonen war in den Kontrollexperimenten viel größer als mit Zellkernen aus den differenzierten Epithelzellen aus den Dünndärmen der Kaulquappen. Lediglich 1,5% (10 von 726) der Eizellen mit Zellkernen aus den differenzierten Epithelzellen entwickelten sich zu selber fressenden Kaulquappen. Entahm man allerdings sich abnorm entwickelnden Embryonen wiederum Zellkerne und transplantierte sie in entkernte Eizellen, dann entwickelten sich in einigen Fällen doch noch normale Kaulquappen. So konnte gezeigt werden, dass mindestens 7% der Zellkerne differenzierter Zellen noch das vollständige Genom enthielten, das für die normale Entwicklung einer Kaulquappe erforderlich ist. Ein Teil der Eier wurde kurz nach der Transplantation der Zellkerne cytologisch untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass es teilweise dann nicht zu Zellteilungen kam, wenn ein Zellkern keine richtige Verbindung zum Cytoplasma hatte oder sich gerade in einem ungeeigneten Stadium der Mitose befand. Blieben solche Fälle unberücksichtigt, dann waren von den restlichen Transplantationen differenzierter Zellkerne 24% erfolgreich. So betrachtet schaften es 70% der erfolgreich transplantierten Eizellen bis zu dem Entwicklungsstadium, bei dem die Muskelzellen begannen, auf Nerven-Impulse zu reagieren. Damit wurde bewiesen, dass die Differenzierung von Zellen nicht auf einem Verlust von Genen beruht. Heute wissen wir, dass mit wenigen Ausnahmen alle kernhaltigen Zellen eines Organismus von zufälligen somatischen Mutationen abgesehen die gleichen Genome enthalten. (John B. Gurdon - The Developmental Capacity of Nuclei taken from Intestinal Epithelium Cells of Feeding Tadpoles - Development 1962 10: 622-640)

Einige Kaulquappen entwickelten sich sogar zu geschlechtsreifen Fröschen. (J. B. Gurdon und V. Uehlinger - "Fertile" intestine nuclei - Nature 1966; 210: 1240-1241)

Später legten Laskey und Gurdon Zellkulturen an mit Zellen aus Niere, Lunge, Herz Hoden und Haut erwachsener Frösche. In den kultivierten Zellen sollen viele Gene aktiviert gewesen sein, die es in den Geweben nicht waren. Die Zellkultur als Zwischenschritt könnte also die Reprogrammierung der Zellkerne erleichtert haben. Trotzdem entwickelten sich nur 22-31% der 5200 damit transplantierten Eizellen zu Blastulae, von denen außerdem die meisten nicht richtig entwickelt waren. Wie schon bei früheren Experimenten gelang aber in etlichen Fällen eine Entwicklung bis zur schwimmfähigen Kaulqappe, wenn Zellkerne aus mißgebildeten Blastulas in frisch entkernte Eizellen transplantiert wurden. 88 serielle Transplantationen wurden durchgeführt und 32% der Klone führten zu mindestens einer Entwicklung bis zu einem relativ frühen Kaulquappenstadium, manche auch noch etwas weiter. Das sind nur 8% der ursprünglichen Zellkern-Transplantationen und noch viel weniger schaffen es bis zum erwachsenen Frosch. Das eine Zellkern-Transplantation mit Zellkernen aus differenzierten Zellen erwachsener Tiere ohne gezielte molekularbiologische Reprogrammierung im Labor zu einem ausgewachsenen geklonten Nachkommen führt, ist also auch bei Xenopus laevis sehr unwahrscheinlich. Zwar besitzen die Zellkerne der meisten voll differenzierten Zellen noch alle Gene der Zygote, aber ihre epigenetische Aktivierung bzw. Inaktivierung ist nicht bei allen Genen leicht zu überwinden. Als Marker für die transplantierten Zellkerne diente auch in diesem Experiment nicht die Albino-Mutation, sondern eine homozygote Nukleolus-Mangelmutante, die auf einem Chromosom die Gene für rRNAs verloren hatte. (Ronald Laskey und John Gurdon - Genetic Content of Adult Somatic Cells tested by Nuclear Transplantation from Cultured Cells - Nature 1970 Dec 26; 228: 1332-1334)

Gurdon, Laskey und Reeves entnahmen Schwimmhäuten von Xenopus laevis Hautzellen und hielten sie in einer Zellkultur ohne Plasma für 3,5 Tage. In der Zellkultur bildete sich eine einlagige Schicht von Zellen. Mehr als 99,9% dieser Zellen bildeten Keratin. Das ist typisch für reife Hautzellen, aber aufgrund der andersartigen Bedingungen in der Zellkultur dürften diese Zellen nicht mehr das selbe Proteom gehabt haben wie normale Hautzellen. Diesen ehemaligen Hautzellen wurden Zellkerne entnommen. Das Versuchsdesign macht es unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass darunter auch Zellkerne von Hautstammzellen waren. Die Zellkerne dieser aber in jedem Fall bereits mehr oder weniger differenzierter Hautzellen wurden in Xenopus-laevis-Eizellen injiziert, in deren Zellkernen die DNA zuvor durch UV-Strahlung zerstört wurde. Keines der 129 transplantierten Frosch-Eier entwickelte sich zu einer Kaulquappe. Aber 11 Embryonen entwickelten sich immerhin zu Blastulae, deren Zellen man wiederum die Zellkerne entnahm. Es ist zwar nicht völlig unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich, dass 6 von 129 Zellkernen alle von Hautzellen ohne Keratin-Produktion abstammten. Diese nun schon teilweise umprogrammierten Zellkerne wurden in frisch entkernte Eizellen injiziert. Von diesen Frosch-Eiern entwickelten sich 8 zu schwimmenfähigen Kaulquappen. Sie besaßen also in diesem Stadium ihrer Entwicklung schon Muskeln und Nerven. Bei 6 der Klone wurden schlagende Herzen, entwickelte Augen und andere Organe beobachtet. Das für die erfolgreiche Entwicklung der Kaulquappen tatsächlich die injizierten und nicht die bestrahlten Zellkerne benutzt wurden, zeigte ein einfaches Zählen der Nucleoli. Die bestrahlten Zellkerne der Empfänger-Eizellen hatten zwei Nukleoli. Die Zellkerne der Hautzellen enthielten aufgrund einer Mutation genau wie die Klone nur einen Nukleolus. Insgesamt zeigt also auch dieses Experiment, dass die Zellkerne zumindest nicht mehr pluripotenter Zellen keine Gene verloren haben, die für die Entwicklung einer schwimmfähigen Kaulquappe erforderlich sind. Dieses Experiment zeigt aber auch, dass die Zellkerne nicht einfach die Kontrolle über eine unbefruchtete Eizelle übernehmen und die Entwicklung zum Frosch steuern konnten. Offenbar mussten die Eizellen ihre neuen Zellkerne in einem schwierigen Prozess reprogrammieren. J. B. Gurdon, R. A. Laskey, O. R. Reeves - The developmental capacity of nuclei transplanted from keratinized skin cells of adult frogs - Development 1975 34: 93-112 und John Gurdon, Ronald Laskey and O. Raymond Reeves - Developmental Capacity of Nuclei Transplanted from Keratinized Skin Cells of Adult Frogs - Journal of Embryology and Experimental Morphology 34 (1975): 93-112

Es gibt heute verschiedene Möglichkeiten, die Expressionsmuster differenzierter Zellen oder ihrer Zellkerne in Richtung Pluripotenz, Multipotenz oder gar Omnipotenz zu verändern. Zu solchen Zwecken kann man in Zellen die Konzentrationen bestimmter Transkriptionsfaktoren erhöhen, die differenzierte Zelle mit einer embryonalen Stammzelle fusionieren oder deren Extrakt ins Medium geben oder man kann den Zellkern einer differenzierten Zelle in eine unbefruchtete Eizelle injizieren. Dabei ist eine teilweise Umprogrammierung zur Pluri- oder Multipotenz leichter zu erreichen als die für eine vollständige Entwicklung vom frühesten Embryo bis zur Geschlechtsreife erforderliche Totipotenz. Und die Reprogrammierung wird immer schwieriger, je weiter die Differenzierung der Zellkern-Spenderzelle fortgeschritten war. Nach einem Zellkern-Transfer erfolgt die Reprogrammierung in Richtung Totipotenz durch den Austausch von Proteinen des transplantierten Zellkerns gegen Proteine aus dem Cytoplasma, durch Modifikationen an Histon-Proteinen und durch Demethylierung der DNA. Das sind Mechanismen der epigenetischen Steuerung des Zellkerns durch die Zelle, die ihrerseits vielfältigen äußeren Einflüssen unterliegt. Anscheinend muss die Reprogrammierung schrittweise mit einer bestimmten Reihenfolge von Aktivierungs- und Inaktivierungsereignissen erfolgen. Und das ist so kompliziert, dass es meistens nur unvollständig gelingt. (Jerome Jullien, Vincent Pasque, Richard P. Halley-Stott, Kei Miyamoto and J. B. Gurdon - Mechanisms of nuclear reprogramming by eggs and oocytes: a deterministic process? Nature Reviews Molecular Cell Biology 2011; 12: 453-459)

Eier und Eizellen besitzen die Fähigkeit, nach einer normalen Befruchtung durch ein Spermium oder nach der Injektion des Zellkerns einer differenzierten Zelle in den eingedrungenen Zellkernen die Transkription bestimmter Gene zu aktivieren. Für eine normale Entwicklung zum Embryo ist das essentiell. Zellkern-Aktin und Aktin-bindende Proteine tragen irgendwie dazu bei. Dazu gehört auch ein Eizellen-Protein namens Wave 1. Es ist beteiligt an der Organisation der Aktin-Fibrillen im Zytoskelett. Und man findet es im Zellkern, wo es benötigt wird für die effiziente Reprogrammierung der Transkription. Dazu bindet es an aktive Transkriptions-Komponenten und das unterstützt die RNA-Polymerase II. (Kei Miyamoto, Marta Teperek, Kosuke Yusa, George E. Allen, Charles R. Bradshaw und J. B. Gurdon - Nuclear Wave1 Is Required for Reprogramming Transcription in Oocytes and for Normal Development - Science. 2013 Aug 30; 341(6149):)

Wenn Zellkerne differenzierter Zellen in Eizellen transplantiert werden, dann kommt es im transplantierten Zellkern zu einem intensiven Austausch seiner alten gegen Eizell-spezifische Transkriptionsfaktoren, zu denen auch das Linker-Histon B4 zu gehören scheint. Das führt zu einer Reprogrammierung und einer Phosphorylierung und stabilen Bindung von RNA-Polymerase II aus der Eizelle am transplantierten Chromatin. Die Umprogrammierung der Transkriptionsmuster von Zellkernen differenzierter Zellen in Eizellen läuft hierarchisch schrittweise in einer Kaskade ab. (Jerome Jullien, Kei Miyamoto, Vincent Pasque, George E. Allen, Charles R. Bradshaw, Nigel J. Garrett, Richard P. Halley-Stott, Hiroshi Kimura, Keita Ohsumi and John B. Gurdon - Hierarchical Molecular Events Driven by Oocyte-Specific Factors Lead to Rapid and Extensive Reprogramming - Molecular Cell 2014 Aug 21; 55(4): 524-536)

Lange haben Forscher geglaubt, das Spermium bringe lediglich die väterlichen Chromosomen in die Eizelle. Später kam die Idee auf, der epigenetische Status des Spermiums könne das Expressionsmuster des frühen Embryos beeinflussen. Teperek et al. konnten zeigen, dass Spermien während ihrer Reifung vom Spermatid zum fertigen Spermium tatsächlich epigenetisch so programmiert werden, dass sie die embryonale Gen-Expression einiger für die Entwicklung wichtiger Gene regulieren können. (Marta Teperek, Angela Simeone, Vincent Gaggioli, Kei Miyamoto, George E. Allen, Serap Erkek, Taejoon Kwon, Edward M. Marcotte, Philip Zegerman, Charles R. Bradshaw, Antoine H.F.M. Peters, John B. Gurdon, and Jerome Jullien - Sperm is epigenetically programmed to regulate gene transcription in embryos - Genome Research 2016 Aug; 26(8): 1034-1046)

Sir John B. Gurdon meint, Kerntransplantations-Experimente mit Säugetieren waren deshalb lange erfolglos, weil man es mit nach der Befruchtung entkernten Eizellen als Empfänger versuchte. Die Entfernung des Zellkerns scheint bei Zygoten viel schwieriger als bei unbefruchteten Eizellen zu sein. Es funktionierte, als man es wie er bei Xenopus laevis mit unbefruchteten Eizellen durchführte. Auch die Inaktivierung der DNA in den an der Zellmembran liegenden Zellkerne unbefruchteter Xenopus-Eier durch UV-Strahlung scheint ein Vorteil gewesen zu sein, weil dabei wegen der geringen Reichweite der UV-Strahlung die meisten Proteine intakt blieben. Besonders wenn sich die UV-inaktivierten Zellkerne der unbefruchteten Eizellen in der Mitose befanden und dadurch Zellkern-Proteine ins Zytoplasma gelangt waren, waren die Kerntransplantationen erfolgreich. Anscheinend halfen Faktoren aus den inaktivierten haploiden Zellkernen bei der Umprogrammierung der transplantierten Zellkerne aus differenzierteren Zellen. Tatsächlich haben ja später Takahashi and Yamanaka zeigen können, dass sich manche differenzierte Zellkerne durch Zugabe bestimmter Transkriptionsfaktoren reprogrammieren ließen. (John B. Gurdon - Nuclear transplantation, the conservation of the genome, and prospects for cell replacement - The FEBS Journal 2017 Jan; 284(2): 211-217)

Wenn man Tiere durch die Übertragung von Zellkernen differenzierter Zellen in unbefruchtete Eizellen kloniert, dann ist die Erfolgsrate normalerweise sehr gering. Das liegt daran, dass sich einige Gene nicht mehr aktivieren lassen. Sie wird aber dramatisch gesteigert, wenn das Zellkultur-Medium Trichostatin A und Vitamin C enthält. Außerdem muss das Rinder-Serumalbumin mittels Ionenaustauscher gereinigt worden sein. Unter diesen Voraussetzungen wurden Embryo-spezifische (normalerweise nur in Embryonen aktivierte) Retroelemente (Transposons) sowie sonst nicht reaktivierbare Gene transkribiert und 15% der Embryonen entwickeln sich bis zur Geburt. Vitamin C scheint eine Reduktion der Methylierung von Lysin 9 des Histon-Proteins H3 in kerntransplantierten Zygoten zu bewirken. (Kei Miyamoto, Yosuke Tajima, Koki Yoshida, Mami Oikawa, Rika Azuma, George E. Allen, Tomomi Tsujikawa, Tomomasa Tsukaguchi, Charles R. Bradshaw, Jerome Jullien, Kazuo Yamagata, Kazuya Matsumoto, Masayuki Anzai, Hiroshi Imai, John B. Gurdon and Masayasu Yamada - Reprogramming towards totipotency is greatly facilitated by synergistic effects of small molecules - Biology Open 2017 Apr 15; 6(4): 415-424)

Die Chromosomen differenzierter Zellen enthalten Bereiche, in denen das Chromatin dicht gepackt ist und die sich nach Zellkern-Transplantationen nicht mehr durch Xenopus-Oozyten reprogrammieren lassen. (Kei Miyamoto, Khoi T. Nguyen, George E. Allen, Jerome Jullien, Dinesh Kumar, Tomoki Otani, Charles R. Bradshaw, Frederick J. Livesey, Manolis Kellis and John B. Gurdon - Chromatin Accessibility Impacts Transcriptional Reprogramming in Oocytes - Cell Reports 2018 Jul 10; 24(2): 304-311)

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Roland Heynkes, CC BY-SA-3.0 DE

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