Eine kritische Bewertung der Aufhebung des Exportverbotes für britisches Rindfleisch vor dem Hintergrund politischer Versäumnisse und Fehlentwicklungen auch in Deutschland

Roland Heynkes, 17. März 2000

Wenn es um die Prionkrankheiten Scrapie, BSE oder Creutzfeldt-Jakob geht, dann folgt die EU-Kommission mit ihren Entscheidungen normalerweise den Empfehlungen des hochrangig besetzten wissenschaftlichen Lenkungsausschusses (SSC). Dies ist im Prinzip sehr vernünftig und die Wissenschaftler geben sicher in der Regel ihr Bestes, aber es gibt dabei zwei Probleme. Das von der Kommission berufene Komitee ist viel zu klein und seine Mitglieder kommen nicht aus der Prionforschung. Hierfür gibt es eine Reihe verständlicher Gründe und das SSC läßt sich auch von einigen Experten für die jeweilige Fragestellung beraten. Dennoch kann eine derart kleine Gruppe überwiegend fachfremder Wissenschaftler beim besten Willen nicht all das biologisch-medizinische, chemisch-physikalische, technisch-wirtschaftliche und politisch-juristische Wissen zusammentragen, daß für ein umfassendes Verständnis der Prionkrankheiten und ihrer Übertragungswege erforderlich wäre.

Will man wirklich die best mögliche wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen und weitere Forschung erarbeiten, dann braucht man mehr Offenheit und moderne Methoden. Ein Gremium kann die gesamte Prionforschung nur glaubhaft vertreten und ist zur Darstellung ihres gesicherten Wissens nur wirklich legitimiert, wenn es allen interessierten Experten die Mitwirkung ermöglicht. Weil die weltweite Gemeinschaft der Experten für die verschiedenen Aspekte der Prionkrankheiten niemals alle zu einem Zeitpunkt an einem Ort versammelt werden könnten, kommt für die notwendigen Diskussionen nur die zeitlich und räumlich entkoppelte Kommunikation über das Internet in Frage. Zur Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen für verantwortungsvolle Politik zum Schutz vor den Prionkrankheiten wird also dringend eine permanente und für allen Experten offene Internetkonferenz gebraucht. Organisiert in Form einer internationalen Fachgesellschaft oder eines viruellen internationalen Institutes für theoretische Prionforschung, wären die wissenschaftlichen Berater auch endlich wirklich unabhängig von politischen Einflüssen. Damit die Bildung solcher kooperativer Strukturen nicht länger durch die schädlichen Nebenwirkungen ursprünglich gut gemeinter Kriterien der Forschungsförderung verhindert wird, ist allerdings eine Anpassung der Forschungspolitik erforderlich.

Eine besonders offensichtliche Bestätigung seiner Überforderung und sogar Zweifel an seiner Unabhängigkeit, produzierte das SSC bereits im Juni 1998 mit seiner Stellungnahme zur Phosmet-Hypothese von Mark Purdey. Damals wiesen bereits veröffentlichte experimentelle Studien deutlich darauf hin, daß das insbesondere in Großbritannien zur Parasitenbekämpfung eingesetzte Phosmet wahrscheinlich die Inkubationszeit der Prionkrankheiten und sogar die Mindestdosis für eine Infektion reduziert. Deshalb ist es schon befremdlich, daß das SSC damals die Existenz solcher Hinweise leugnete und seine offensichtlich falsche Position bis heute nicht korrigiert hat.

Die mangelhafte Recherche in der Phosmet-Frage stellt aber auch die Einschätzung des SSC hinsichtlich der Aufhebung des Exportverbotes für britisches Rindfleisch in Frage. In der Diskussion darüber waren nach Aussage des beteiligten Prof. Hans Kretzschmar fast alle Prionforscher für eine weitere Verschiebung der Entscheidung um etwa 2 Jahre. Mit dem Abstand einer durchschnittlichen BSE-Inkubationszeit hätte man sehen können, ob nicht demnächst doch auch Rinder an BSE erkranken, die erst nach der letzten Verschärfung des britischen Tiermehlverfütterungsverbotes am 1. August 1996 geboren wurden. Aber es gelang ihnen nicht, die aus anderen Fachbereichen stammenden Mitglieder der vorbereitenden Arbeitsgruppe sowie das SSC selbst von ihren Bedenken zu überzeugen. Das durch jahrelangen Umgang mit vielschichtigen und schwer durchschaubaren Problemen erworbene Hintergrundwissen, läßt sich eben oft nur unzureichend mit harten wissenschaftlichen Argumenten vermitteln. Häufig drücken sich Erfahrung und Weisheit eher in Gefühlen und Grundhaltungen aus. So sind auch viele BSE-Experten erst aufgrund zahlreicher Fehleinschätzungen vergangener Jahre vorsichtiger geworden und sind sich heute der Unvollständigkeit ihres Wissens sehr bewußt. Leider haben diese meist verharmlosenden Fehlprognosen früherer Jahre gleichzeitig das Vertrauen der Bevölkerung und wahrscheinlich auch das Vertrauen des SSC in die Glaubwürdigkeit aller BSE-Experten nachhaltig erschüttert.

Die Uneinigkeit der ad-hoc-Gruppe ermöglichte die einstimmige Empfehlung des SSC, das Exportverbot für britisches Rindfleisch aufzuheben. Nach Ansicht des SSC garantieren die dabei zu beachtenden Auflagen, daß dieses nicht gefährlicher als das in anderen europäischen Ländern produzierte Fleisch sei. Diese Einschätzung läßt sich kaum widerlegen, wenn man das britische Exportfleisch mit dem in Frankreich und Portugal produzierten Fleisch vergleicht. Schließlich gibt es in diesen Ländern steigende BSE-Zahlen, aber nicht die strengen britischen Auflagen. In Deutschland haben wir aber kein akutes BSE-Problem und deshalb ist die Meinung des SSC eine offensichtlich unzutreffende Verallgemeinerung. Das vom SSC gar nicht bestrittene Gefährdungspotential britischen Rindfleisches ist absolut nicht mit dem deutschen Fleisches vergleichbar. Die nun mit massiven Drohungen von der EU-Kommission geforderte Aufhebung des deutschen Importverbotes, würde die deutsche Bevölkerung einem zusätzlichen Gesundheitsrisiko aussetzen. Da Deutschland seinen Fleischbedarf leicht selbst decken kann, verlangt also die EU-Kommission die Gefährdung von Menschenleben in Deutschland aus rein handelspolitischen Gründen.

Natürlich wurde die Unbedenklichkeitsbescheinigung des SSC in den britischen Medien tagelang gefeiert und es verwundert nicht, daß die EU-Kommission erleichtert war. Für sie war es sehr wichtig, daß "unabhängige" Wissenschaftler die bereits im Juni 1996 vom Ministerrat in Florenz prinzipiell akzeptierten und bis zum Februar 1998 konkretisierten Bedingungen zur Aufhebung des Exportverbotes für erfüllt erklärten. So konnte sie endlich durch die Aufhebung des Exportverbotes den Dauerkonflikt beenden, den die Briten zeitweise bis zur Blockade des Ministerrates verschärft hatten. Schon weniger verständlich ist, daß außer der französischen, die Regierungen aller Mitgliedstaaten das einstimmige Votum des SSC als ausreichende wissenschaftliche Grundlage akzeptierten und die Zweifel der BSE-Experten übergingen. Dies gilt sogar für EU-Länder wie Spanien, Norwegen, Dänemark, Italien und Deutschland, die von ihren Regierungen für BSE-frei erklärt werden. Wieso ignorieren eigentlich diese Regierungen die Warnungen ausgewiesener BSE-Experten und nehmen für ihre Bevölkerungen unnötige Gesundheitsrisken in Kauf? Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, daß Deutschland Zwangsgelder der EU-Kommission durchaus in Kauf nimmt, wenn es um die Nichtumsetzung anderer EU-Richtlinien wie der zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer geht. Außerdem ließen sich die Strafzahlungen leicht durch eine Aufhebung des Importverbotes kurz vor einem erst in einigen Jahren zu erwartenden Prozeß vermeiden. Es gibt deshalb auch politisch keinen Grund für eine baldige Aufhebung des deutschen Importverbotes.

Es ist leicht erkennbar, daß auch in diesem Fall Politiker und politische Beamte wissenschaftliche Gutachten nicht zur Wahrheitsfindung, sondern lediglich zur Unterstützung ihrer eigenen, bereits vorgefaßten Meinungen benutzten. Dieses Verhalten ist nicht gerade zweckmäßig im Sinne politischer Problemlösung. Es ist aber leider so normal, daß es den häufig genauso verfahrenden Medien gar nicht auffiel. So ignorierten auch diese weitgehend die abweichenden Meinungen und transportierten die Standpunkte des SSC als allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft.

Wie aber sehen die Auflagen aus, die das nun wieder exportierte britische Rindfleisch so sicher wie unser übriges Fleisch machen sollen?

Der wissenschaftliche Lenkungsausschuß der EU kam zu der Einschätzung, daß BSE im Gegensatz zur Traberkrankheit (Scrapie) [IQU], der chronischen Auszehrung amerikanischer Hirsche (chronic wasting disease) und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit lediglich auf zwei Wegen übertragen werde. Neben infektiösem Tiermehl im Rinderfutter werde BSE gelegentlich durch Kühe auf ihre Kälber übertragen. Letzteres soll aber nach Überzeugung des SSC nur bei rund 10% der BSE-infizierten Kühe geschehen, die spätestens 6 Monate nach der Niederkunft an BSE erkranken. Deshalb hält man britische Rinder für BSE-frei, wenn sie nach dem angeblich endgültigen Ende der Verfütterung infektiösen Futters im August 1996 geboren wurden und wenn ihre Mütter nachweislich noch mindestens 6 Monate nach der Geburt ohne Anzeichen von BSE lebten. Das klingt logisch und man fragt sich nur, warum man dann zusätzlich den Verzehr von mehr als 30 Monate alten britischen Rindern und außerdem die Verwendung von Gehirn und anderen Organen verbietet, in denen man bei BSE-infizierten Rindern Infektiosität fand oder vermutet. Zwar ist es klug, unnötige Risiken durch derart einfache Maßnahmen zu reduzieren und wir hätten diese sinnvollen Maßnahmen längst in Deutschland übernehmen sollen. Aber wieso will die EU-Kommission eigentlich ein nicht vorhandenes Risiko weiter vermindern und warum mißtrauen NRW-Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn, die wissenschaftlichen Berater der französische Regierung und viele wirkliche Experten aus der BSE-Forschung dem einstimmigen Votum des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses der EU? Immerhin riskieren die Franzosen einen Rechtsstreit mit der EU-Kommision und hohe Konventionalstrafen.

Erstens gibt es keinerlei wissenschaftlichen Beweis für die Annahme, daß BSE-infizierte Kühe die Krankheit nur während der letzten 6 Monate ihrer Inkubationszeit auf ihre Kälber übertragen und in einer früheren Stellungnahme hatte das SSC dies auch bereits zugegeben. Zweitens gibt es kaum einen vernünftigen Grund für das Wunschdenken, daß es keine weiteren Übertragungswege für BSE gebe. Ganz im Gegenteil gibt es Hinweise auf weitere Infektionswege, die insbesondere Großbritannien vor kaum lösbare Probleme stellen würden.

Mindestens 15 Jahre lang haben britische Rinder verseuchtes Futter aufgenommen und teilweise gleich wieder ausgeschieden [AIEZ]. Da weder die Verdauungsorgane [AGQD] des Rindes, noch die üblichen Umwelteinflüsse die BSE-Infektiosität abbauen können, wurde sie vermutlich sogar zum größten Teil ausgeschieden und reicherte sich auf den Weiden an. Es ist lange bekannt, daß Prionen (Scrapie-, BSE, Creutzfeldt-Jakob-Erreger) auch unter UV-Licht [ABFA] und im Boden [ABVM] extrem stabil sind. Vielleicht nehmen britische Rinder deshalb noch heute das infektiöse Agens mit dem Gras auf, möglicherweise fressen sie es auch mit Milben [GBI] und Insekten [JCN], welche sich bereits in verschiedenen Experimenten als infektiös erwiesen. Kälber könnten aber auch einfach durch die Milchaustauscher genannte Babynahrung infiziert werden, die immer noch Gelatine, grob gespaltene Eiweiße aus Tierhäuten und Fellen, Tierfett, Milch und sogar Blut und Blutprodukte enthalten darf. Zu überprüfen wäre auch, bis wann britischen Rindern aus Rindern gewonnene Impfstoffe und Hormone injiziert wurden.

Natürlich wurden hauptsächlich britische Weiden und Stallungen verseucht und die Wahrscheinlichkeit einer Aufnahme und Weitergabe von BSE-Erregern durch Milben und Insekten ist dort am größten. Nach britischen Berechnungen wurden allein bis 1989 fast eine halbe Million BSE-infizierte britische Rinder unerkannt geschlachtet und verzehrt [GMZ]. Deren infektiöse Überreste wurden hauptsächlich im Vereinigten Königreich in Form von Tierfutter in die Nahrungsketten eingespeist oder als Dünger in der Landschaft verteilt. Die Kälber unerkannt geschlachteter Kühe konnten vom selektiven Schlachtprogramm nicht erfaßt werden und wurden wahrscheinlich teilweise auch ohne infektiöses Futter infiziert. Deshalb ist in Großbritannien eher als in jedem anderen Land damit zu rechnen, daß alternative Infektionswege wirksam werden. Ob oder in welchem Maße sie wirksam werden, daß kann man jetzt noch nicht sagen. Aber es gab im Vereinigten Königreich 1999 noch 2814 gemeldete BSE-Fälle und die Zahl der Fälle ist in den letzten Jahren immer langsamer gefallen. Deshalb hätte man mit der Aufhebung des Exportverbotes wenigstens eine durchschnittliche Inkubationszeit von 6 Jahren nach der Einführung der Maßnahmen gegen die versehentliche Kontamination von Rinderfutter mit Tiermehl am 1.8.1996 warten sollen.

Entscheidend sind in diesem Zusammenhang natürlich die zuverlässige Erfassung aller BSE-Fälle und insbesondere die Suche nach BSE-infizierten Rindern, die nach dem 1.8.1996 geboren wurden. Aber gerade hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der britischen BSE-Statistik äußerten die französischen Experten Zweifel und die sind durchaus begründet:

Gerade angesichts der Gefahr einer nur verdeckt weiterlaufenden BSE-Epidemie wäre es besonders wichtig, sich in jedem Land einen unverfälschten Überblick über die wahre Häufigkeit von BSE-Infektionen unter den scheinbar gesunden Rindern zu verschaffen. Hierzu benötigt man BSE-Tests, die BSE-Infektionen schon vor dem Auftreten klinischer Symptome erkennen. Drei der vier EU-evaluierten und für effektiv befundenen BSE-Schnelltests machen dies längst möglich. Die beunruhigenden Ergebnisse der Prionics-Stichprobenuntersuchung aus dem Jahr 1999 lassen aber auch erahnen, warum insbesondere die britische Regierung solche Resultate fürchtet.

Von dem Bestand der rund 1,7 Millionen Rinder wurden 1997 in der Schweiz 132.080 Stiere, 9.920 Ochsen, 200.339 Kühe und 69.731 Färsen, also 412.070 erwachsene Rinder geschlachtet. Zieht man die erst zum ersten Mal tragenden Färsen ab, dann kommt man für das Jahr 1999 auf 342.339 Rinder, die zum Zeitpunkt der Schlachtung alt genug für die Entwicklung klinischer BSE-Symptome waren. Im Rahmen des Untersuchungsprogramms UP1999 wurden in der Schweiz 7138 ohne Beanstandung durch den Amtstierarzt geschlachtete Rinder mit dem Prionics Schnelltest untersucht. Von diesen scheinbar gesunden Tieren erwiesen sich 3 als BSE-infiziert. Hochgerechnet auf 340.000 geschlachtete Rinder wären dies im Jahr 1999 rund 143 scheinbar gesund geschlachtete Rinder gewesen, die bei einer Untersuchung jedes Schlachttieres mit dem Prionics-Test als BSE-positiv erkannt worden wären. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß der Test BSE-infizierte Rinder nur etwa während der letzten 6 Monate der Inkubationszeit erkennt. Die Zahl der tatsächlich im Jahr 1999 in der Schweiz mit unerkannten BSE-Infektionen geschlachteten und verzehrten Rinder dürfte daher bei einem Vielfachen dieser Zahl gelegen haben. Vergleicht man angesichts dieser einfachen Kalkulation die 50 im Jahr 1999 in der sehr gut überwachten Schweiz gemeldeten BSE-Fälle mit den 3000 im bewußt auf BSE-Reihenuntersuchungen verzichtenden Großbritannien, dann kann man sich dessen Dunkelziffer vorstellen.

Ginge es der EU-Kommission und den EU-Ministern für Landwirtschaft und Gesundheit in erster Linie um die Sicherheit von Mensch und Tier, dann wären die BSE-Schnelltests längst in großem Umfang eingesetzt worden und wir hätten heute wesentlich fundiertere Einschätzungen des Gefährdungspotentials. Tatsächlich gab es nennenswerte Reihenuntersuchungen mit den BSE-Schnelltests aber bisher nur in der Schweiz, in Irland und in Nordrhein-Westfalen. Frankreich will demnächst ein großes Testprogramm beginnen. Die Briten aber lehnen die Anwendung der Tests genau wie die meisten europäischen Länder strikt ab und die EU-Kommission macht dies auch nicht zur Bedingung für den Export. Die Angst vor den Auswirkungen positiver Testresultate ist offensichtlich größer als die Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung. Die zusätzlichen Kosten von 20-25 DM pro Prionics-Test bei Durchführung in den Landesuntersuchungsämtern können jedenfalls kein ernsthaftes Argument gegen die Tests sein. Dabei hat die bisherige Politik der Verharmlosung, Verschleppung und Vertuschung der europäischen Landwirtschaft und auch der Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaft bereits schwer geschadet.

Sollte auch nur einer der heute denkbaren Infektionswege in der Praxis BSE übertragen, dann könnten auch nach dem 1. August 1996 geborene Rinder infiziert sein. Selbstverständlich beträfe dies auch weniger als zweieinhalbjährige Rinder. Auch die Beschränkung auf schieres Fleisch ohne Knochen und Fett kann aus drei Gründen nicht als Garantie für die gewünschte BSE-Sicherheit angesehen werden:

Obwohl also das BSE-Risiko bei britischem Fleisch weiterhin höher als in allen anderen Ländern und insbesondere entschieden höher als bei deutschem Fleisch ist, haben die EU-Kommission und ihre Wissenschaftler in einem recht. BSE kann auch in allen anderen EU-Ländern auftreten und die menschliche Gesundheit gefährden. Deshalb wäre auch die deutsche Bundesregierung gut beraten, endlich Maßnahmen gegen eine Ausbreitung von BSE, Scrapie und nicht zuletzt der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu ergreifen. Auf diesem Gebiet hat die neue, von SPD und Grünen geführte Bundesregierung in über einem Jahr nichts, aber auch gar nichts geleistet. Die seit Jahren bekannten Sicherheitslücken bestehen in Deutschland weiterhin.

Angesichts einer Gesundheitsministerin aus den Reihen der ehemaligen Ökopartei Bündnis 90 / die Grünen ist diese Untätigkeit besonders enttäuschend. Die leichtsinnige Politik der aktuellen Bundesregierung läßt sich auch kaum mit Unwissenheit erklären. Schließlich erinnert man sich noch an die vehementen Forderungen von SPD und Grünen gegenüber der alten Bundesregierung. Besonders die heute seltsam ruhige und untätige Umweltministerin Klaudia Martini in Rheinland-Pfalz hatte damals vehement gegen den Import britischen Rindfleisches gestritten. Außerdem hat zumindest der größere Koalitionspartner mit Dr. Wodarg einen in BSE-Fragen kompetenten und gut informierten Gesundheitspolitiker, der Landwirtschaftsminister Funke beraten könnte. Bundesgesundheitsministerin Fischer dürfte auch kaum entgangen sein, daß im Landwirtschaftsministerium ihrer Parteifreundin Bärbel Höhn einen gut informierten BSE-Experten gibt. Noch verstärkt wird dieser beklemmende Eindruck von Arroganz und Bedenkenlosigkeit durch die Weigerung von Gesundheitsministerin Fischer und Landwirtschaftsminister Funke, vier am 24.11.1999 extra nach Berlin gereiste und von den Arbeitsgemeinschaften Gesundheit, Landwirtschaft und Umwelt ihrer eigenen Parteien befragte Experten auch nur anzuhören. Gegen die ausdrückliche Empfehlung deutscher BSE-Experten setzt insbesondere die eigentlich für unsere Gesundheit zuständige Ministerin die Bundesländer unter Druck, um eine Aufhebung des deutschen Importverbotes zu erreichen. Vielleicht darf man von einer Gesundheitsministerin ohne jedes biologisch-medizinische Fachwissen nicht mehr verlangen, aber können wir uns eine solche Ministerin eigentlich leisten?

Müssen wirklich erst Deutsche an der auf BSE-Infektionen zurückgeführten Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sterben, bevor man endlich auch in Deutschland die Herstellung von Fleischknochenmehl bei unter 100°C und dessen Verfütterung an Schweine, Geflügel und Zuchtfische verbietet? Wieso dürfen deutsche Kälber immer noch mit aus ihren geschlachteten Artgenossen hergestelltem Tierfett und sogar Blut gefüttert werden? Genauso uneinsichtig wie ihre Vorgängerin blockiert die deutsche Bundesregierung die von der EU-Kommission geforderten und von anderen Ländern längst umgesetzten Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Prionkrankheiten. Sie tut dies mit dem schon für den gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbaren Argument, in Deutschland gebe es kein BSE-Problem und deshalb seien auch keine Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor BSE-Erregern erforderlich. Dabei ist auch der Bundesregierung durchaus bekannt, daß aus EU-Ländern wie Frankreich oder Portugal importierte Rinder oder beispielsweise aus England importierte Schafe die BSE- und Scrapieerreger in deutsche Schlachthöfe bringen können. Von dort aus gelangen diese dann ungehindert via Fleischknochenmehl und Tierfett in deutsche Futtertröge. So infizierte deutsche Rinder, Schweine, Schafe, Hühner und Forellen müssen nicht unbedingt erkranken, zumal Schweine, Geflügel und Zuchtfische gar nicht lange genug leben, um Symptome zu zeigen. Sie können aber mindestens so gut wie Insekten die Infektiosität anreichern und selbst die besonders infektiösen Organe von Rindern und Schweinen dürfen in Deutschland immer noch gegessen werden!

Angesichts von bereits 124 deutschen Creutzfeldt-Jakob-Toten im Jahr 1998 wäre es auch höchste Zeit, endlich Maßnahmen gegen die mögliche Ausbreitung dieser auch für die Angehörigen schrecklichen Krankheit durch Organtransplantationen, Bluttransfusionen, Operationen, Zahnarztbehandlungen und Augeninnendruckmessungen zu ergreifen. In anderen Ländern ist dies längst geschehen, während die deutsche Bundesregierung durch totales Desinteresse glänzt und die Beispiele anderer Länder ebenso wie die Warnungen unabhängiger Wissenschaftler ignoriert. Aber warum sollte die mit sich selbst mehr als beschäftigte Bundesregierung auch aktiv werden, wenn ihr von den Medien keinerlei öffentliches Interesse an diesen Problemen signalisiert wird? Welcher Journalist und welche Redaktion ist denn heute noch bereit und in der Lage, Zusammenhänge zu recherchieren, die sich nicht in maximal 40 Sekunden beschreiben lassen?

Seit 1995 habe ich mit Artikeln in Fachzeitschriften, Vorträgen vor Laien und Fachleuten, Interviews in Radio und Fernsehen, vor allem aber in Gesprächen mit Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten versucht, zur Korrektur der von mir und anderen erkannten Defizite und Fehlentwicklungen beizutragen. Nachdem ich auch im Falle der Aufhebung des deutschen Importverbotes für britisches Rindfleisch mit meinen Aktivitäten hinter den Kulissen keinen Erfolg hatte, kann ich nun nur noch durch diesen persönlichen Kommentar meinen Standpunkt als unabhängiger Prionforscher dokumentieren.

Literaturzitate:

GMZ . Anderson,R.M.; Donnelly,C.A.; Ferguson,N.M.; Woolhouse,M.E.J.; Watt,C.J.; Udy,H.J.; Mawhinney,S.; Dunstan,S.P.; Southwood,T.R.E.; Wilesmith,J.W.; Ryan,J.B.M.; Hoinville,L.J.; Hillerton,J.E; Austin,A.R.; WeIIs,G.A.H. - Transmission dynamics and epidemiology of BSE in british cattle - Nature 1996 Aug 29; 382(6594): 779-88

ABFA . Bellinger-Kawahara,C.G.; Cleaver,J.E.; Diener,T.O.; Prusiner,S.B. - Purified scrapie prions resist inactivation by UV irradiation - Journal of Virology 1987 Jan; 61(1): 159-66

ABVM . Brown,P.; Gajdusek,D.C. - Survival of scrapie virus after 3 years' interment - Lancet 1991 Feb 2; 337(8736): 269-70

AGQD . Kocisko,D.A.; Come,J.H.; Priola,S.A.; Chesebro,B.; Raymond,G.J.; Lansbury,P.T.; Caughey,B. - Cell-free formation of protease-resistant prion protein - Nature 1994 Aug 11; 370(6489): 471-4

AIEZ . McKie,A.T.; Zammit,P.S.; Naftalin,R.J. - Comparison of cattle and sheep colonic permeabilities to horseradish peroxidase and hamster scrapie prion protein in vitro - Gut 1999; 45(6): 879-88

ANBJ . Pattison,I.H.; Millson,G.C. - Distribution of the scrapie agent in the Tissues of experimentally inoculated goats - Journal of Comparative Pathology and Therapeutics 1962; 72: 233-44

JCN . Post,K.; Riesner,D.; Walldorf,V. Mehlhorn,H. - Fly larvae and pupae as vectors for scrapie - Lancet 1999 Dec 4; 354(9194): 1969-70

ALRB . Thorgeirsdottir,S.; Sigurdarson,S.; Thorisson,H.M.; Georgsson,G.; Palsdottir,A. - PrP gene polymorphism and natural scrapie in Icelandic sheep - Journal of General Virology 1999; 80: 2527-34

GBI . Wisniewski,H.M.; Sigurdarson,S.; Rubenstein,R.; Kascsak,R.J.; Carp,R.I. - Mites as vectors for scrapie - Lancet 1996; 347(N9008): 1114

IQU . Woolhouse,M.E.J.; Matthews,L.; Coen,P.; Stringer,S.M.; Foster,J.D.; Hunter,N. - Population dynamics of scrapie in a sheep flock - Philosophical Transactions of the Royal Society of London Series B-Biological Sciences 1999; 354(1384): 751-6

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