Lerntext Viren

Roland Heynkes, 15.12.2016, zuletzt ergänzt am 30.11.2022

Dieser kleine Hypertext soll verständlich machen, warum man die Definition der Lebewesen durchaus bis zu den Viren ausdehnen kann.

Bis zum 1.1.2022 kann man zum Thema Viren in der WDR-Mediathek einen sehr interessaanten Hörfunkbeitrag zweier ausgezeichneter Journalisten, der Diplom-Geologin Dagmar Röhrlich und des Diplombiologen Michael Lange hören: "Viren - Woher sie kommen, was sie nützen".

Der selbständigen Erarbeitung dieses Selbstlern-Hypertextes dient das Übungsmodul Viren mit klausurähnlichen Aufgaben.

Gliederung

zum Text Wie sind Viren aufgebaut?
zum Text Welche Stadien durchlaufen Viren in ihrer Entwicklung?
zum Text Was sind Viren?
zum Text Vielleicht ähneln Chlamydien den Ahnen der Viren.
zum Text Viren als Krankheitserreger
zum Text evolutionärer Wettkampf Zelle gegen Viren

Wie sind Viren aufgebaut? nach oben

In ihrer Reiseform sind die größten bekannten Viren (Megavirus chilensis) mit einem Durchmesser von 700 nm fast so groß wie kleine Bakterien. Man kann also die größten Viren mit guten Lichtmikroskopen sehen. Für die kleinsten Viren benötigt man schon ein Elektronenmikroskop.

Unterwegs in ihrer reisefähigen Transportform bestehen alle Viren nur aus einer Hülle, die einen Bauplan enthält. Die Virushülle kann ein sogenanntes Kapsid sein, welches nur aus Proteinen besteht. Viele Viren umgeben sich zusätzlich mit einer Hüllmembran. Es gibt auch Viren, die innerhalb ihrer Hüllen außer dem Bauplan auch noch Eiweiße enthalten, welche als Werkzeuge für bestimmte Zwecke fungieren.

Schema eines Adenovirus
Adenovirus
Gleiberg, CC BY-SA 2.0 DE
Das Schema zeigt die Außenansicht eines Adenovirus. Man sieht, dass dessen Hülle aus unterschiedlichen Proteinen besteht. Diese Proteine haben unterschiedliche Funktionen. Ausführliche Informationen dazu enthält meine Dokumentation: "Die Reise ins Innere der Zelle".

Leider denken wohl die meisten Menschen nur an diese Transportform, wenn sie an Viren denken. Und weil Viren in diesem Stadium nicht leben, hält man sie nicht für Lebewesen. Ein Virus verschwindet aber nicht, wenn es in eine Zelle eindringt und der Bauplan von seiner Virushülle getrennt wird. Der Virus-Bauplan macht sich die Zelle zueigen und in gewisser Weise besteht dann das Virus aus der gesamten Zelle einschließlich Virus-Bauplan. Es ist dann nicht in der Zelle, sondern es ist die Zelle und damit ein fast normales Lebewesen, wenn auch ein kriminelles.

Für diese Sichtweise spricht, dass die Virus-Baupläne in genau der selben Sprache geschrieben sind wie die Baupläne aller bisher daraufhin untersuchten Lebewesen. Viren haben sich also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Reduktion aus normalen Lebewesen entwickelt.

Welche Stadien durchlaufen Viren in ihrer Entwicklung? nach oben

hochauflösendes Modell eines T4-Phagen nach oben
Dr. Victor Padilla-Sanchez, CC BY-SA 4.0

In ihrer Reiseform bestehen Viren wie gesagt nur aus einem Bauplan und einer ihn schützenden Virushülle. In dieser Form leben Viren nicht. Deshalb können sie sich auch nicht aktiv bewegen oder aktiv auf ihre Umwelt reagieren. Sie werden einfach passiv vom umgebenden Medium (üblicherweise Luft oder Wasser) transportiert. Treffen sie dabei zufällig auf eine Zelle, dann prallen sie meistens von der Zelloberfläche ab oder bleiben darauf liegen, ohne Schaden anrichten zu können. Die Barriere der Zellmembran können viele Viren nur überwinden, indem sie von der Zelle aktiv herein geholt werden. Weil das ganz und gar nicht im Interesse der Zelle ist, müssen Zellen mit Tricks dazu gebracht werden. Viren besitzen dazu Strukturen auf ihren Oberflächen, die wie Schlüssel in eigentlich nicht für sie bestimmte Schlösser auf den Oberflächen bestimmter Zellen passen. Diese Schlösser nennt man Rezeptoren und normalerweise docken diese Rezeptoren an nützliche Dinge an, die nur durch Endocytose in die Zelle gebracht werden können. Es gibt auch Viren, bei denen das Andocken an eine Zelle einen Mechanismus auslöst, welcher den Virus-Bauplan in die Zelle injiziert. Wieder andere Viren gelangen in Zelle, indem die Membranhülle des Virus mit der Zellmembran verschmilzt.

T4-Phagen auf einem E.coli-Bakterium nach oben
Miika Leppänen, CC BY-SA 4.0

Letztlich wird der Virus-Bauplan aus seiner Virushülle freigesetzt und wird in der infizierten Zelle wirksam. Die Zelle integriert den Virus-Bauplan in ihren eignen oder sie stellt viele Kopien vom Virus-Bauplan her. RNA-Kopien des Bauplans werden von Ribosomen der Zelle als Rezepte für die Herstellung von Virus-Proteinen benutzt. So häufen sich in der Zelle Baupläne und Hüll-Proteine an, die zu neuen Viren zusammengesetzt werden. Die fertigen Viren verlassen die Zelle und gelangen möglicherweise zu anderen Zellen. Einige Viren zerstören dabei ihre bisherige Wirtszelle, andere tun das nicht.

Schema der Vermehrung eines Phagen in einem Bakterium nach oben
anonym, CC BY 2.0

Was sind Viren? nach oben

Viren sind weder Prokaryoten, noch Eukaryoten. Manche halten Viren für nicht-zelluläre Lebewesen. Andere meinen, ein Virus würden erst durch die Verschmelzung mit einer Zelle zu einem Lebewesen. Man könnte ja Viren mit Spermien vergleichen, die ja auch ihren Bauplan in eine Zelle einbringen und dadurch ein neues Lebewesen entstehen lassen. Ähnlich wie Flechten und Schleimpilze sind auch Viren Lebensformen, die nicht in das zu enge Korsett veralteter Definitionen passen, mit denen man Lebewesen zu definieren versuchte, als man noch nicht so viel über sie wusste. Ausführlich habe ich dieses Problem in meinem Lerntext Lebewesen diskutiert.

Meiner Meinung nach besteht das Problem vor allem darin, dass auch vielen Biologen nicht klar ist, dass Lebewesen nicht unbedingt jederzeit leben müssen, um Lebewesen sein zu können. Viren können nur leben, wenn sich ihre Baupläne im Inneren von Zellen befinden, die ihnen eigentlich nicht gehören, die sie sich aber trickreich aneignen. Viren sind also obligat intrazelluläre Parasiten, die nur im Inneren "fremder" bzw. gekaperter Zellen leben können. Im Gegensatz zu anderen Endoparasiten können aber Viren ihre Zellen aktiv verlassen, um neue Zellen zu finden. Solange sie unterwegs sind, bestehen sie nur aus dem Bauplan und einer Virushülle und sie leben nicht. Das ist zwar ein extremer Lebenswandel, aber nicht grundsätzlich anders als die Sporen anderer Lebewesen, die als Sporen auch nicht leben, sondern eine Pause vom Leben machen, um ungünstige Lebensbedingungen zu überdauern. Viren haben einfach im Verlauf von Jahrmillionen in ihrer Transportform auf alle Bestandteile verzichtet, die sie für die Eroberung weiterer Zellen nicht unbedingt brauchen.

Vielleicht ähneln Chlamydien den Ahnen der Viren. nach oben

Früher hielt man Chlamydien für Viren, weil sie für Bakterien sehr klein sind. Wie Viren können auch sie nur im Inneren von Zellen leben und sich vermehren. Andere Zellen und Lebewesen infizieren die obligat intrazellulären Parasiten, indem die Retikularkörperchen genannten lebenden Bakterien zu infektiösen Elementarkörperchen differenzieren, die durch Auflösung (Lyse) der Wirtszelle freigesetzt und später von anderen Zellen durch Endozytose aufgenommen werden. Wie Virionen haben auch die Elementarkörperchen keinen Stoffwechsel und wie Virionen sind auch die Chlamydien unbeweglich. Außerdem haben Chlamydien wie Viren im Laufe ihrer Evolution Gene verloren, weil sie benötigte Stoffwechselprodukte einfach aus ihren Wirtszellen beziehen.

Der Lebenszyklus der Chlamydien nach oben

Viren als Krankheitserreger nach oben

Viele gefährliche Krankheiten wie AIDS (HIV), Ebola (Ebolavirus), Pocken (Pockenviren), Grippe (Influenzaviren), Tollwut (Rabiesvirus), Gelbfieber (Togaviren), Dengue-Fieber (Dengue-Virus), Hepatitis (Hepatitisviren), Kinderlähmung (Picornaviren), Masern und Mumps (beide Paramyxoviren), Röteln (Togaviren), Windpocken und Herpes (Herpes-Viren) oder schwerer Durchfall (Rotaviren)werden von Viren übertragen. Antibiotika helfen dann nicht, sondern können sogar eher schaden.

Vor vielen, aber leider nicht vor allen Virus-Krankheiten kann man sich mit Impfungen schützen. Eine Kombination dreier Medikamente schützt vor AIDS. Ansonsten schützen uns vor allem Hygiene und unser Immunsystem. Wie letzteres funktioniert, erklärt mein Lerntext Immunsystem.

evolutionärer Wettkampf Zelle gegen Viren nach oben

Außerhalb von Zellen können Viren nicht leben. Sie wissen nichts, wollen nichts und tun nichts. Trotzdem können sie Zellen erobern und in ihnen die Kontrolle übernehmen. Dabei wirken Viren nur durch ihre Baupläne (DNA oder RNA) und die Formen ihrer Proteine, denn die Form bestimmt die Funktion und die Funktionen viraler Proteine können verschiedene Wirkungen entfalten. Auch wenn ein Virus nicht lebt, kann eine durch die Struktur des Virus festgelegte Abfolge von Wirkungen verschiedener Proteine eine Vermehrung des Virus bewirken. Erst wenn der Virus-Bauplan von der Zelle kopiert, gelesen und realisiert wird, kann man von einem neuen einzelligen Lebewesen sprechen. Dessen Eigenschaften werden durch die Kombination der Baupläne von Zelle und Virus bestimmt. Die virale DNA kann jahrelang inaktiv bleiben oder sofort sämtliche Aktivitäten auf die Virus-Vermehrung konzentrieren. Virale Genome können sich in die Baupläne ihrer Wirtszellen integrieren und an deren Nachkommen weitergegeben werden. Einzelne virale Gen können sogar die Evolution einer Spezies entscheidend voranbringen.

Heute profitiert die Biologie von den wirtschaftlichen Erfolgen von Filmindustrie und Computerspielentwicklern. Vor allem deren Geld ermöglichte die Entwicklung der Computerprogramme, mit denen heute realistische Animationen produziert werden, die den Stand biomedizinischer Forschung durch Filme erfahrbar machen. Im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen kann man immer häufiger in Medizinsendungen und en Dokumentationen Abläufe betrachten, die im Inneren lebender Organismen oder Zellen gar nicht gefilmt werden können. Bei YouTube gibt es inzwischen viele Animations-Videos. Wir sehen und diskutieren eine Animation des Abwehrkampfes einer Zelle gegen Adenoviren, die sich in ihr zu vermehren versuchen. Man kann diese Dokumentation immer wieder im Fernsehen, aber auch jederzeit hier und hier im World Wide Web sehen.

Damit sich alle Lernenden voll auf die einmaligen Bilder konzentrieren können, habe ich den Inhalt des Films in einer eigenen Dokumentation zusammengefasst.

Die Strukturen ihrer Proteine bringen Viren zum Zellkern.

Anhand dieses Films besprachen wir wichtige Prinzipien der Biologie:

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Roland Heynkes, CC BY-SA-3.0 DE